Brunnenmarktmord: Orbans Politik wäre keine Lösung

Szenerie nach dem Grauen

Erster Tag nach der Tat. Sitze am Yppenplatz. Kinder laufen vergnügt umher. Die "Schanigärten" sind voll. Sehe bereits den Chefredakteur des Falters arbeiten, der hat anscheinend auch keinen Feiertag. Zwischen den heute geschlossenen Standeln liegen Blumen am Tatort. Passanten fotografieren. Einer kann es nicht fassen. Er spricht von elendigen "Ratzen", befürchtet einen Bürgerkrieg, erwähnt Pfefferspray und Elektroschocker "und wenn mich dann einer von den Bimbos fragt, ob ich Drogen will" gebe es - sagen wir - Ärger.

Vielleicht spricht er aus, was andere denken. "Schwarzafrikaner" sind nicht nur aufgrund ihrer Äußerlichkeit leicht als Gruppe Fremdartiger einzuordnen. Sie stehen um die U6-Station Thaliastraße tatsächlich in Grüppchen herum, nicht unweit vom Tatort. Ihr tägliches Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei geht nicht wenigen auf die Nerven, ängstigt andere. Die Begleiterscheinung von Drogendealer sind Drogenabhängige. Macht kein gutes Stadtbild. Und nun erschlug auch noch ein dunkelhäutiger Exdrogendealer eine Frau. Man weiß nicht einmal, weshalb.

Das schafft eine doppelte Angst vor dem - in diesem Fall der Polizei nicht ganz - Unbekannten. Nach der Amokfahrt von Graz, die man sich auch nicht eklären konnte, wuchs nicht die Angst vor imigrierten Bosniern in SUVs. "Afrikanische Drogendealer" liefern hingegen ein kompaktes Feindbild.

Angst vor der Angst

Das Unsicherheitsgefühl kann zur echten Gefahr werden, wenn Vorurteile und Generalverdächtigungen gegenüber bestimmten Gruppen zu offenen Konflikten werden. Die Bobos vom Yppenplatz werden nicht zur Gewalt greifen. Aber es gibt andere Gruppen im Bezirk, die dazu vielleicht eher bereits sind. Zudem bewaffnet sich ganz Wien, wobei nicht nur der Umsatz von Pfefferspray explodiert. Das macht Angst vor der Angst der anderen. Irgendjemand könnte bei dieser ganzen, seit Monaten europaweit (großteils künstlich) aufgeheizten Stimmung durchdrehen und etwas Dummes tun. Die Hauptgefahr besteht hierbei, dass, aus dem heterogenen Feindbild diverser Fremdartiger, sich homogene, spezifische Feindbilder einzelner Gruppen (wie "Afrikaner";) heraubilden, die daraufhin klare Ziele abgeben.

Blinde Bundespolitik

Vor allem die Bundespolitik hat bereits Dummes getan. Sie ließ sich auf das Niveau des Rechtspopulismus herab und diskutiert "Sicherheitsbedenken" hauptsächlich über das Fremdartige, namentlich die Flüchtlingsbewegung. Wer sich bei Verbrechensprävention auf Herkunft und Integration gewisser Gruppen konzentriert, ist blind für exakte Ursachen. Das weiß man bei Politik und Behörden natürlich. Die Debatten um Bundeswehr-Assistenzeinsätze an den Grenzen, Grenzzäune, die Schließbarmachung des Brenners sind kosmetische OPs, um den Anschein von Sichermachung zu erwecken.

Man befasst sich mit spekulativer Überforderung durch Flüchtlingsfamilien, noch ehe sie hier sind. Zugleich vergisst man auf die Problemkinder, die bereits die Wiener Gürtelbögen bevölkern. Abgesehen von der gewaltigen Dunkelziffer unbegleiteter Minderjähriger, die noch zu Problemkindern heranwachsen werden, weil sich keine Sau um sie kümmert.

Nobodys im Mirgantenviertel

Auch um den Täter kümmerte man sich nicht wie erforderlich. Ein Nobody, der zurück auf die Straße geschickt wurde. Genausowenig scheint man sich für die Anliegen der Brunnenmarktbetreiber_innen und Anrainer_innen. Warum? Weil die meisten von ihnen ihrerseits Migrant_innen sind? Beschwerden über Kleinriminalität und darüber, dass die Polizei nichts mache, hört man häufig beim Einkaufen. Und ich weiß immer noch nicht, welches Schwein ans Klettergerüst des Spielplatzes brunzt.

Ignoranz als Weg in den Orbanismus

Wissen ist Macht. Ignoranz ist der Weg in die Ohnmacht. Ich kann die Emotion verstehen, alle aus dem Land schmeißen zu wollen, die sich aufgrund ihres Rechtsstatuses (theoretisch) rausschmeißen ließen. Vor allem alle Armen. Nicht, weil alle schuldig oder potenziell gefährlich sind. Aber man weiß ja nie.

Das Problem dabei: Man müsste rechtlich und praktisch den Weg für diese Maßnahme erst ebnen; müsste mit internationalen Abkommen, Asyl- und Menschenrechten auch den Rechtsstaat ansich über Bord werfen. Denn wie könnte man die Verbannung (als de facto Bestrafung) aller Fremdartigen rechtsstaatlich legitmieren? Wenn nicht aller, wie könnte man bestimmte Gruppen nach spezifischer Fremdartigkeit rechsstaatlich selektieren? Man müsste eine behördliche Willkürpolitik erlauben, durch eine Regierung, die sich über Rechtsstaat und Gewaltentrennung hinwegsetzen kann: Eine Diktatur. Für die niemand garantieren kann, dass sie ihre Macht nicht gegen die eigene Bevölkerung einsetzen würde. Schon würden wir uns in Orbans Ungarn, Erdogans Türkei oder Putins Russland versetzt sehen. Kein Interesse!

Antonik-Seidler

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