Was in Tunesien 2010/2011 wirklich geschah...

...ein Reisebericht der etwas anderen Art...

Meine Firma hatte insgesamt drei Projekte in Tunesien verwirklicht, in Hammameth, Port El Kantaoui (bei Sousse) und in Sousse selbst. Das erste Projekt wurde schon 2006 entwickelt, zu einer Zeit, in welcher ich Tunesien zwar als korrupten Staat kennengelernt habe, aber gleichzeitig von hohem Bildungsniveau, von der Säkularität der Gesellschaft und der Herzlichkeit der Menschen war ich beeindruckt. Klar, in geschäftlichen Dingen geht es dort anders zu, es dürfte ein Sport sein, den Geschäftspartner bei jeder Gelegenheit über den Tisch zu ziehen, aber meine „Schule“ in Israel einige Jahre davor und eine clevere und mir loyale Dolmetscherin haben mich vor größeren Schaden bewahrt.

Was von den Menschen, mit welchen ich dort zu tun hatte, immer wieder beklagt wurde, war die Tätigkeit des tunesischen Geheimdienstes des Präsident Ben Ali und die sagenhafte Gier und Korruption des Tribelsi-Clans, die Familie der Präsidentengattin, welche eine tolle Karriere von einer einfachen Friseurin ohne Schulabschluß zur First Lady Tunesiens machte. Ohne „Zahlungen“ an den Tribelsi-Clan ging in Tunesien nichts. Sogar mich, als Lieferanten für eine Anlage für das Carthage Palace Hotel in Carthage bei Tunis, hat man angeschnorrt, aber dieses Spiel habe ich nicht mitgespielt und aus dem Projekt ist nichts geworden. Ein deutscher Mitbewerber hat Jahre später das Projekt realisiert, es wurde noch in der ersten Revolutionsnacht dem Erdboden gleich gemacht.

Ich habe keine Ahnung, wie viele Male ich in Tunesien war, es gab viele Hotelbetreiber, welche eine Anlage von uns kaufen wollten, wenige hatten das Geld, noch weniger die passenden Beziehungen um die begehrte Brauereilizenz zu erhalten. Diese vielen Reisen nach Tunesien haben mir auch die Gelegenheit gegeben, so ziemlich alle touristisch genutzten Orte zu besuchen, auch Sidi Bouzid, wo sich wenige Monate nach meinen letzten Besuch „angeblich“ ein Gemüsehändler als Protest gegen eine nicht mehr verlängerten Lizenz für einen Marktstand selbst angezündet hat. „Angeblich“ schreibe ich absichtlich, denn ich habe so viele Versionen davon gehört, wie Alladin Nächte mit seiner Wunderlampe verbrachte.

Was mir im Sommer 2014 schon auffiel, war die omnipräsenten Symbole des Islam, anders als im restlichen Land, trugen viele Frauen Kopftuch und die Männer waren traditionell gekleidet. Schon damals erfuhr ich Anfeindungen gegen Geländefahrzeuge von Touristen, welche von dort ihre Wüstensafaris begannen. Daß Sidi Bouzid überwiegend vom Tourismus lebte, hat man da offenbar schon vergessen. Leider war meine Dolmetscherin zu dieser Zeit schon nach Italien ausgewandert, wo sie heute stellvertretende kaufmännische Direktorin einer Privatklinik ist. Also war ich auf meine äußerst bescheidenen Französischkenntnisse angewiesen und schnell ergaben sich bei der Durchfahrt von Sidi Bouzid gefährliche Situationen. Schon damals hatte ich das Gefühl, daß da irgendwer eine Lunte zu einer großen Bombe angezündet hatte.

Am 8.Jänner 2011 bin ich mit dem eigenen Firmengeländewagen über Carthage nach Tunesien eingereist, im Kofferraum 500kg Werkzeug für die Montage einer großen Anlage in Sousse. Die Ankunft im Hafen von Carthage am späten Abend war gespenstisch. Wenig Strassenbeleuchtung, leere Strassen, unzählige zertrümmerte Fahrzeuge, einige ausgebrannte Villen (man muß wissen, Carthage war das Nobelviertel von Tunesien), ausgebrannte Restaurants, tausende Steine in Wurfgröße auf der Strasse, Strassensperren mit Betonblöcke.... Glücklicherweise hatte ich noch in Genua vor der Verschiffung meinen Wagen vollgetankt und noch Treibstoffvorräte mitgenommen, ich hatte so eine Ahnung.... Die vielen Tunesier, welche die Fahrzeuge soll vollluden, daß die Radaufhängungen auf den Enddämpfern anstanden, lachten mich aus, weil der Diesel in Tunesien nur wenige Cent kostet. Nun, ich war wahrscheinlich der einzige, welcher sein Fahrziel in dieser Ankunftsnacht erreichte, denn auch alle Tankstellen waren geschlossen und teilweise sogar verbarrikadiert. Als ich dann schließlich auf der Autobahn von Tunis nach Sousse unterwegs war, ganz alleine, rollten mir zig Panzertransporter mit schweren Kampfpanzer (vermutlich M60A1) in Richtung Tunis entgegen.

Bei der Autobahnabfahrt Port El Kantaoui war die nächste Strassensperre zu passieren, massive Militärkräfte, aber alle freundlich und informativ. Offenbar war der Befehl, die Touristenzonen zu schützen, denn es war Hochsaison und die meisten Hotels ausgebucht. Von da an gab es bei jeden Kreisverkehr, praktisch alle 2 bis 3km Strassensperren, welche es zu passieren gab.

Um Mitternacht erreichte ich schließlich das Hotel meines Kunden in Sousse, schwer bewacht mit eigener Security, ohne Waffen...

Zu dieser Zeit rechnete ich noch nicht mit einer nachhaltigen Krise und ich hatte das Gefühl, das Militär hat alles im Griff, mein Kunde war mit Ben Ali befreundet (warum wohl...) und auch der Präsident schien noch guten Mutes zu gewesen zu sein.

Am nächsten Tag schließlich schien sich die Situation zu entspannen, es war Zeit meine Monteure vom Flughafen in Tunis abzuholen, Diesel gab es in Sousse und mein Tank erlaubte ausreichend Reichweite. Ich habe es vermieden, nach Tunis hinein zu fahren und erreichte den Flughafen über die Schnellstrasse. Irgendwie war die Situation schon etwas gespenstisch, es lag etwas in der Luft, was niemand beschreiben wollte oder konnte.

Zurück in Sousse mit meinen Monteuren (es wurde allen freigestellt zu reisen, meine Mitarbeiter sind meine erweiterte Familie), erreichten wir gerade noch vor der Ausgangssperre das Hotel. Ich hatte so das Gefühl, daß in dieser Nacht noch etwas passieren würde, versteckte meinen Wagen in der Nähe des Hotelpools und versteckt unter einem Tarnnetz, welches ich für wenig Geld einem Fahrer eines Militärjeeps abkaufte. Um 22:00 schließlich brach die Hölle los, bis um 5 Uhr früh andauerndes Maschinengewehrfeuer, teilweise ganz in der Nähe des Hotels. Offenbar hatten am Vortag schon eine Menge Touristen das Hotel verlassen, denn mein Kunde übersiedelte alle Gäste mit Zimmern zur Stadt auf die andere Seite, ein weiser Zug, denn am nächsten Tag konnten zahlreiche Einschußlöcher an der Hotelfassade gesehen werden. Rauch stieg auf aus einigen Gebäuden, Supermärkte, das Rathaus brannte und es war nirgendwo mehr eines der Millionen Portraisfotos von Präsident Ben Ali zu sehen. Ich nutzte den Tag, um meinen Geländewagen fluchtbereit zu machen, Tank voll, Reservekanister waren noch voll und ein Notplan lag bereit. Aussenministerium und Botschaft war informiert. Dennoch hatten wir den Eindruck, solange wir das Hotel nicht verlassen, waren wir sicher. Als am nächsten Tag die letzten Touristen das Hotel verließen, sah man die Traurigkeit der Hotelmitarbeiter, sie wußten, was das bedeutet. Abermals wurden unsere Zimmer gegen jene im Kernbereich beim Lift und Stiegenhaus getauscht, die Restaurants geschlossen, am Ende zählte ich noch etwa 15 Mitarbeiter, das Hotel hatte damals 1100 Betten (!!). Wir taten das, wofür wir gekommen sind, die Brauerei zu montierten und dazu arbeiteten wir jeden Tag bis zu 15 Stunden um so schnell als möglich abreisen zu können. In jeder weiteren Nacht wurde geschossen, erst als Ben Ali spektakulär das Land am 14.Jänner spät abends das Land verließ, der zweite Flieger mit dem Gold und Geld wurde am Start gehindert, hörte die Schießereien auf. Ich erkundete Sousse am nächsten Morgen und die vielen Blutlachen waren Zeugen der Brutalität der Kämpfe.

Der Flugverkehr war mittlerweile unterbrochen, aber Lufthansa organisierte noch einen letzten Flug für die restlichen Touristen aus Tunesien und für diesen hatte ich meine Mitarbeiter gebucht und auch sicher zum Flughafen bringen können. Auch die Montage konnte beendet werden, die Anlage wurde ob der unsicheren Zukunft von mir noch konserviert und ich habe dann Tunesien am 19.Jänner mit der letzten Fähre der Grimaldi Lines verlassen können, allerdings mit Heckschaden, ein Tunesier ist mir bei der roten Ampel hinten ungebremst aufgefahren. Die Insassen hatten Glück, der Peugeot allerdings war nicht mehr rollfähig. Polizei war auch keine zu bekommen für einen Unfallbereicht, daher mußte ich am Ende auch meinen Schaden von 18.000,- selber bezahlen. Die Auspuffanlage konnte ich noch auf der Strasse reparieren (Material und Akkumaschinen waren im Kofferraum), sodaß ich dann auch die Strecke Civitaveccia – Wien bewältigen konnte.

Vier Tage später erreichte ich Wien, die Brauerei war für drei weitere Jahre nicht in Betrieb genommen worden, das Hotel war zwei Jahre komplett geschlossen, über 350 Mitarbeiter verloren ihren Job und auch heute noch fährt das Hotel mit nicht mehr als 30%.

Für Tunesien begann mit der Revolution der wirtschaftliche Niedergang. Der Tourismus ist tot, hundertausende Menschen in der Hotellerie und Gastronomie verloren ihren Job, tausende Zulieferbetriebe mußten schließen, zehntausende Näherinnen in den vielen Fabriken, welche für LaPerla und andere Damenwäschekonzerne feinste Spitze nähten, sind arbeitslos, Banken pleite, die Mietwagenfirmen der Tribelsi-Familie zugesperrt, keine Devisen mehr für Importe. Wirtschaftlich hat sich Tunesien um 100 Jahre zurückrevolutioniert...

...war das notwendig ? Muß „westliche Demokratie“ um jeden Preis erkämpft werden ? Ist ein autoritärer Staat wirklich schlimmer als religiöser Fanatismus ? Wieviele von den Flüchtlingen aus Syrien vor der „Revolution“ hatten einen guten Job, ein eigenes Dach über den Kopf, funktionierende Schulen und Universitäten?

Ich weiß, was ich hier jetzt schreibe, wird wieder einige auf den Plan rufen. Der Krieg in Syrien wurde nicht von Assad angezettelt, sicher, der will seine Macht um keinen Millimeter aufgeben, vielleicht auch, weil er gesehen hat, wohin die Revolution in Tunesien und Libyen geführt hat und vorallem, wer die Speerspitze der Revolutionäre sind. Es sind nämlich ausnahmslos religiöse Fanatiker und gewöhnliche Kriminelle, welche alle „ihren eignen“ islamischen Staat errichten wollen...

Wenn man seine Aggression gegen einen Staat und seine Repräsentanten/Führer freien Lauf gewährt, sollte man auch berücksichtigen, was passiert, wenn´s schief geht.

Viele der Flüchtlinge aus Syrien werden in diesem Zusammenhang auch ihre Geschichte erzählen können, wenn sie mal so ehrlich darüber sprechen wollten....

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