Familienpolitik? Abschaffen!

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld, wonach Eltern, die ihr Recht auf einen Kitaplatz für ihre Kinder nicht  in Anspruch nehmen, 150 Euro im Monat bekommen, gekippt. Nun jubeln die einen und die anderen raufen sich die Haare, aber ich würde noch einen Schritt weiter gehen: Nicht nur das Betreuungsgeld gehört abgeschafft, sondern generell jegliche „Familienpolitik“.

Stattdessen wünsche ich mir so etwas wie eine „Politik des guten Lebens“, die sich nicht mehr darum schert, wie Menschen in welchen Konstellationen eine „Familie“ bilden oder nicht, sondern die sich daran orientiert, was Menschen brauchen, wenn sie füreinander und für Hilfsbedürftige sorgen. Ganz egal, ob diese zu versorgenden Menschen nun Kinder, Großeltern, Nachbarinnen oder Geschwister sind, also in welcher verwandtschaftlichen Beziehung sie zueinander stehen.

Trotz aller sonstigen Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter lässt sich noch immer kein Trend zur vollen Erwerbsarbeit bei den Müttern ausmachen (und kein Trend zur vollen Fürsorgearbeit bei den Vätern). Daraus lässt sich aber nicht automatisch ablesen, dass noch nicht genug „Anreize” für eine solche Veränderung geschaffen worden sind, und genauso wenig, dass „die Leute es eben so wollen”. Es gibt nämlich noch eine dritte Möglichkeit, und zwar die, dass sie sich einfach rational und vernünftig entscheiden – für die am wenigsten schlechte Möglichkeit angesichts der Verhältnisse.

Und diese Verhältnisse sind eben so, dass man in ein Dilemma gerät, sobald Fürsorgearbeit zu leisten ist. Der Fall tritt in der Regel ein, wenn ein Kind zur Welt kommt, aber nicht nur dann. Es stellt sich immer häufiger auch im Fall von Pflegebedürftigkeit. Auch dann stehen viele vor der Frage: Soll ich meine Berufstätigkeit einschränken oder ruhen lassen, um mich um Eltern oder Schwiegereltern zu kümmern, und damit weniger Geld, weniger Aufstiegsperspektiven, weniger Einfluss in der Welt in Kauf nehmen? Oder soll ich versuchen, beides zu „vereinbaren” soweit es geht, auch wenn das Riesenstress bedeutet?

Der Skandal an dieser Stelle ist nicht, dass es häufig Frauen sind, die sich für Teilzeit oder Berufsunterbrechung entscheiden, damit sie Zeit haben, sich um andere zu kümmern. Der Skandal ist, dass sich diese Wahl überhaupt stellt. Weil wir ein Bild von „Familie” im Kopf haben, das unterstellt, dass Fürsorgearbeit etwas Privates sei, wobei die Gesellschaft höchstens an der einen oder anderen Stelle ein bisschen unterstützt, mit einer Steuererleichterung, einem Krippenplatz oder einem Stündchen Pflegedienst. Es wäre an der Zeit, über diese Familienperspektive hinauszudenken.

Fürsorgearbeit ist keine Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit. Wir alle sind dafür zuständig, dass Kinder gut versorgt werden, dass sich jemand um Kranke und Hilfsbedürftige kümmert. Die Qualität von Fürsorgearbeit, von „Care“, hängt schließlich nicht davon ab, ob sie innerhalb der Familie oder außerhalb gemacht wird. Es kann für Kinder gut sein, fast ihre ganze Zeit mit den Eltern zu verbringen, es kann aber auch schlecht sein. Es kann für Kinder gut sein, viel Zeit im Kindergarten zu verbringen, es kann aber auch schlecht sein. Kommt auf das Kind, die Eltern und die Kita an. Auch was ein guter Kuchen ist, hängt ja nicht davon ab, ob ein Bäcker ihn gemacht hat oder die Oma, ob dafür Geld bezahlt wurde oder nicht, sondern davon, ob er schmeckt. Genauso kann Pflege sowohl zuhause wie auch im Heim gut gemacht werden – und in beiden Fällen auch schlecht.

Die Politik sollte deshalb nicht länger darüber nachdenken, welche Familienpolitik sie machen will, welche Lebensformen also staatliche Unterstützung bekommen und welche nicht. Sondern sie sollte darüber nachdenken, welche generellen Rahmenbedingungen nötig sind, damit Sorgearbeit den Platz in der Volkswirtschaft bekommt, der ihr von ihrer Bedeutung her zusteht.

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Silvia Jelincic

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Hansjuergen Gaugl

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