Was die Rente von Herrn Winterkorn mit meinem Esstisch zu tun hat

Soso, Martin Winterkorn bekommt also 3100 Euro Rente – pro Tag! Der VW-Chef, unter dessen Verantwortung der Konzern in großem Stil bei der Messung von Abgaswerten betrogen hat und deshalb Strafen in Milliardenhöhe zahlen musste, kann es sich nach seinem Rücktritt also gut gehen lassen. Er bekommt am Tag so viel, wie die allermeisten Rentnerinnen und Rentner im Monat nicht.

Soll man sich darüber überhaupt noch aufregen? Oder haben wir uns nicht in Wahrheit längst daran gewöhnt, dass die Einkommen ungerecht verteilt sind, und ein Schlagzeile gibt es bei Winterkorn nur deshalb her, weil er ganz offensichtlich schlechte Arbeit abgeliefert hat? Nur: Mit Leistung haben Managergehälter doch sowieso schon lange nichts mehr zu tun.

Ich möchte hier die Aufmerksamkeit weg von der Gerechtigkeitsfrage richten und hin zu einem anderen Problem: Dass nämlich der zunehmende Reichtum von Männern wie Winterkorn bei gleichzeitiger Stagnation und Abnahme der unteren Einkommen auch ein Grund dafür ist, warum der Markt als Mechanismus zur sinnvollen Produktion und Verteilung von Gütern nicht mehr funktioniert. Die Theorie des freien Marktes besagt ja, dass Angebot und Nachfrage regeln, was produziert und zu welchem Preis verkauft wird. Das, was die Leute wollen und brauchen, wird hergestellt, weil es sich verkaufen lässt.

Aber das funktioniert eben nur, wenn die Leute auch halbwegs ähnlich viel Geld haben. Wenn nämlich das ganze Geld in der Hand von wenigen ist, dann produziert der Markt das, was diese paar Leute haben wollen, während das, was die vielen anderen Leute mit wenig Geld haben wollen, niemanden interessiert. Ihnen fehlt eben die „Kaufkraft“, die es braucht, um sich auf dem freien Markt Gehör zu verschaffen.

Dass die ungerechte Geldverteilung dazu führt, dass wichtige und sinnvolle Dinge schlichtweg nicht mehr zu bekommen sind, habe ich kürzlich am eigenen Leib zu spüren bekommen – nämlich als ich versucht habe, mir einen Esstisch zu kaufen. Einen soliden Esstisch aus massivem Holz, der lange halten würde, idealerweise für den Rest meines Lebens, an dem man schön und bequem sitzt. Dafür war ich auch bereit, ein paar hundert Euro auszugeben.

Ein banaler und sinnvoller Wunsch, sollte man meinen, und Esstische müsste es ja auf dem Markt eigentlich geben wie Sand am Meer, denn jeder Haushalt braucht schließlich einen. Aber. Was ich fand, das waren einerseits wackelige Plastik- oder Pressspan-Hässlichkeiten für 50 oder 70 Euro und andererseits edle Schicki-Micki-Designerstücke ab 1500 Euro aufwärts. In der soliden Mitte, die auf Qualität Wert legt, aber auf Markennamen und angeberischen Schnickschnack nicht – gähnende Leere.

Seither beobachte ich das, und stelle diesen „Marktmechanismus“ bei vielen Konsumartikeln fest. Es wachsen die Billig- und die Luxussegmente, aber die Mitte dünnt aus. Man kann das dem Markt nicht vorwerfen, er folgt einfach nur der Nachfrage. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass aufgrund dieses Mechanismus die Warenwelt immer sinnloser wird.

Die wachsende Ungleichheit der Einkommen ist nicht nur ungerecht, sie führt auch dazu, dass die "Marktmechanismen" keine richtigen, sondern falsche Weichen für die Produktion stellen: Wer 3100 Euro Rente am Tag bekommt, dem sind Preise für Tische piepegal. Der kann sich jeden Tag einen Designertisch von 1500 Euro kaufen und hat immer noch Geld im Überfluss. Also warum nicht an jeden guten Tisch ein Schnickschnack-Etikett kleben und den doppelten oder dreifachen Preis dessen nehmen, was der Tisch - bezogen auf Material und Herstellung - eigentlich kosten müsste? Das erhöht schließlich den Profit. Und wer von 400 Euro Hartz IV lebt, der kann sich sowieso nichts anderes leisten als ein Plastikwackelteil.

Bloß: Dann gibt es irgendwann keine guten Tische mehr auf der Welt.

shutterstock/Urheberrecht: lev radin

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