Adventgeschichte: Das gewebte Bild (1): Ankunft im Nirgendwo

Maria von Matialis machte ihrem Namen immer und überall die gebührende Ehre. Martialisch, fest und entschlossen war ihr Auftreten. Niemals ließ sie auch nur den geringsten Zweifel an ihrer Entschlossenheit. Unter normalen Umständen. Aber das waren ganz bestimmt keine normalen Umstände. Nicht nur, dass sie die Stadt mit all ihren Annehmlichkeiten hinter sich gelassen hatte, sie steuerte auch direkt das Nirgendwo an.

„Rottal, 81 Einwohner“, spukte es ihr im Kopf herum, „Mein Gott, was will ich dort? Das muss schon ein verdammt großer Batzen Geld sein, dass sich das auszahlt.“

Umso weiter sie sich von der Großstadt entfernte, desto leerer wurden die Straßen. Sie spürte wie sich ihr der Hals zuschnürte. Selbst der Himmel schien sich immer mehr zu verdüstern, passend zu ihrer Stimmung. In Gmünd hielt sie noch einmal an. Eine letzte Nacht noch in der Zivilisation zu verbringen war ihre Absicht, so weit das für Gmünd überhaupt noch zutraf. Zu ihrer Überraschung fand sie ein passables Hotel. Natürlich war es kein Vergleich zu dem, was sie gewohnt war, aber die Zimmer waren sauber und das Bad angenehm. Während sie im warmen Wasser entspannte, immer wieder an ihrem Sekt nippend, versuchte sie so wenig wie möglich an den nächsten Tag zu denken, der so unausweichlich kam wie die Ebbe nach der Flut. Aber sie fühlte sich gestärkt, als sie nun endgültig den nächsten Schritt tat, hinaus aus einem Ort, der noch halbwegs danach aussah, hinein in die Wildnis.

„Alles ist zu überstehen, wenn man ein Ziel vor Augen hat“, sagte sie sich immer wieder vor.

Sachte schlängelte sich die Straße durch die Landschaft, aber Maria hatte kein Auge für Landschaft, die doch nichts weiter war als die Abwesenheit von zivilisatorischen Eingriffen. Wild und ungezähmt, das war Landschaft. Wenn es nach ihr ginge, so dürfte das auf gar keinen Fall so bleiben, aber im Gegensatz zu den Menschen, die hier wohnten, konnte sie wieder zurück. Ihre Wohnung kam ihr nicht abhanden.

„Wie konnte man nur freiwillig hier wohnen?“, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf, während sie gehorsam den Anweisungen ihres Navigationsgerätes folgte. Immer seltener wurden die menschlichen Behausungen, und entsprechend der Abstand zwischen dem einen und dem nächsten größer. Nur noch wenige Kilometer, dann würde sie es geschafft haben, aber diese wenigen letzten Kilometer entwickelten sich immer mehr zum Alptraum, denn zu allem Überfluss hatte ein wildes Schneetreiben eingesetzt, so dass die Sicht zusehends schlechter wurde. Ein heftiger Sturm fegte den Schnee auf die Fahrbahn, so dass Maria gezwungen war langsamer zu fahren. Der Himmel verdunkelte sich. Wo war die Fahrbahn geblieben? Plötzlich blieb das Auto stecken. Verärgert trat sie das Gaspedal durch, ließ den Motor aufheulen, doch die Räder drehten nur durch und wirbelten den Schnee auf. Sonst tat sich nichts. Nach etlichen erfolglosen Versuchen ließ sie sich erschöpft in den lederüberzogenen Sitz sinken. Es war aussichtslos. Was sollte sie tun? Schließlich konnte sie nicht einfach hier bleiben und warten bis der Frühling kam.

„Hilfe!“, schoss es ihr durch den Kopf, „Du musst Hilfe holen. Aber woher?“ Dumpf erinnerte sie sich, dass sie an einem Vierkanthof vorbeigekommen war. Obwohl sie keine Ahnung hatte wie lange das her war, entschied sie doch es zu versuchen, denn ein Bauernhof, das bedeutete vermutlich, dass es dort einen Traktor gab, der sie bergen konnte. Gegen den Schnee und den Sturm kämpfend stapfte sie über die menschenleere Landstraße. Die Nässe und die Kälte fraßen sich durch ihre Stiefel und ihre Kleidung. Klatschnass erreichte sie den Hof, während die Dämmerung bereits einsetzte, doch es machte keinen großen Unterschied mehr, so sehr hatte sich der Himmel bereits verdunkelt.

„Mein Gott, was ist denn mit Dir?“, empfing sie die Bäuerin, sich die Hände an der Schürze trockenwischend in ihrem breiten Waldviertler Dialekt, „Komm mal rein und wärm Dich auf.“

„Das ist sehr freundlich, aber ich muss weiter, und mein Auto, das hängt im Schnee fest“, erklärte Maria rasch.

„Das werden wir heute nicht mehr finden“, meinte die Bäuerin kopfschüttelnd, „Wo willst denn hin?“

„Zu meiner Großtante, die wohnt nicht weit von hier“, entgegnete Maria, „Aber was ist mit meinem Auto?“

„Großtante? Das kann nur die Zirbenbäuerin sein“, überlegte die Bäuerin, während sie die Hände resolut in die breiten Hüften stemmte.

„Magdalena Zwick heißt sie“, meinte Maria erschöpft.

„Ja, sag ich doch. Das ist wirklich nicht weit. Der Luisl wird Dich hinbringen, und wegen dem Auto, das schauen wir uns morgen an“, meinte die Bäuerin mit einer Ruhe, als wäre es eine Kleinigkeit, „Luisl! Komm bring die Dame zur Zirbenbäuerin.“ Auf den Ruf folgten laut vernehmliche Schritte und ein großer, derber Mann erschien im Türrahmen, den er fast vollständig ausfüllte.

„Das ist mein Sohn“, erklärte die Bäuerin an Maria gewandt, „So gut er auch bei der Arbeit ist, so langsam ist er im Kopf.“ Damit wandte sie sich ihm wieder zu, „Was ist jetzt?“

„Muss das sein“, erwiderte er langsam.

„Ja, das muss sein“, erklärte die Mutter, und so saß Maria wenige Augenblicke später im Führerhaus des Traktors, eingezwängt zwischen der Tür und dem Luisl. Wie froh war sie, als sie ein einsames Gehöft ansteuerten. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, doch aus den Fenstern strömte ein warmes, einladendes Licht. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass sie einmal dankbar sein würde einfach irgendwo anzukommen, und sei es mitten im Nirgendwo. Dieses Häuschen erschien ihr wie die letzte, unbezwingbare Bastion gegen das Absinken ins Nichts. Da ging die Tür auf und eine schlanke Gestalt erschien. Langsam schritt sie auf den Traktor zu.

„Grüß Dich Gott Luisl. Was machst denn hier bei mir bei so einem Wetter?“, fragte die Frau.

„Grüß Gott Zirbenbäuerin“, erwiderte der Luisl höflich, „Ich bring Dir da jemanden mit. Die Mutter hats angschafft.“ Langsam schälte sich Maria aus den Winkel der Fahrerkabine, in die sie sich gekauert hatte.

„Maria“, strahlte die Zirbenbäuerin, als sie sie erkannte, „Schön, dass Du da bist.“

„Hallo Tante Magdalena!“, gelang es Maria noch zwischen den blau gefrorenen Lippen hervorzupressen. Kurz darauf war sie im Warmen.

Das Häuschen war klein aber gemütlich. Da war nicht viel, aber dennoch wirkte es nicht arm, nicht so, wie sie die Armut kannte, heruntergekommen und verwahrlost. Vielmehr war es sauber und gepflegt. Ein warmes Bad stand bereit, und nachdem sie sich darin endlich wieder erwärmt, die nassen Kleider gegen trockene getauscht hatte, saß sie neben ihrer Tante vor dem Kamin und trank in kleinen Schlucken Tee, süßen, kräftigen Tee. Es war ihr, als würde sie zum ersten Mal in ihrem Leben spüren was Wärme ist. Es war gut angekommen zu sein.

„Schön, dass Du da bist“, wiederholte die Tante. Das Feuer züngelte im Kamin. Ruhig und bezähmt, und doch voller Kraft. Maria dachte, ihre Tante wirkte, als wäre sie wie dieses Feuer. Sie war angekommen und wusste sich angenommen. Vielleicht war es das, was sie in ihrem Leben immer vermisst hatte, was sie weder in teuren Kleidern noch in sonstigen käuflichen Dingen gefunden hatte, ein Angenommen-sein. Hier am Ende der Welt musste es ihr passieren, mit aller Selbstverständlichkeit. Aber vielleicht war es einfach nur die Erschöpfung, die sie weich werden ließ. Wer konnte das schon so genau wissen. Kurze Zeit später schlief sie ruhig und zufrieden ein.

Und es war der erste Tag des Advent und eine weitere Zeile im Webbild, das ihr Leben war. Noch war es nicht zu erkennen, denn es war etwas völlig Neues, was hier seinen Anfang nahm.

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