Mein Bruder ist zurzeit in den USA und hat mir einige Fotos aus Miami geschickt. Wunderbar. Die Palmen, das Meer, die Architektur am Ocean Drive. Warum wurde ich in Gelsenkirchen geboren und nicht in Miami? Wäre aus mir etwas komplett anderes geworden? Würde ich das Meer so lieben wie heute, wenn es jeden Tag vor meiner Haustür wäre? Würde ich für den exotischen Kitzel nach Duisburg fliegen? Oder mir Neuschwanstein ansehen? Man weiß es nicht.

Noch im Bett schaute ich mir auf Instagram einige beeindruckende Landschafts- und Stadtfotos aus dem pazifischen Raum an. Auf letzteren meinte ich, Zuversicht und Optimismus der Menschen dort spüren zu können. Dort ist noch Kühnheit. Dort ist noch jugendlicher Übermut. So jung, diese Völker dort.

Später legte ich das Tablet zur Seite, stieg aus dem Bett und startete mit einer Tasse Kaffee bewaffnet den PC. Ich war wieder in Europa, diesem vergreisten, zu Zerfall und Untergang verurteilten Kontinent. Wo der Blick der Menschen rückwärtsgewandt ist, wo man sich intellektuell gegenseitig zerfleischt, nach Deutungshoheit über Vergangenheit und Gegenwart strebt, weil man schon lange aufgehört hat an die Zukunft zu glauben. Wo selbst Kinder im Namen einer dubiosen Klimaideologie ihre Eltern verachten und am liebstes alles gleich sofort in die Tonne kloppen möchten.

Europa, der Kontinent der Eiferer, der hinter seinem Größenwahn kaum mehr die zunehmende Bedeutungslosigkeit verstecken kann. Wo man die Grenzen geöffnet hat und sich großmütig und selbstzerstörerisch vor Afrika verneigt. Wo kriminelle Regime die Menschen zwingen, mit ihrer Arbeit Fremde zu unterhalten. Wo man technologisch schon längst in die zweite Liga abgerutscht ist und deshalb die Innovationskraft beim Bau gotischer Kathedralen feiert. Erinnerung an die großen Zeiten, die vergessen machen, dass aus Europa nicht nur die großen Bauherren kamen, sondern auch die großen Völkermörder, die rund um den Globus eine blutige Spur hinterlassen haben.

Ach, Europa, vergreister und altersstarrsinniger Kontinent! Deine Zeit ist um. Nichts ist gering genug, als dass es dir nicht ausreichte, Gift und Galle zu versprühen. Selbst im nahezu Privaten der Social Media ist der Hass allgegenwärtig. Ob jemand für Notre-Dame spendet oder für hungernde Kinder, ist schon Anlass genug für Klugscheißer aller coleur ihre unmaßgebliche Meinung abzusondern. Im Großen wie im Kleinen spürt wohl jeder den Bedeutungs- und Zukunftsverlust und umso verbissener wird um Deutungshoheit gerungen, während rund um den Pazifik die Zukunft gebaut wird.

An Karfreitag erlaube ich mir als Atheisten, Gott ins Spiel zu bringen. Ja, den, der wie mir scheint, seine segnende Hand über Jahrhunderte über Europa und seine Völker gehalten hat und sie zu Außergewöhnlichem befähigt hat. Ich habe keinen Zweifel, dass er seine Hand abgezogen hat. Vielleicht hält er sie nun über den Pazifik und seine Anrainer?

Europa wird sich selbst zerfleischen. Migration und Islam sind nicht Ursache, sondern eine von vielen Folgen. Ideologen, Klugscheißer und Pseudointellektuelle ringen verbissen um Diskurshoheit. Jeder gegen jeden, in den großen Arenen und auf dem privaten Spielfeld. Jeden Tag wird eine neue Sau durch die Medien getrieben und die Wellen der Empörung schlagen höher. Moralische Verzückung ersetzt Zukunftszuversicht. Aus einer Spaltung ist längst eine Zersplitterung geworden, die zunimmt.

Vielleicht muss man ein Spinner sein oder einen siebten Sinn haben, um die Hilflosigkeit und Verzweiflung zu spüren, die hinter all dem steht. Ertrinkende, die auf alles einschlagen, was in ihrer Nähe ist.

Ich beneide meinen Bruder in Miami. Sicherlich ist es nicht das Paradies. Aber ich schätze, den Menschen dort ist noch eine gewisse Großzügigkeit in Denken und Handeln zu Eigen. Verbissenheit , Reglementierungswahn und Weltverbesserungsphantasien haben noch nicht über die Lebensfreude obsiegt. Der Klimawahn bestimmt dort nicht den Diskurs und trübt den Zukunftsoptimismus. Klugscheißer werden eher bemitleidet als gefeiert. Das Meer ist nah und den nächsten Hurrikan, den es sicher bringt, wird man auch überleben. Das Leben wird weitergehen.

Die Europäer hängen derweil an ihrem selbstgezimmerten Kreuz und krakeelen ihre düsterbitteren Erlösungsphantasien hinaus. Das interessiert nur keinen. Genau so wenig, dass sie mal Kathedralen bauen konnten, vor langer, langer Zeit.

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