Eskalation statt Diplomatie – wozu das führt, macht der Angriff Irans vom 13. April deutlich

Screenshot | scottritterextra.com

"Sie wissen sehr wohl, dass ein Angriff auf eine diplomatische Mission nach internationalem Recht ein casus belli ist. Und wenn westliche Missionen angegriffen würden, würden Sie nicht zögern, Vergeltung zu üben und Ihren Fall in diesem Raum darzulegen. Denn für Sie ist alles, was westliche Missionen und westliche Bürger betrifft, heilig und muss geschützt werden", sagte Russlands Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebenzya, bei der am vergangenen Sonntag von Israel einberufenen Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates zum iranischen Vergeltungsschlag gegen Israel und bezeichnete den dortigen Auftritt der westlichen Verbündeten als "eine Parade der Heuchelei und Doppelmoral". Nun, jedenfalls ist es keine Diplomatie.

Bei der am 2. April, einen Tag nach dem israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus von Russland einberufenen Sitzung des UNSC, verhinderten die USA, England und Frankreich mit ihrem Veto eine Verurteilung des israelischen Angriffs durch den Rat und blockierten somit Sanktionen gegen Israel. Überraschend? Wohl eher nicht.

Trotz "intensiver Beratungen" (von einem heftigen Schlagabtausch zwischen dem iranischen und israelischen Delegierten wurde berichtet) verurteilten letztlich nur die die ständigen Mitglieder USA und Großbritannien den Angriff des Iran auf Israel. Konkrete Maßnahmen oder gar Sanktionen wurden (vorerst) nicht beschlossen.

UN-Generalsekretär António Guterres forderte von allen Seiten "maximale Zurückhaltung". In seiner Rede verurteilte er erneut den iranischen Angriff auf Israel sowie den Angriff auf das iranische Konsulatsgebäude in Damaskus und betonte darüberhinaus, "es [sei] jetzt an der Zeit, vom Abgrund zurückzutreten, den Konflikt zu entschärfen und zu deeskalieren". Hört hört. Israels UN-Botschafter Gilad Erdan dürfte das weniger gefallen haben, hatte er doch gefordert, "alle möglichen Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, bevor es zu spät [sei]". Insbesondere die iranischen Revolutionsgarden müssten als Terrororganisation eingestuft werden.

Aber so läuft das nun mal bei den Vereinten Nationen. Das altbekannte Spielchen, das man zur genüge aus den Sitzungen zum Ukrainekrieg oder zum Krieg in Gaza kennt — Veto Pong..

DeepThought_2023

In der Zwischenzeit darf weiter gestorben und weiter eskaliert werden.

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In der Berichterstattung der westlichen Propagandamedien ging es derweil vornehmlich darum, zu betonen, dass Israel von vier "Schurkenstaaten" (Iran, Irak, Libanon, Jemen) angegriffen worden war (z.B. BBC) und dieser Angriff dank des heroischen Einsatzes israelischer, amerikanischer, britischer und jordanischer Luftstreitkräfte sowie einem eindrucksvoll funktionierenden "Iron Dome" quasi in der Luft verpuffte (Ohh!...Ahhh! Oder so ähnlich.).

Man fragt sich allerdings, was mit den Trümmern der angeblich 99% abgefangenen Flugkörper geschehen ist – die müssen ja irgendwo runtergefallen sein und vermutlich auch Schaden angerichtet haben. Ich frage nur so, weil es ja hieß, es sei ein Mädchen leicht verletzt worden. Vielleicht waren es aber auch gar nicht so viele Flugkörper, wie überall behauptet wird. Und vielleicht sind ja doch ein paar der Geschosse "irgendwo" eingeschlagen. Dazu später mehr.

Über den Auslöser für Irans Vergeltungsschlag war zunächst nur wenig stichhaltiges zu erfahren. Insbesondere nicht in den deutschen Medien. Fast unisono waren dort keine kritischen Töne – anders als beispielsweise in amerikanischen Medien – zu hören bzw. wurde der israelische Luftangriff als moralisch gerechtfertigter Schlag gegen ein Treffen zweier hochrangiger Generäle der iranischen Revolutionsgarden mit Vertretern der von Iran unterstützten Hisbollah bestenfalls beiläufig erwähnt.

Dass bei dem Angriff gleich mehrfach internationales- und Völkerrecht gebrochen wurde (Irans Botschaft ist iranisches Hoheitsgebiet und Syrien ein souveräner Staat), schien indes niemanden zu interessieren. Macht aber auch nichts, da die USA ja seit Jahren in Syrien operieren, quasi dort schon fast "heimisch" sind und ihre israelischen Buddies ohnehin regelmäßig Luftangriffe gegen Damaskus und andere Ziele in Syrien fliegen.

Soviel zur westlichen Doppelmoral, die Wassili Nebenzya bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats ansprach. Völkerrecht nur, wem Völkerrecht gebührt. Man stelle sich einmal vor, was jetzt los wäre, hätten der Iran, die Hisbollah oder gar Syrien die amerikanische Botschaft in Jerusalem in Schutt und Asche gelegt...

Während in der Tagesschau vom 2. April noch von einem "mutmaßlich israelischen Angriff" die Rede war, entblödete sich ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am 3. April in der Bundespressekonferenz nicht, zu behaupten, es gäbe "andere Quellen" (Reuters), die bestreiten, dass es sich bei dem Ziel des israelischen Luftangriffs auf Damaskus um das iranische Konsulatsgebäude gehandelt habe. Interessant nur, dass in dem Reuters-Artikel genau das Gegenteil von dem zu lesen ist, was der Sprecher des AA, Sebastian Fischer, vorgetragen hatte.

Von seiner Chefin, Völkerrechtsexpertin Annalena Baerbock, war dazu indes nicht viel zu vernehmen. Die äußerte sich erst wieder in altbekannter manisch-Israel-solidarischer Weise, nachdem Israel für seinen Angriff auf das iranische Konsulat die durchaus erwartbare "Quittung" aus Teheran erhielt: "Wir verurteilen den laufenden Angriff, der eine ganze Region ins Chaos stürzen kann, aufs Allerschärfste", schrieb sie auf TwiXer und forderte, "der Iran und mit ihm verbündete Kräfte müssten die Attacke sofort einstellen". Müßig zu erwähnen, dass sie ihre hohlen Phrasen noch programmgemäß mit der (nicht nur) in der deutschen Politik (und nicht erst) seit Beginn des Gazakrieges üblichen reflexhaften Floskel, "Israel gilt in diesen Stunden unsere ganze Solidarität", ergänzte.

Wie naiv muss Baerbock sein, zu fordern, "Iran und mit ihm verbündete Kräfte müssten die Attacke sofort einstellen"? Und wie könnte Baerbocks Realitätsferne deutlicher werden, als in dem Satz "Wir verurteilen den laufenden Angriff, der eine ganze Region ins Chaos stürzen kann, aufs Allerschärfste"?

Angesichts der Tatsache, dass der Nahe und Mittlere Osten seit Dekaden ein Pulverfass sind und sich die Region nach den zahlreichen kriegerischen Konflikten, die dort größtenteils aufgrund geopolitischer Interessen des Hegemons USA stattfanden und weiter stattfinden, Baerbock fabulieren zu hören, dass "der laufende Angriff eine ganze Region ins Chaos stürzen kann", zeigt, wie erbärmlich weltfremd die oberste deutsche Außendiplomatin agiert. Da mag es auch kaum verwundern, dass sie einfach nicht merkt (oder merken will), wie sie mit ihren diplomatischen Tiefflügen, ihren mechanisch vorgetragenen Solidaritätsbekundungen und ihrem Festhalten an fortdauernden Waffenlieferungen die Eskalation immer weiter befeuert — nicht nur im Nahen Osten. "Die Region" befindet sich schon lange im Chaos und der Iran trägt dafür sicher nicht als erster und einziger die Verantwortung.

Und um nochmal auf den Begriff Doppelmoral zurückzukommen: Ich frage mich auch, ob all denjenigen, die bezugnehmend auf das israelische Vorgehen in Gaza so gerne mit dem Begriff "Selbstverteidigung" im Sinne des Artikels 51 der UN-Charta argumentieren und die nun den Iran wegen seines Vergeltungsschlages "aufs Allerschärfste" verurteilen, bewusst ist, dass auch der Iran als souveräner Staat und Mitglied der Vereinten Nationen im Falle eines bewaffneten Angriffs auf sein Hoheitsgebiet – was seine Botschaft in Syrien faktisch ist – dieses Recht auf "Selbstverteidigung" wahrnehmen kann und offensichtlich auch tut.

Trotz allem sollte man aber bedenken, dass "Selbstverteidigung" im Völkerrecht gelinde gesagt ein juristischer Kunstbegriff ist, der seit Bestehen der UN immer wieder von allen möglichen (aggressiven) Akteuren nach Belieben als Begründung für die abenteuerlichsten militärischen Eskapaden herangezogen wurde. So hatte beispielsweise die NATO ja auch nur "Verteidigungsabsichten", als sie 1999 Serbien bombardierte. Ebenso wie Deutschland nur "seine Freiheit" am Hindukusch "verteidigte". Ach ja, und das Töten von mehr als 30.000 Menschen in Gaza ist selbstverständlich auch ein mustergültiger Akt der "Selbstverteidigung".

Dass die iranische Führung bei ihrem Vergeltungsschlag übrigens gezielt auch die beiden israelischen Luftwaffenstützpunkte attackierte, von denen aus am 1. April der Angriff auf ihre Botschaft erfolgte sowie einen miltärischen Lauschposten auf den Golanhöhen, wird von der Politik und unseren Qualitätsmedien wie gewöhnlich allenfalls im Kleingedruckten erwähnt – möglicherweise weil das ja nichts mit Selbstverteidigung zu tun hat?

Dazu Scott Ritter in einem Beitrag vom 14. April (eigene Übersetzung):

"Die Ziele, die der Iran angriff - zwei Luftwaffenstützpunkte in der Negev-Wüste, von denen aus die bei dem Angriff auf das iranische Konsulat am 1. April eingesetzten Flugzeuge gestartet worden waren, sowie mehrere israelische Luftverteidigungsanlagen - standen in direktem Zusammenhang mit den Argumenten, die der Iran bei der Festlegung von Umfang und Ausmaß seiner Abschreckungspolitik vorzubringen versuchte. Erstens, dass die iranischen Aktionen gemäß Artikel 51 der UN-Charta gerechtfertigt waren - der Iran übte Vergeltung an jenen Zielen in Israel, die in direktem Zusammenhang mit dem israelischen Angriff auf den Iran standen - und zweitens, dass israelische Luftverteidigungsanlagen für iranische Angriffe anfällig waren." […]

"Aus iranischer Sicht stellte der Angriff auf das Konsulat eine rote Linie dar, die, wenn keine Vergeltungsmaßnahmen ergriffen würden, jeden Gedanken an Abschreckung zunichte machen und die Tür für noch dreistere israelische Militäraktionen öffnen würde, bis hin zu direkten Angriffen auf den Iran."

Indes, der iranische Vergeltungsschlag hätte möglicherweise verhindert werden können, wie Jens Berger auf den Nachdenkseiten erläutert:

"Diplomatie hätte die iranische Reaktion auf diese Eskalation verhindern können." […]

"Noch am letzten Donnerstag meldete die iranische UN-Delegation, dass eine Verurteilung des israelischen Angriffs auf das Konsulargebäude eine Vergeltungsmaßnahme wohl erübrigt hätte. Doch dazu kam es bekanntermaßen nicht und Iran sah sich gezwungen, zur "Vergeltung" den Drohnen- und Raketenangriff durchzuführen. Ob dies nun völkerrechtlich als angemessene Reaktion gelten kann, ist sicherlich fragwürdig. Doch wer sollte Iran von dieser weiteren Eskalation abbringen, wenn zumindest der Westen seine diplomatischen Kanäle nach Teheran gekappt hat und sich bei Konflikten zwischen Iran und Israel ohnehin stets auf die Seite Israels schlägt? Der Westen trägt somit zumindest eine Mitverantwortung für die jüngste Eskalation – sie hätte vermieden werden können."

Man kann es drehen und wenden wie man will, Eskalation hat noch nie zur Beendigung von Konflikten geführt. In der Ukraine wird weiter gestorben, in Gaza, in Syrien oder im Sudan — wo die Diplomatie versagt, türmen sich die Leichenberge. Daran ändert auch Irans Vergeltungsschlag nichts. Weitere Eskalation, vor allem aktuell im Nahostkonflikt, wird mit Blick auf die derzeitige geopolitische Gesamtwetterlage über kurz oder lang zur Katastrophe führen. Dann jedoch wird es für Diplomatie zu spät sein!

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