Warum das Bundespräsidentenwahlgesetz dringend geändert werden sollte

Alexander Van der Bellen hat also "gewonnen", allerdings wahrscheinlich auf eine Art und Weise, die so problematisch ist wie keine Präsidentenwahl jemals zuvor.

Erstens war erstaunlich bzw. logisch, dass aufgrund des verunglückten österreichischen Bundespräsidentenwahlgesetzes die Vertreter zweier Extrempositionen in die Stichwahl kamen, nämlich der migrantenfreundlichsten und der migrantenskeptischsten Partei.

Weiters ist problematisch, dass Van der Bellen ohne die Hilfe von Medien und manipulativen Umfragen wahrscheinlich gar nicht in die Stichwahl gekommen wäre.

Die Umfragen vor dem ersten Wahlgang hatten Van der Bellen um bis zu 15% überbewertet, hingegen Griss, Khol und Hundstorfer um ähnliche Beträge unterbewertet. Und dies hat viele taktischen Wähler und Wählerinnen dazu bewogen, Van der Bellen zu wählen, obwohl sie eigentlich lieber Griss, Khol und Hundstorfer gehabt hätten, eben deswegen, weil sie Hofer verhindern wollten und wegen der falschen Umfragen glaubten, nur Van der Bellen könne Hofer verhindern.

Der erste Wahlgang war eigentlich gesetzeswidrig, weil Medien und Umfrageinstitute und Wahlkampfteams gegen Strafgesetzbuch §263 "Täuschung bei einer Wahl" verstiessen, indem sie durch falsche Umfragen Irrtum bei taktischen Wähler und -innen bewirkten.

So gesehen war die Präsidenten-Wahl 2016 die problematischste und gesetzwidrigste in der Geschichte Österreichs, auch deswegen, weil erstmals die Problematik auftrat, dass bei regulären Wahlkampf mehr als drei Kandidaten bzw. -innen Chance auf Stichwahleinzug gehabt hätten.

Leider haben alle österreichischen Parteien es im Laufe der letzten 30 Jahre verabsäumt, das Bundespräsidentenwahlgesetz anzupassen, das für ein Zweiparteiensystem bzw. Zweieinhalbparteiensystem maßgeschneidert war/ist, das Österreich bis ca. 1985 hatte, z.B. durch ein Kollektivorgan Bundespräsident ähnlich der Schweiz oder ähnlich dem Nationalratspräsidium, oder durch ein Reihungswahlrecht a la Condorcet, Schulze oder Borda.

In der Wahlsystemlehre existiert der Begriff des Condorcet-Siegers. Darunter versteht man denjenigen Kandidaten bzw. diejenige Kandidatin, der/die alle hypothetischen Stichwahlen gewonnen hätte.

Ähnlicherweise könnte man den Begriff des "Condorcet-Fast-Verlierers" definieren. Ein Condorcet-Fast-Verlierer ist ein Kandidat, der alle hypothetischen Stichwahlen mit einer, zwei oder wenigen Ausnahme(n) verliert.

Und Van der Bellen ist wahrscheinlich der Condorcet-Fast-Total-Verlierer, der alle hypothetischen Stichwahlen verloren hätte, egal, ob gegen Griss, Khol, Hundstorfer, Stenzel, hingegen nur eine oder zwei gewonnen hätte, die gegen Hofer und gegen Strache.

Aber das ziemlich verrückte, seit Jahrzehnten überholte österreichische Bundespräsidentenwahlgesetz, das Extreme fördert und wahlmanipulationsanfällig ist, ermöglicht es eben Condorcet-Fast-Total-Verlierern, so leicht zu gewinnen wie in sonst keinem oder fast keinem Wahlsystem.

Ruine österreichische Demokratie ? Wie kaputt ist das Bundespräsidentenwahlsystem ? Wie gesetzeswidrig war Van der Bellens "Wahlsieg", insbesondere im ersten Wahlgang ?

Die Extremismusförderung des österreichischen Bundespräsidentenwahlgesetzes zeigt sich im Vergleich mit dem Reihungswahlrecht. Beim Reihungswahlrecht kann man reihen und Präferenzen ausdrücken, "Diese(r) Kandidat / -in ist mir am liebsten, jene(r) am zweitliebsten, etc."

Reihungswahlrecht begünstigt Kandidaten der politischen Mitte, die oft viele Zweit- und Drittreihungen haben, aber wenig Erst- und wenig Letztreihungen, während Vertreter der politischen Extreme viele Erst- und viele Letztreihungen haben. Während beim jetzigen "Lieblingswahlrecht" (man kann seine Stimme nur dem "Liebling" geben, aber nicht ausdrücken, wer am zweitliebsten, drittliebsten, etc. ist) die Letztreihungen, d.h. die Ablehnungen unverwertet unter den Tisch fallen, sodass Vertreter von Extrempositionen gute Chancen haben, zu gewinnen.

D.h. bei einem alternativen Reihungswahlrecht, das im Übrigen seit dem 18. Jahrhundert bekannt ist, hätte Van der Bellen wahrscheinlich keine Chance gehabt, Präsident zu werden. Einer der großen Vorteile eines Reihungswahlrechts, welcher Ausgestaltung auch immer, ist, dass (je nach Ausgestaltung) es viel immuner, bzw. völlig immun gegen Manipulationen dieser Art ist, dass taktisches Wählen überflüssig ist, weil man Präferenzen vollständig ausdrücken kann.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schulze-Methode

https://de.wikipedia.org/wiki/Borda-Wahl

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/unser-extremismusfoerderndes-und-manipulationsanfaelliges-praesidentenwahlsystem-18790

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002296

"Täuschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung

§ 263. (1) Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, daß ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

P.S.: ein beschädigter Präsident mit einem Legitimationsdefizit kann natürlich zahlreiche der Aufgaben, die er laut Verfassung bzw. Verfassungsexperten erfüllen sollte, nicht erfüllen.

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Dieter Knoflach

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