Naives Tagebuch: Die Weisheit mit den Zähnen gefressen

Naives Tagebuch,

meine Weisheitszähne schmerzten seit ein paar Wochen und da ich keinen Zahnarzt in der Gegend kannte, hab ich mir bei Google eine äußerst seriöse Ärztin gesucht, die auf ihrer Website sogar einen eigenen Onlineshop betreibt, in dem sie Skulpturen aus Amalgamresten und Goldzähne, aus ungekannter Herkunft anbietet. Ein interessantes Geschäftsmodel, das ich mir genauer ansehen wollte und deshalb machte ich mich auch gleich auf den Weg zu der angegebenen Adresse.

Die Praxis, so stellte sich heraus, war in einem alten Vierkanthof angesiedelt, in dem sie auch noch eine Autowerkstatt betrieb. Eine wirklich umtriebige Geschäftsfrau.  Die Zahnärztin begrüßte mich freundlich und bat mich, noch kurz im Wartezimmer Platz zu nehmen, da sie noch schnell bei einem Daihatsu das Öl wechseln müsse.

Sie schrie nach ihrer Mutter und bald darauf kam auch eine ältere, bucklige Frau um die Ecke, die in einer Schubkarre Reifen vor sich herschob. Die ältere Dame wischte sich schnell den Schweiß aus dem Gesicht und führte mich ins Wartezimmer, das sich als Küche der beiden herausstellte. Ich nahm bei einem kleinen Tisch Platz und die Mutter stellte mir wortlos einen Teller Nudelsuppe vor die Nase. Auf meine Frage hin, ob es denn nicht besser sei, vor der Behandlung nichts zu essen, stiegen ihr die Tränen in die Augen und ich konnte nicht mehr anders, als die Suppe, das darauf folgende Naturschnitzerl und den  Gugelhupf  zu essen.

Dann war es soweit. Die Zahnärztin kam in den Warteraum, wusch sich schnell die Hände und zog einen vergilbten Arztmantel über ihren blauen Overall an. Sie führte mich ins Behandlungszimmer. Eine umgebaute Scheune, in der es herrlich nach Heu und Benzin roch und in deren Mitte ein alter Autositz stand, der als Behandlungsstuhl diente. Angetan von dem Ideenreichtum dieser Frau, setzte ich mich hin und versuchte mich zu entspannen.

Bei einem kurzen Vorgespräch, bei dem wir beide lachen mussten, als sie gestand mindestens gleich aufgeregt zu sein wie ich, da sie schon länger keine Zähne mehr gezogen hatte, erörterten wir kurz mein Problem mit den Weisheitszähnen und schon ging sie ans Werk. Die Betäubung der Zähne stellte sich allerdings als problematisch heraus, da ihr Gasbrenner den Geist aufgegeben hatte und sie ihr, wie sie sagte, bewehrtes Hausmittel, ein weißes Pulver, nicht auf dem Löffel zum Schmelzen bringen konnte. Nach einigen vergeblichen Versuchen mit dem Feuerzeug gab sie schließlich auf und sagte mir, ich solle das Pulver einfach mit der Zunge ein bisschen auf der schmerzenden Stelle verreiben. Leichter gesagt als getan, denn sobald dieses weiße Zeug meine Zunge berührte wurde der ganze Mund, bis auf die schmerzende Stelle, taub. Sie fragte, ob ich noch etwas spüre und da ich ihr keine Antwort geben konnte, spreizte sie meinen Mund mit einer Klemme weit auf und setzte die Kombizange an.

Sie bemühte sich wirklich und als sie sich mit beiden Beinen am Zahnarztsessel abgestützte um mehr Hebelwirkung zu erzeugen, wusste ich dass sie es ernst meint. Sie hat geschrien, geschimpft und geweint, sie hat meinem Zahn sogar gut zugeredet, in der Hoffnung er würde meinen Mund von selbst verlassen. Aber als der Zahn sich nach einer guten Stunde noch immer nicht von Fleck bewegte, sank sie weinend zu Boden, kroch auf allen vieren zu einem nahegelegenem Heuhaufen, legte sich hin  und faselte irgendetwas davon, dass sie nicht gut genug für ihren Vater sei. Da ich, aufgrund der Klemme in meinem Mund und wegen dem Betäubungsmittel nicht sprechen konnte, beschloss ich den Behandlungsraum langsam zu verlassen, doch als ich gerade an der Tür angekommen war, hielt irgendetwas oder besser gesagt, irgendjemand mein Bein fest. Ich blickte nach unten sah meine Zahnärztin. Ihre Schminke war durch die Weinkrämpfe über ihr ganzes Gesicht geronnen doch hinter dem dunkelblauen Schleier von Makeup  war die eiserne Mine von jemanden zu erkennen der nichts mehr zu verlieren hatte. Sie zog an meinem Bein und brachte mich zu Fall, sprang auf, schnappte sich den Bohrer und schrie „ICH HASSE DICH VATER“. Es folgte eine kurze aber intensive Verfolgungsjagd in der Scheune, die schließlich endete als sie mich mit einem Hechtsprung zu Fall brachte.

Gekonnt nahm sie mich mit einer Hand in den Schwitzkasten, während sie mit der anderen Hand versuchte die Zähne zu ziehen und siehe da, eine halbe Stunde später, hatten meine Weisheitszähne das zeitliche gesegnet. Die Ärztin, plötzlich wieder die Ruhe selbst, stand auf und erklärte mir, dass es das schon gewesen sei und half mir auf die Beine.

Noch etwas benommen von der Behandlung, folgte ich ihr ins Wartezimmer um das, wie sie sagte, finanzielle noch schnell zu regeln. Anscheinend ging es ihr wirklich wieder besser, denn als ich ihr gestand, dass ich meine E-Card vergessen habe, lachte sie kurz auf und meinte, dass sie sowieso lieber Bargeld nehme. Als sie auf einer alten Rechenmaschine ihren Aufwand zusammenzählte, sagte sie noch, dass sie mir das Mittagessen und den Mehraufwand für die Verfolgungsjagt auch in Rechnung stellen müsse, dass ich aber einen Gutschein für einen Ölwechsel bei meinem Auto erhalte. Ein faires Angebot, naives Tagebuch.

Nachdem ich bezahlt hatte verabschiedete ich mich noch und ging zu meinem Auto. Dieses stand aufbockt auf vier Ziegeln, ohne Reifen, Türen und Sitze im Innenhof. Ich sah noch die alte Frau mit Ihrer Schubkarre um eine Ecke biegen und in einer Garage verschwinden.

Die Ärztin, jetzt wieder in Werkstattmontur, kam heraus und sah sich den Schaden. Sie erklärte mir, dass man da nicht mehr viel machen könne und eine Reparatur Monate in Anspruch nehmen würde. Glück im Unglück, naives Tagebuch. Denn sie hatte noch einen Daihatsu Cuore den sie mir, wie sie meinte, günstig verkaufen könne. Nur der Gutschein für den Ölwechsel würde verfallen, da sie bei meinem neuen Auto gerade einen solchen durchgeführt hatte. Ich willigte ein, musste nur kurz warten und schon fuhr sie mit meinem neuen Gefährt aus der Werkstatt.

Es ist ein tolles Gefühl ein neues Auto zu haben, naives Tagebuch. Ich musste mich auch gar nicht großartig umstellen, denn der Autoradio und die Sitze gleichen meinem alten Auto bis aufs Haar. Sogar der Kaffeefleck auf dem Beifahrersitz kommt mir seltsam Vertraut vor.

Bis bald, naives Tagebuch

Ein weiterer Tagebucheintrag: Naives Tagebuch: Wiener Sud

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Bernhard Juranek

Bernhard Juranek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:06

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