Das demokratische Bordell

In den paar Jahrzehnten seit meiner Geschlechtsreife ist das Abschleppen einer Frau leichter geworden. Ich habe mich nur kurz mit der Illusion aufgehalten, dass ich attraktiver werde. Es muss also wohl daran liegen, dass Frauen insgesamt sexuell verfügbarer werden.

Eine Weile dachte ich, dieser Trend würde wieder abflauen, zumindest prophezeite mir das vor ein paar Jahren eine Nutte mit roten Haaren und klugem Kopf, mit der ich damals befreundet war. „Wenn sich Frauen Bestätigung holen, indem sie sich leicht abschleppen lassen, ist das so, wie wenn ein Wirt Freibier ausschenkt und sich dann freut, dass er so viele Gäste hat“, sagte sie. Eines Tages würden die Frauen das kapieren. Doch der Trend flaute nicht ab, vielleicht, weil es nicht nur um Selbstbestätigung geht.

Jetzt mal ganz abgesehen davon, ob das gut oder schlecht ist, verstörend oder einfach zeitgemäß, und abgesehen von allen Fragen der Moral und der Gleichberechtigung, gibt es hier einen ökonomischen Faktor. Denn der Kundenfrequenz in den österreichischen Bordellen und der durchschnittliche Besuchszahl der Kunden pro Monat zufolge muss es so sein, dass mindestens achtzig Prozent der österreichischen Männer regelmäßig Sex kaufen. Da kann eine tiefgreifende Demokratisierung des unverbindlichen Geschlechtsaktes in diesem Geschäft irgendwann soviel Schaden anrichten, wie einst digitale Tonträger im Geschäft mit Vinyl.

Ein Rotlichtunternehmer, den ich kenne, hat deshalb ein Auge darauf. Er heißt übrigens Rudi. Rudi ist ein cooler Junge, wir kennen einander schon lange, kommen aus dem selben Viertel und teilen eine Leidenschaft: Das Spielen, offline wie online. Früger haben wir viele Nächte in Casinos verbracht, es war eine wilde Zeit. Heute treffen uns noch immer, philosophieren über alte Zeiten, und sprechen wie Teenager über neue Spieleseiten, die wir für uns entdeckt haben. Doch dazu gerne mehr ein anderes Mal, ich schweife ab.

Rudi ist jedenfalls ein Mann mit Charakter. „Als verantwortungsvoller Firmenchef muss ich über diese Entwicklung, die Demokratisierung, informiert bleiben, um zum richtigen Zeitpunkt das richtige tun zu können“, sagte er mir schon vor einem Jahr. Jetzt hat diese Entwicklung eine Dimension erreicht, die ihn tatsächlich zum Handeln veranlasst. Er hat beschlossen, in Wien demnächst eine Diskothek mit Séparées für seine Gäste aufzusperren. Wenn ein Mann eine Frau oder eine Frau einen Mann abschleppt, brauchen sie nicht mehr zu ihm oder zu ihr zu fahren. Sie können es, wenn sie zum Beispiel verheiratet ist und er seine Wohnung nicht aufgeräumt hat, gleich an Ort und Stelle in der Disko machen.

Dieser Rotlichtunternehmer glaubt zudem, dass er von der Annäherung der sexuellen Verfügbarkeit von Privatfrauen an die sexuelle Verfügbarkeit von Prostituierten noch auf einer anderen Ebene profitiert. „Viele Männer kapieren allmählich, dass sie bei ihren privaten Aufrissen bereits ein höheres Gesundheitsrisiko eingehen, als bei einer Professionellen mit Deckel“, sagte er mir, als wir das Thema jüngst in Lucky's Match Box in der Rotenturmstraße besprachen. „Würden diese Männer noch die paar Runden Getränke berechnen, die sie beim Kennenlernen ausgeben, wäre eine Professionelle, die auch ganz sicher auf den Anruf am nächsten Tag verzichtet, die konsequentere Lösung.“ Er bewertet deshalb sexuell leicht verfügbare Privatfrauen ökonomisch positiv als so etwas wie Einstiegsdrogen in den dann letztendlich vernünftigeren Bezahl-Sex.

Blöd wäre es für ihn nur, wenn das Gesundheitsministerium ebenfalls ein Auge auf dem Trend hätte. Dann würde es vielleicht früher oder später als logischen nächsten Schritt einen „Deckel“, also den bisher für Prostituierte gedachten, mit laufenden medizinischen Untersuchungen verbundenen Kontrollschein, auch für Privatpersonen anbieten. Für Frauen, aber vielleicht auch für Männer, bei denen Promiskuität ja angeblich aus evolutionären Gründen schon immer im Trend lag.

Zwei Menschen, die einander kennenlernen, zeigen sich dann ihre Kontrollscheine, ehe sie sich ins  Séparée, zurückziehen, das es zu diesem Zeitpunkt vielleicht auch schon in artigen Restaurants und ersten innovativen Fastfood-Filialen gibt. Das mit der Selbstbestätigung wäre dann für Frauen bestimmt noch schwieriger als jetzt, aber wie gesagt, vielleicht geht es ja nicht nur darum.

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