"In Polen, Ungarn, Großbritannien und den USA sei die Demokratie gefährdet, warnt die Historikerin Anne Applebaum. Einen Unterschied sieht sie aber zwischen Boris Johnson und Viktor Orbán. In Deutschland wundert sie sich über eine Entwicklung."

Da der Artikel im Plusbereich war, habe ich versucht, anderswo herauszufinden, "über welche Entwicklung in Deutschland die Dame sich wundert".

Das weiß ich zwar jetzt noch immer nicht, aber ich fand diverse Kritiken zu Anne Applebaum´s "Twilight of Democracy: The Seductive Lure of Authoritarianism", unter anderem diese hier, von Ivan Krastev.

Ich teile nicht Krastev´s Einschätzung der Populisten, vor allem, weil ich das Ganze eher aus Populisten-Wähler-Sicht betrachte, und als ich das hier las:

"But for the new illiberals, the war against one’s political opponent is the real battle. In this Schmidtean understanding of electoral politics, as civil war with ballots, any criticism toward one’s own side equals betrayal."("Aber für die neuen Illiberalen ist der Krieg gegen den politischen Gegner der wahre Kampf. In diesem Schmidtschen Verständnis von Wahlpolitik als Bürgerkrieg mit Stimmzetteln ist jede Kritik an der eigenen Seite gleichbedeutend mit Verrat.";), konnte ich nur denken:

Das gilt doch eher für die sogenannten "Demokratieverteidiger".

Dasselbe gilt auch für:

"What we see in countries like Poland and the United States is that a democracy of citizens has been replaced by a democracy of fans. While for a liberal citizen the readiness to point out and correct the mistakes of your own party is a sign of the highest loyalty, the loyalty of fans is zealous, unthinking, and unswerving. Enthralled fans, with their critical faculties switched off, are central to populists’ understanding of politics as a loyalty game: Their cheers reflect their sense of belonging. Trust-but-verify is replaced by rowdy adoration. Those who refuse to applaud are traitors, and any statement of fact becomes a declaration of belonging."

("Was wir in Ländern wie Polen und den Vereinigten Staaten sehen, ist, dass eine Demokratie der Bürger durch eine Demokratie der Fans ersetzt wurde. Während für einen liberalen Bürger die Bereitschaft, auf die Fehler Ihrer eigenen Partei hinzuweisen und diese zu korrigieren, ein Zeichen höchster Loyalität ist, ist die Loyalität der Fans eifrig, undenkbar und unerschütterlich. Begeisterte Fans mit ausgeschalteten kritischen Fähigkeiten spielen eine zentrale Rolle für das Verständnis der Populisten von Politik als Loyalitätsspiel: Ihr Jubel spiegelt ihr Zugehörigkeitsgefühl wider. Trust-but-Verify wird durch lautstarke Anbetung ersetzt. Diejenigen, die sich weigern zu applaudieren, sind Verräter, und jede Tatsachenerklärung wird zu einer Zugehörigkeitserklärung.";)

Wobei Krastev dies wohl ebenso sieht:

"When political participants become fans, their primary goal is to make sure their opponents will never come to power. Populists encourage this mindset—and in their most romantic vein, the liberal ’89ers manage to replicate it."

("Wenn politische Teilnehmer zu Fans werden, besteht ihr Hauptziel darin, sicherzustellen, dass ihre Gegner niemals an die Macht kommen. Populisten fördern diese Denkweise - und in ihrer romantischsten Art schaffen es die liberalen 89er, sie zu kopieren.";)

Da ich vor 2015 politisch nicht besonders interessiert war, frage ich mich schon manchmal:

"Wer war zuerst da: Die Henne, oder das Ei?"

Da Anne Applebaum´s Buch mit einer Intelektuellen-Party 1999 in Polen beginnt, und im selben Haus in Polen, 20 Jahre später endet, beschäftigt sich auch Krastev´s Kritik mit den Zuständen vor und nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks.

Unter anderem erwähnt er auch, daß alle politischen Richtungen im Westen sich einig waren in ihrer Gegnerschaft zum kommunistischen System.

Das brachte mich auf eine Idee:

Wenn sich zu der Zeit alle politische Richtungen derartig einig in der Gegnerschaft zum Kommunismus waren, fühlten sich damals vielleicht kommunistische Denkrichtungen unterdrückt, bzw. trauten sich nicht an die Öffentlichkeit.

Die RAF könnte man vielleicht als eine extreme Auswirkung dieses Zustandes sehen.

Nach der Wende war dann der "große Gegner Kommunismus" plötzlich verschwunden, und daher gab es auch weniger Gegenwind beim Aufkommen kommunistischer Ideen.

Zusätzliche Akzeptanz erfuhren solche Ideen vermutlich auch wegen den destabilisierenden Auswirkungen eines ungezügelten Raubtier-Kapitalismus in den ehemaligen Ostblockländern.

Selbst im westlichen Deutschland war ich damals bereit, die "Wahlalternative Arbeit" zu wählen, und wurde nur dadurch davon abgehalten, daß diese vor den Wahlen mit der damaligen ex-SED-Partei PDS fusionierte, welche für mich eben doch noch die kommunistische Diktatur meiner Kindheit repräsentierte.

In der Zeit seither konnten kommunistische Ideen viel ungehinderter verbreitet werden, als vor der Wende.

Es ist inzwischen eine Generation herangewachsen, welche den Kommunismus praktisch überhaupt nicht kennt, und daher auch entsprechende gesellschaftliche Entwicklungen nicht erkennen kann.

Und so kann es sein, daß Krastev´s "liberale 89er" die Demokratie, welche sie damals freudig begrüßten, und deren Verteidigung sie sich heutzutage auf die Fahnen schreiben, selber in ein kommunistisches System verwandeln werden, ob nun aus idealistischer Überzeugung, oder aus antifaschistischem Furor heraus.

Ob sie nun alles verbieten wollen, was irgendwie, um sieben Ecken, bei einigen, vielleicht, zu Rassismus führen könnte, oder alle Menschen, ungeachtet der Umstände, gleich machen wollen, sie erklären jeglichen Widerspruch für rechts, menschenfeindlich, etc., und der Verfassungsschutz sieht es als Grund zur Beobachtung, wenn manche solche Tendenzen als diktatorisch empfinden.

Es gibt nicht ohne Grund den Spruch:

Der neue Faschismus wird als Anti-Faschismus anfangen.

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