Kurt liebte seine Strumpfhosen. Sie waren so wunderbar warm und es gab nichts, das er mehr verabscheute, als kalte Beine zu haben. Gut, es gab fast nichts. Hausübungen waren auch nicht wirklich seins, und diese blöden Gedichte, die er zu lernen hatte… Wie auch immer: er liebte seine wollenen Strumpfhosen. Ohne sie ging es gar nicht, dass er das Haus verlassen sollte.Wenn in der Schule Turnunterricht am Stundenplan stand, dann bescherte ihm seine Unterkleidung allerdings regelmäßig Schwierigkeiten. Seine Klassenkollegen lachten immer und die Lehrerin schaute böse. Er schaue aus wie ein Harlekin sagten selbst jene Buben, die er eigentlich zu seinen Freunden zählte. Kurt verstand das nicht. Eines Tages musste sich Kurts Mama sogar am Elternsprechabend anhören, dass es ungeheuerlich sei, was sie ihrem Buben antue, weil sie ihn dazu zwinge, Strumpfhosen zu tragen.

Alice gibt ihr Badeanzug Sicherheit. Ihr Freund versichert ihr zwar immer wieder, ihren Bauch wunderschön zu finden, doch sie mag ihn nicht in der Öffentlichkeit herzeigen. Sie liebt das Wasser, sie liebt die Sonne, und ihr Badeanzug hilft ihr dabei, sich auch sicher fühlen zu dürfen dabei: er bedeckt jene Stellen ihres Körpers, die sie an sich selbst nicht so mag – und da können ihr die Leute noch so oft sagen, dass sie nach den drei Kindern, die sie bekommen hat, immer noch eine tolle Figur hätte.

Brunhilde ist eine Altbäuerin. Viel hat sie bereits mitgemacht und sehr gerne hat sie von ihrer Mutter die Tradition des Tragens eines Kopftuches übernommen: ein wunderbarer Kopfschutz, wenn man stundenlang in der prallen Sonne am Feld arbeiten musste, ein Schutz vor diversen Insekten, die sich dauernd in den Haaren verfangen haben – und gleichzeitig konnte gut kaschiert werden, dass man halt nicht ständig zum Friseur kommt. Ja, die Städter, die sich immer wieder aufs Land verirren, lachen da gern drüber. Aber die haben ja keine Ahnung.

Heute, Jahre später, erinnert sich Kurt an seine Schulzeiterfahrung wegen eines von ihm geliebten Kleidungsstücks zurück, wenn er die Zeitung aufschlägt. Da wird tatsächlich diskutiert, ob es nun verboten sein soll, eine Burka zu tragen. Da wird gewettert gegen Menschenrechtsverletzungen, da wird protestiert gegen Vorratsdatenspeicherungen als ungeheure Eingriffe in die Privatsphäre der Menschen – und im selben Atemzug wird gefordert, den Menschen ohne Rücksicht auf das dahinter steckende Motiv das Tragen eines Kleidungsstücks zu verbieten. Es soll nämlich nicht verboten werden, andere Menschen dazu zu zwingen, gegen ihren Willen eine Burka anzuziehen – es soll verboten, sich für dieses Kleidungsstück zu entscheiden. Als Begründung werden dann Selbstversuche angeführt, wo sich jemand mit diesem für ihn ungewohnten Kleidungsstück durch die Gassen bewegt und berichtet, wie er doch angefeindet wurde. So wie damals im Umkleideraum: es wurden nicht seine Klassenkameraden dazu angehalten, ihn mit Würde seine geliebte Strumpfhose tragen zu dürfen – es wurde einfach darauf hingedrängt, dass er es sein solle, der zu verzichten hätte.

Auch Alice hat ein mulmiges Gefühl bei der Diskussion: wenn nun Burkinis, die aus demselben Stoff sind wie ihre Badeanzüge, verboten werden, wie lange wird es dann noch dauern, dass auch Badeanzüge wie ihrer verboten werden? Wozu eigentlich? Weil man nicht genug Haut begaffen kann? Weil die Ausschnitte nicht tief genug sind? Wird dann im Namen der Gleichberechtigung vielleicht demnächst überhaupt gleich das Tragen von Oberteilen verboten in Bädern?

Brunhilde lässt das alles kalt. Das sollen sie sich trauen, ihr das Tragen ihres Kopftuches zu verbieten. Sonst noch was. Die spinnen sowieso alle: von der Arbeit am Bauernhof können sie schon lange nicht mehr leben. Vorschriften machen selbst den Ab-Hof-Verkauf, der die letzte Hoffnung ihres Sohnes war, der den seit Jahrhunderten im Familienbesitz stehenden Bauernhof übernommen hat, ist praktisch verboten worden da sich die ganzen Investitionen, die wegen der Auflagen notwendig wären, niemals rechnen würden. Darüber spricht niemand. Aber Hauptsache ein am langen Kleid festgenähtes Kopftuch soll verboten werden. Da hören sie alle begeistert zu. Weil es ja vergleichsweise Wurscht ist, wenn bald alle heimischen Bauernhöfe zusperren.

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