Wir waren dabei, als sie es krachen liessen, und es war cool

WANDAstisch oder

warum die Provinz rockt

Wenn in dem Kaff, in dem ich meine alten, vom Leben vergeudete Tage zähle, ein Konzert angesagt ist, bleibe ich zuhause und lege alte Platten auf, denn sie erzählen mir die wahren und frei erfundenen Geschichten und Gschichtln, die ich als ausgewiesener musiksüchtiger Freund der verschiedensten Mohnderivate des ausgehenden vorigen Jahrtausends in dreckiger, verschwommener und nostalgischer Erinnerung habe.

Aber da ich dieser Tage meinen 45er mehr oder weniger feiern werde und zufällig eine dem Anschein nach coole Halbstarkenband in dieser gottverlassenen Gegend auftritt, bei der man sogar die Texte versteht und lauthals mitgrölen sollte, überwinde ich meine  Nur alleine geht’s mir gut- Haltung und bewege mich am späten Nachmittag ziemlich ungeschmeidig in ein dem Veranstaltungsort sehr nahe gelegenem Lokal um bei einem eiskalten Heineken Halt und eine Spur Selbstsicherheit zu gewinnen. Mir gefällt es in dieser Wir sind doch nicht abgefuckt- wir sind groovy ey Spelunke auf Anhieb, denn dort geben sich Iggy Pop, Patti Smith, Nick Cave, the Doors, Dave Brubeck, John Lee Hooker und die ganzen alten Helden über die Musikanlage ein Stelldichein. Der Konzertbeginn rückt immer näher, aber hier spielt die Musik. Am Ende des verregneten grauen Tages, als die erbarmungslos dunkle Nacht über uns alle hereinbricht, sagt mir der lässige Typ vom hintern Tresen, wir haben Zeit genug Mann, Zeit genug.

Drei Flaschen Bier, 15 Zigaretten und einige Morphinpräparate später fühlte ich mich gut genug gewappnet, um das Geschrei 300 pubertierender Teenager zu ignorieren und auf OldschoolPunkWaveRockUndergroundichhabschonallesmalerlebtundgesehenmich

hautnichtsmehrummichcoolenHund zu machen. Wie zur Hölle verdammt noch mal findet man nur eine Band die im ersten Stock eines Gebäudes spielt, das drei Bars beherbergt? Der gute Rat des Tresentypen- versuchs doch mal hintenrum, die Strasse führt eh bergauf, da kannst du dann einfach waagrecht reingehen, erweist sich als goldrichtig. Guter Mann. Aber wie kommt man wo rein, wo die Leute wegen Überfüllung hinterrücks wieder rauspurzeln? Ich tu einfach so, als gehöre ich zu den Roadies. Tschuldigung, darf ich, danke, hab das Scheissmikrokabel vergessen, weißt schon, gehöre zu denen, (mit dem Kopf Richtung Bühne nickend), alles klar, kein Problem. Und, was Wunder, ich erwische einen Sitzplatz an der Theke mit fast freier Sicht auf die Bühne. Ach du altes vom Leben zerschundenes Herz, was willst du mehr? Von diesem Ort am Rande der siebten Hölle gibt es heute kein Entkommen, es passt kein Streichholz mehr zwischen den überwiegend weiblichen Besuchern.

Die rauchgeschwängerte Luft ist zum schneiden zu dick, Alkohol und alle möglichen legalen und illegalen Substanzen sind beinahe schon aufgebraucht, sicher ist sicher. Irgendwann später, aber nicht zu spät, sind sie einfach auf der Bühne gestanden, aus dem Nichts, einfach so hier. Anszwadreivia gemma….

Nach dem ersten Basedrumholterdipoltergepolter, das sich wie unvermittelte Schläge in der Magengrube breitmacht, muss ich, ja ich muss, mit meinem rechten Fuß mitwippen. Ist das the Animal von den Muppets an den Drums? Er wäre jedenfalls stolz, so ne coole Socke zu sehen, die einen so mächtigen Wumms hat. Der Bassist sieht aus, als hätte er bereits vor langer Zeit vergessen, dass auch er mal schlafen sollte, aber dafür hat er definitiv zu viele DvDs von Lemmy K. angeschaut, das ist natürlich ein Kompliment. Der Keyboarder ist eigentlich nicht zu hören, und das ist auch gut so. Nein, das stimmt natürlich nicht, aber er weiß auch, wie wichtig es ist, wie Miles Davis Noten wegzulassen, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Den Gitarristen kann ich wegen der mannshohen Verstärker zwar nicht sehen, und ich hab auch keine große Lust mich von der Bar wegzubewegen, aber ich kann ihn hören, jeder kann ihn hören, er rockt und rifft und waah und bengbumkrach dass es eine wahre Freude ist. Und der Sänger, was ist denn jetzt da los, der ist ja wirklich cool, so auf eine bestimmte spitzbübische Art, dass mann und frau ihn einfach mögen muss. Warum? Weil er echt ist, selbst wenn er eine Show abzieht, die er schon 200 Mal wiederholt hat. Coole Stimme, cooles Aussehen, cooles Outfit, der meint es ernst mit der Liebe, mit dem Verlust, mit dem Leben. Eine herzliche, sympathische Strizzirampensau zu geben, das will man sein, aber es ist auch etwas, was erst zu beweisen wäre. Dieser Typ hat es, glaubt mir. Der Weltschmerz wird uns nie besiegen, wir werden nie zu Kreuze kriechen- alleine dieser Ausdruck im Gesicht ist es wert, dieser Band beizuwohnen. Da ist sie wieder, die Stunde des dreckigen Rock, und das Gefühl, uns kann keiner was, leckt uns. Und ja, sie spielen verdammt schnell, und ja, sie sind live viel besser als auf Tonträgern. Ich weiss es, ich war dabei.

Wir alle lieben Wanda- und Wanda lieben uns. Danke, dass ihr hier wart. Danke, ihr habt das Haus gerockt. Danke Wanda, danke, für alles.

Epilog

Viel viel später, draussen wurde es bereits morgendämmrig, was ein guter Grund war, hier drinnen zu bleiben, kaufte ich mit meinem letzten zusammengekratzten Geld ein T-Shirt, Amore steht da drauf. Ich hoffe, es bringt mir Glück. Zeit zu gehen, aber die Madame hinter der Bar lädt mich auf einen Drink ein, da ich total pleite bin und lächelt mich an. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber muss Sie nicht lächeln, einfach des Berufes wegen?

Ich kann sicher nicht mit der feschen Barkeeperin schlafen, obwohl ich gerne würde, aber ich trau mich nicht. Die Musik von Wanda hallt nach, und ich trotte gemächlich in die andere Bar, in der ich heute schon mal war.

Robbies Gitarre schlängelt sich aus den Boxen, Rays Orgel dreht sich langsam schnell, Johns Snare sitzt präzise und staubtrocken, und Jim, ja Jim wurde als Marco Michael Wanda wiedergeboren, und darum rockte heute die Provinz. Noch zwei Dinge, die da zu sagen wären. Erstens, wenn ihr die wirklich fescheste Barkeeperin auf der Welt sehen wollt, dann kommt ins Gei in Timelkam, und falls ihr Geschichten und Gschichtln, die heute keiner mehr kennt, weil sie schon so alt und zu Tode zensuriert sind, hören wollt, dann setzt euch zu mir, da unten, in dieser einen Bar, Bar mit t heisst sie, und ladet mich auf einen Drink ein, denn ich war damals dabei. Seltsam? aber so steht es geschrieben. bH, am 21.03.2015

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Bluesanne

Bluesanne bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:04

Bernhard Juranek

Bernhard Juranek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:04

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:04

5 Kommentare

Mehr von Konfusius