Es ist schon erstaunlich, wie laut ein Land schreien kann, das sich selbst für das humanitäre Zentrum Europas hält.

Wieso behaupten eigentlich so viele, Deutschland würde von Geflüchteten „überflutet“, „überschwemmt“ oder gar „ersetzt“?

Spoiler: Die Zahlen sagen was anderes – zumindest, wenn man sie nicht durch AfD-Facebook-Gruppen filtert.

Denn während hierzulande wöchentlich Panik geschoben wird, als würden täglich ganze Kontinente in Bayern einfallen, sieht die Realität so aus: Deutschland nimmt im EU-Vergleich viele Menschen auf – ja. Aber eben nicht mehr als es ein wohlhabendes, stabiles Land mit funktionierender Verwaltung locker tragen könnte. Pro Kopf stehen wir bei rund 4.000 Asylanträgen auf eine Million Menschen. Das ist etwa doppelt so viel wie der EU-Schnitt, klar. Aber es ist deutlich weniger als das, was Länder wie Zypern oder Griechenland stemmen – die wirklich überlastet sind, wirklich zu kämpfen haben und oft einfach allein gelassen werden.

Und wie sieht diese Überforderung aus, von der alle so gern reden, solange sie nicht selbst betroffen sind?

In Griechenland bedeutet Überforderung nicht etwa lange Bearbeitungszeiten.

Sie bedeutet: Schlafen im Dreck. Drei Stunden Wartezeit für eine einzige Flasche Wasser. Schwangere Frauen in Plastikzelten, unbegleitete Kinder zwischen Ratten, keine Toiletten, keine Duschen – nur Gestank, Angst und Hoffnungslosigkeit.

Im sogenannten Aufnahmelager „Vathy“ auf Samos lebten phasenweise über 7.500 Menschen – obwohl das Lager ursprünglich nur für 650 Menschen ausgelegt war. Das sind mehr als 800 % Überlastung. In Moria auf Lesbos, vor dem verheerenden Brand 2020, waren es noch mehr.

Die Menschen dort leben in Ruinen aus Zeltplanen und Müll, in kalten Containern ohne Heizung, inmitten von Krankheiten, Ungeziefer, Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Kinder verletzen sich beim Spielen an Stacheldraht. Frauen fürchten sich nachts, auf die Toilette zu gehen. Es gibt kaum medizinische Versorgung – dafür immer wieder Berichte über Selbstverletzungen, Suizidversuche, Verzweiflung.

Und dann, wenn das alles schon schlimm genug ist, kommen die Pushbacks.

Menschen werden mitten in der Nacht aus den Lagern geholt. Sie werden geschlagen, ihrer Papiere beraubt, auf Schnellboote gebracht – und draußen auf dem Meer auf Rettungsinseln oder schlauchbootähnlichen Gebilden ausgesetzt. Ohne Motor. Ohne Orientierung. Ohne Garantie, dass sie überleben.

Ein ehemaliger Küstenwache-Offizier spricht inzwischen offen davon: Diese Einsätze sind „klar illegal“. Und trotzdem passieren sie. Immer wieder.

Und was macht Deutschland?

Wir stecken Milliarden in Rückführungen. In Abschreckung. In Grenzregime.

Allein 2023 waren es über 27,6 Milliarden Euro – geplant sind bis 2028 insgesamt knapp 100 Milliarden, ein Großteil davon für sogenannte Rückführungsmaßnahmen. Was das bedeutet? Dass wir Milliarden dafür ausgeben, Menschen dorthin zurückzuschicken, wo ihnen Gewalt, Armut, Obdachlosigkeit oder sogar der Tod drohen.

Wir verschieben Leben. Mit Verwaltungsstempeln.

Wir sparen nicht an Bürokratie, sondern an Mitgefühl.

Und wir verkaufen das dann auch noch als Belastung – obwohl wir in Wahrheit nie ernsthaft gefordert wurden.

Ja, wir sind ein wichtiges Aufnahmeland. Ja, wir leisten viel. Aber wir leisten nicht am Limit – wir tun nur so, als ob.

Denn es gibt Länder, die untergehen – nicht politisch, sondern ganz real: in überfüllten Lagern, auf abgelegenen Inseln, in Rettungsbooten ohne Rettung.

Und das alles unter dem Deckmantel einer europäischen Asylpolitik, die sich Menschenrechte ins Grundgesetz schreibt – und sie gleichzeitig am Mittelmeer ersäuft.

Diese Bundesregierung gibt sich weltoffen, demokratisch, rechtsstaatlich. Aber sie schaut zu. Sie duldet. Sie schiebt. Sie lässt machen.

Solange es nicht vor dem Kanzleramt passiert, ist es eben auch nicht so schlimm.

Menschenrechte?

Nur dann relevant, wenn sie keine Schlagzeile stören.

Asylrecht?

Nur so lange es nicht die Stammtische in Rage bringt.

Empathie?

Offenbar nicht budgetierbar.

Wir leben in einem Europa, das längst beschlossen hat, seine Außengrenzen zu befestigen statt sein Herz zu öffnen.

Wir leben in einem Deutschland, das Milliarden dafür aufwendet, um sich selbst als Opfer zu inszenieren – während andere Länder die echten Konsequenzen tragen.

Wir leben in einer Zeit, in der Seenotrettung kriminalisiert wird, aber Menschenverachtung Gesetzesform annimmt.

Und ganz ehrlich?

Wenn wir das weiter so hinnehmen,

sind wir nicht nur überfordert.

Dann sind wir mitschuldig.

Link zu diesen Beitrag:

https://www.theguardian.com/world/article/2024/jun/17/greek-coastguard-treatment-of-migrants-illegal-says-ex-officer

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