Gerade in Debatten rund um Medizin fällt der Begriff des Placebo Effektes sehr häufig, oft ohne, dass sich der Leser genauer damit auseinander setzt was dieser Begriff wirklich bedeutet. Da ich den Placebo Effekt und seine Auswirkungen sehr spannend finde, möchte ich hier einmal genauer auf ihn eingehen und darauf welche Bedeutung ihm seit jeher in der Medizin zukommt.

Wörtlich übersetzt bedeutet Placebo „ich werde gefallen“ und es ist definiert als ein Scheinarzneimittel, das keinen Wirkstoff enthält. Ein solches Scheinarzneimittel kann aber bei vielen Beschwerden eine durchaus echte Verbesserung bewirken, die statistisch signifikant ist. Da es sich dabei um einen psychosomatischen Effekt handelt (also einen Einfluss des Geistes auf den Körper) wird der Placebo Effekt oft als Einbildung abgetan obwohl er hinlänglich nachgewiesen ist und aufgrund seiner Signifikanz mittlerweile fix in klinische Versuche mit einbezogen werden muss.

Bereits die Ärzte im antiken Griechenland haben beobachtet, dass die Geisteshaltung mit der man sich einem Leiden annähert Einfluss auf dessen Verlauf hat. Platon wurde durch diese Beobachtung zum aufstellen seiner Legitimation der „medizinischen Lüge“ angeregt. Dabei sagt er, dass ein Arzt einem Patienten immer eine möglichst günstige (auch unrealistische) Prognose stellen kann, um dessen Heilungschanchen zu verbessern [1]. Er soll dem Menschen also die Erwartung mitgeben, dass er wieder gesund werden wird.

Da wir heutzutage viele medizinische Probleme durch die Einnahme von Arzneimitteln bekämpfen wird der Placebo Effekt hier häufig beobachtet und ist durchaus auch bei echten Wirkstoffen ein Faktor. So haben Studien etwa gezeigt, dass ein Schmerzmittel wesentlich besser wirkt, wenn der Patient weiß, dass er es bekommt und daher eine Verminderung seiner Schmerzen erwartet [2].

Drei zusammenspielende Faktoren bewirken den Placebo Effekt: Erwartungshaltung, Konditionierung und Zuwendung. Wir werden von klein auf dazu erzogen uns von einem Besuch beim Doktor eine Verbesserung unserer Leiden zu erwarten. Kopfschmerzen lassen von einer Aspirin Tablette nach und mit ein wenig Hustensaft kann man lästigen Hustenreiz soweit unterdrücken, dass man sich gesundschlafen kann. All diese soziale Prägung durch die Zuwendung und Erwartungshaltung der Eltern und durch unsere eigenen Erfahrungen bewirken eine Konditionierung: Wir erwarten uns eine Verbesserung, wenn wir medizinische Prozeduren durchlaufen. So wie uns früher der starke soziale Druck dazu konditioniert hat, uns vom Gesundbeten einen Effekt zu erwarten, so konditionieren unsechte Wirkstoffe heute darauf, uns von jeder Tablette eine Wirkung zu erwarten (oder auch durch eine Operation, ein teures technisches Gerät usw.).

Nicht nur erfolgreiche medizinische Behandlungen konditionieren uns, auch Werbung und Konsum beeinflussen uns dahingehend unsere Probleme mit dem Erwerb von Konsumgütern (Medikamentesind letztlich auch das) beheben zu wollen. Das geht so weit, dass sich in Studien gezeigt hat, dass teure Placebos besser wirken als billige. Wir Kinder des Kapitalismus erwarten eben für mehr Geld mehr Leistung. [3]

Selbstverständlich wirken diese Einflüsse nicht nur bei erwachsenen Menschen, sondern auch bei Kindern und Tieren. Immerhin ist der Posterboy für Konditionierung der Pawlow’sche Hund. Zudem betrifft die Erwartungshaltung ja nicht nur den Patienten sondern auch denjenigen der das Medikament verabreicht. Dieser beobachtet natürlich eher eine Verbesserung, wenn er eine erwartet.

Placebo kontrollierte Studien

Da der Placebo Effekt ja dem Patienten/Beobachter selbst entstammt und unabhängig ist vom Wirkstoff, der verabreicht wurde, ist es für die wissenschaftliche Untersuchung eines neuen Wirkstoffes von immenser Wichtigkeit, den Anteil der Wirkung, der durch den Placebo Effekt verursacht wird, messbar zu machen, um die “echte“ Wirkung verlässlich quantifizieren zu können.

Die Lösung für dieses Problem stellen sogenannte randomisierte Doppelblindstudien dar. Dabei werden Versuchspersonen zufällig in zwei Gruppen eingeteilt, von denen eine ein Placebo erhält und die anderen einen echten Wirkstoff. Da alle eine Tablette erhalten und niemand weiß, wer eine echte bekommen hat (einfache Verblindung), ist die Erwartungshaltung für alle gleich, aber nur diejenigen mit der echten Tablette erfahren eine Wirkung, die über den Placebo Effekt hinaus geht.

Da aber dass auch der Experimentator und dessen Erwartungshaltung Einfluss auf den Placebo Effekt (bzw. dessen Beobachtung) nehmen, sollte bei einer methodisch sauberen Studie auch dieser nicht wissen, wer ein Placebo erhält und wer nicht.Diese doppelte Verblindung erreicht man indem zB jemand die Pillenschachteln füllt und beschriftet, der den Patienten nie zu Gesicht bekommt, während derjenige, der  die Effekte beobachtet nicht weiß, ob er es mit einem Mitglied der Placebo Gruppe zu tun hat oder nicht.

Diese Art der Wirkstofftestung ist ein weithin anerkannter Standard und ist ständig im Einsatz. Nicht nur neue Wirkstoffe der Pharmaindustrie werden so getestet, nein, auch Naturstoffe, ganze Heilpflanzen und auch diverse alternativ medizinische Präparate, wie etwa Schüssler Salze, Bachblüten, oder Homöopathie wurden so getestet. Bei letzteren konnte aber nie ein Effekt der statistisch signifikant über den Placebo Effekt hinaus geht nachgewiesen werden [4].

Placebos in unseren Apotheken

Der Placebo Effekt ist existent und signifikant, aber er ist nicht sehr stark, meistens geht er gerade etwas über den natürlichen Heilungsprozess hinaus. Obwohl der Placebo Effekt im Grunde dem Individuum selbst zu eigen ist, also tatsächlich eine Fähigkeit zur Selbstheilung darstellt, gibt es immer wieder findige und windige Geschäftsleute, die ihn zu Geld machen und das durchaus mit dem Sanctus des Gesetzgebers.

Viele Stoffe ohne echte Wirksamkeit fallen gar nicht unters Arzneimittelgesetz sondern laufen als Nahrungsergänzungsmittel. Damit müssen sie nur die Kriterien des Lebensmittelgesetzes erfüllen und keinerlei Wirksamkeit nachweisen (das ist gerade im Fall von Pflanzenkonzentraten allerdings superproblematisch, die haben nämlich in den hohen Dosen durchaus eine Wirkung und auch Nebenwirkungen, aber das ist eine andere Geschichte).

Eine recht genau dokumentierte Lehre, deren Wirkung auf den Placebo Effekt zurückgeführt wird, ist die Homöopathie. Weil man homöopathische Mittel in der Apotheke kaufen kann und sie durch „Spezialisten“ „verschrieben“ werden (Homöopathische Mittel sind nicht verschreibungspflichtig), eignen sie sich ideal um den Placebo Effekt zu triggern. Ein langes Anamnesegespräche vermittelt dem Patienten die Zuwendung des Arztes, die er sonst oft vermisst, das komplexe System der verschiedenen Mittelchen vermittelt einen Anstrich von der Komplexität, die mit Pharmazie von jeder einher geht und am Ende kann man Tropfen oder Pülverchen zu sich nehmen und dadurch die jahrelang antrainierten pawlow’schen Reflexe der Schulmedizin auslösen. Und weil es nur Nebenwirkungen gibt, wenn man sich welche erwartet, kann das Placebo tun was es am besten kann: Gefallen.

Im Gegensatz zu echten Arzneistoffen muss bei Homöopatika kein Wirksamkeitsnachweis erbracht werden und sie dürfen auch nicht als Stoffe, die auf eine bestimmte Indikation wirken, ausgewiesen werden. Es muss lediglich nachgewiesen werden, dass sie nicht toxisch sind und dass sie nach der vorgeschriebenen Rezeptur hergestellt werden. Wobei das nur teilweise kontrollierbar ist, denn bei hochverdünnten Substanzen gibt es keine Möglichkeit mehr nachzuweisen, ob da wirklich mal ein Wirkstoffmolekül seine Zehe reingestreckt hat, oder nicht.

Homöopathische Arzneimittel enthalten dabei durchaus manchmal wirksame und zum Teil auch sehr giftige Substanzen, allerdings in so geringen Konzentrationen, dass sie keinen Effekt mehr haben. Vorgeschrieben ist ein Hundertstel der für jeden rezeptfrei erhältlichen Substanzmenge [5], meist ist aber noch deutlich weniger drin.

Dennoch sind viele Menschen felsenfest überzeugt von Homöopathie. Die medizinische Lüge in Aktion begeistert seit Jahrhunderten. Gerade die garantiert wirkungsfreien stärksten Verdünnungen (Hochpotenzen) werden besonders teuer verkauft (und teuer wirkt ja bekanntlich besser).

Was nun?

Für mich stellt sich allerdings die Frage: Will ich das? Kann ich nicht auch einen Weg finden als aufgeklärter, selbstreflektierter Mensch den Placebo Effekt für mich zu nutzen, ohne brav zu konsumieren und das dressierte Hündchen der Pharmaindustrie zu spielen?

Im Grunde erbringt jede Placebo kontrollierte Studie aufs neue den Beweis, welche Macht wir eigentlich über uns selbst haben. Jeder von uns kann den Einfluss, den der Geist auf den Körper hat, beobachten. Jeder kennt das Gefühl, wie sich der Herzschlag beim Lesen eines spannenden Buches beschleunigt und wie man zu einer bestimmten Musik einfach viel mehr sportliche Leistung erbringen kann.

Für mich persönlich habe ich den Schluss gezogen, dass ich lieber ein bewusstes Verhältnis zu meinem Körper aufbaue, als ihn durch antrainierte Reflexe zu manipulieren.

Wenn ich ein medizinisches Problem habe, greife ich auf die evidenzbasierte Medizin zurück, aber wenn es einfach darum geht einen Heilungsprozess zu unterstützen oder Alltagswehwehchen zu behandeln (und es ist eine Unart wegen jedem Schnupfen Antibiotika zu verschreiben), dann versuche ich mir den Einflusses den der Geist auf den Körper hat, bewusst zu machen und auf meinen Körper zu hören. Bei Stress vielleicht wirklich mal runterschalten, darauf achten, dass ich genug und gut schlafe und genug Bewegung bekomme. Einfach lernen, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und sich ihnen zuzuwenden. Die Konzentration, die nötig ist ein Bild zu malen, kann mich effektiver dazu bringen mit Schmerzen umzugehen, als irgendwelche Lactose Kügelchen.

Für jemand anders mögen es ganz andere Tätigkeiten sein, das muss jeder für sich selbst herausfinden. So oder so ist es ein gutes Gefühl wenn man sich weder selbst belügen muss, noch andere dafür bezahlen, dass sie einem das Gefühl geben, wenns so teuer war, muss es ja helfen.

[1] Charmides, Platon

[2] Altered Placebo and Drug Labeling Changes the Outcome of Episodic Migraine Attacks, Slavenka Kam-Hansen, Moshe Jakubowski, John M. Kelley, Irving Kirsch, David C. Hoaglin, Ted J. Kaptchuk, and Rami Burstein, Science Translational Medicine 2014: Vol. 6, Issue 218, pp. 218, DOI: 10.1126/scitranslmed.3006175

[3] Placebo effect of medication cost in Parkinson disease,Alberto J. Espay, MD, MSc, Matthew M. Norris, MEng, James C. Eliassen, PhD, Alok Dwivedi, PhD, Matthew S. Smith, BS, Christi Banks, CCRC, Jane B. Allendorfer, PhD, Anthony E. Lang, MD, FRCPC, David E. Fleck, PhD, Michael J. Linke, PhD and Jerzy P. Szaflarski, MD, PhD, Neurology, 2015, DOI: 10.1212/WNL.0000000000001282

[4]http://consultations.nhmrc.gov.au/public_consultations/homeopathy_health

[5]http://www.jusline.at/11._Registrierung_homöopathischer_Arzneispezialitäten_AMG.html

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