Der „Spiegel“ vermeldete gestern, „Teile der Union“ wollten auf einen „harten Kurswechsel“ der Partei im Umgang mit der AfD drängen. Einer der Vordenker dieses Kurswechsels, Andreas Rödder, der einer großsprecherisch als „Denkfabrik“ sich bezeichnenden Lobbyklitsche namens „Republik 21“ vorsitzt, behauptet, die AfD sei „stärker geworden“, „je höher man die Brandmauer gezogen“ habe. Hier kann man sich fragen, ob Professor Rödder nicht Korrelation und Kausalität verwechselt, wie ihm überhaupt ein Hang zum Wunschdenken bescheinigt werden muss: Die AfD solle „rote Linien“ halten und sich „klar von rechtsextremen Positionen und Figuren abgrenzen“ und folglich Höcke und Berndt und Siegmund etc.pp. aus der Partei werfen, bevor sie Ministerpräsidenten in den östlichen Bundesländern werden. Das werden die machen, gewiss.
Auch Karl Theodor zu Guttenberg kommt aus der Versenkung zurück und fordert „eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung“ mit der AfD. Genau die aber findet längst in der Form statt, dass sich Merz und Klingbeil bemühen, Forderungen der Rechtsextremen („Grenzschließung“, Kampf gegen „Sozialmissbrauch“ und das „Verbrenner-Aus“ etc.) ohne eine Beteiligung der Rechtsextremen zu erfüllen. Eine wirkliche „inhaltliche Auseinandersetzung“ mit der Partei müsste zu dem Eingeständnis führen, dass die Krisen im Kapitalismus nicht von der Migration oder der Armut herrühren. Ich bezweifle, dass Merz und Klingbeil zu dieser gedanklichen Leistung fähig sind.
Am – na ja – interessantesten ist der Kurswechsel von Peter Tauber, der unter Merkel Generalsekretär der CDU war. Er konstatiert mit religiöser Diktion, ihre „Stigmatisierung“ helfe der AfD, nötig sei aber, über eine „neue Politik der roten Linien“ (haben die sich abgesprochen? klar haben die sich abgesprochen) nachzudenken und eine „Blockbildung wie zu Zeiten der DDR“ zu vermeiden. Und weil der Begriff im Bullshitbingo noch fehlte, solle doch bitte nicht gleich „die Nazikeule geschwungen“ werden, wenn ein parlamentarischer Beschluss mit den Stimmen der AfD zustande komme. Noch 2019 hatte Tauber in einem Interview mit dem „Spiegel“ seine ehemalige Parteikollegin Erika Steinbach dafür kritisiert, dass sie „wiederholt einen Satz Walter Lübckes aufgegriffen“ habe und die darauf folgenden „Hasskommentare, Gewaltfantasien und Drohungen (…) auf ihren Social-Media-Kanälen (…) verbreitet wurden.“ Einen Zusammenhang mit der Ermordung Lübckes hielt Tauber demnach für evident und als er selbst von Rechtsextremen bedroht wurde, erklärte er, er versuche zwar „immer Brücken zu bauen, aber bei Rechtsextremen“ sei „das einfach nicht möglich.“
Oder doch? 6 Jahre später ist Erika Steinbach, die damals nur einer parteinahen Stiftung vorstand, der AfD, die sich von keinem ihrer rechtsextremen Kameraden getrennt hat, beigetreten. Tauber ist mittlerweile Professor an der Bundswehrhochschule und Lobbyist der Finanzwirtschaft. Im Bundestag sitzt er nicht mehr, ich nehme aber an, dass er wieder ein Mandat anstreben dürfte – warum sonst sollte er sich in einer programmatischen Frage zu Wort melden? Ob er Steinbach, wenn er ihr in den Gängen des Parlaments begegnen wird, die Hand geben kann, wage ich nicht zu beantworten. Ob er, sollte er es doch tun und sich anschließend die Hände waschen, im Spiegel den Anblick seines Gesichts erträgt, möchte ich bezweifeln.