Mein persönlicher Halloween-Erotik-Thriller

Ich hasse Halloween. Ich hasse auch Fasching oder Karneval. Leider stehe ich mit dieser Gefühlslage in meiner Familie alleine da. Letztes Jahr wurde ich gezwungen zu einer „großartigen“ Halloween-Party einer guten Freundin meiner Frau mitzugehen.

Meine Frau kennt mich gut genug um zu wissen, dass ich keinerlei Verlangen verspüre auf diese Party mitzugehen. Also macht sie das was sie immer macht, wenn sie mich zu irgendwas überreden will. Sie versteckt meine TV-Fernbedienung und droht diese zu zerstören sollte ich nicht mitkommen.

Nein, das ist natürlich nur ein Scherz. So brutal ist nicht mal meine Frau. Sie nimmt nur die Batterien raus. Sie überredet mich mit positiven Anreizen.

»Wenn du mitgehst, dann verspreche ich dir danach eine heiße Nacht der Erotik, die du nie vergessen wirst.«, sagt sie.

Um dieses Verspechen auch wirklich wahr machen zu können muss sie tatsächlich etwas Außergewöhnliches im Sinn haben. Angesichts meiner zunehmenden Altersdemenz ist „etwas, was ich nicht vergessen werde“ eine ziemliche Ansage.

»Ernsthaft? Versprichst du mir das? Ich darf mir wünschen was ich will?«, frage ich.

»Natürlich, allerdings unter einer Bedingung: ein Dreier mit einer anderen Frau ist ausgeschlossen.«

War ja klar. Also eine Bedingung.

»Und noch was. Ich suche dein Kostüm für die Party aus.«, lächelt meine Frau.

»Das ist pure Erpressung.«

»Vielleicht aus deiner Sicht. Ich nenne das positive Stimulanz. Es gibt keine weiteren Verhandlungen.«, stellt sie gleich mal klar.

Worauf ich mich eingelassen habe wird auch schnell klar. Mit Schrecken erfahre ich von einem meiner Freunde, der natürlich auch von seiner Ehefrau genötigt wird auf diese Halloween-Party zu gehen, dass alle Paare in partnerschaftlichen Verkleidungen kommen sollen. Mir schwant Ungemach.

Das ich mit meiner Angst sprichwörtlich richtig liege stellt sich zwei Tage vor der Party heraus. Mit Stolz präsentiert mir meine Frau unsere Kostüme. Ich sage nur soviel: Schwanensee! Ja, das Ballett. Nein, ich bin nicht als Schwan, also die liebreizende Prinzessin Odette, vorgesehen. Diese Rolle übernimmt meine Frau. Ich werde für einen Abend zu Prinz Siegfried mutieren.

Ja, ja, ich kann euch schon hören: »Was ist denn schon so schlimm dran als Prinzessin und Prinz verkleidet zu gehen? Das kann doch gut aussehen?«

Tja, meine Frau hat sich in den Kopf gesetzt, dass wir nicht nur als Prinzessin und Prinz unterwegs sein würden. Vielmehr schwebt ihr eine Art Doppelverkleidung vor. Wir zwei als Ballett-Solotänzerin und -Solotänzer, die wiederum für ihren Auftritt als Prinz und Prinzessin kostümiert sind. Quasi eine Verkleidung mit doppelten Boden.

Hier ist das Problem: während meine Frau als Ballettänzerin fantastisch aussieht, sehe ich in hautengen Leggings, weißen Turnpatschen und einem Ballet-Prinzen-Oberteil aus wie eine Leber-Streichwurst. Eine Streichwurst, die an ihrer unteren Hälfte brutal zusammengepresst wird, nur um oben — notdürftig von Puffärmeln kaschiert — aus der zu eng gewordenen Tube unkontrolliert und mäßig attraktiv heraus zu quellen.

Was soll’s? Ich füge mich dem unentrinnbaren Schicksal. Immerhin kann ich meine Frau überreden ein Taxi zur Party zu nehmen. Ich will auf dem Weg zur Halloween-Fete nicht auch noch in der U-Bahn komplett gedemütigt werden. Als wir bei ihrer Freundin ankommen ist die Party schon voll im Gange.

Ein gutes Dutzend fröhlicher Frauen, begleitet von genauso vielen depressiven Ehemännern,  bzw. Zeitraumsabschnittspartnern, haben sich in der „gruselig“ dekorierten Wohnung eingefunden. Später stellt sich bei einem peinlichen Missverständnis heraus, dass die furchteinflössend hässlichen Gemälde an der Wand eben nicht Teil der Halloween-Dekoration sind — wie ich ursprünglich lautstark vermutete. Nein, sie sind vielmehr das Resultat eines besonders „kreativen“ Kunst-Workshop-Urlaubs der Gastgeberin in der Toskana. Ich bekomme von meiner Frau sofort einen Maulkorb.

Da stehen wir also, umgeben von geschmackloser Dekoration und mehr oder weniger überzeugenden Kopien von Bonny und Clyde, Charles und Diana, Popeye und Olivia und auch Tom und Jerry. Wobei ich bei Tom und Jerry das Gefühl habe, dass zumindest Jerry uns um unsere Ballet-Kostüme beneidet. Offensichtlich hat sich Jerry auch nur widerwillig dem Kostüm-Wunsch seines Partners gebeugt.

Wenigstens sorgt die 23-jährige deutsche Nichte unserer Gastgeberin, die mit zwei Freundinnen für ein verlängertes Wochenende nach Wien gekommen war, für ein ästhetisches Highlight. Sie selbst bringt mit einem bezaubernden Cat-Woman-Kostüm die Charakterstärke und Brillanz dieser Comic-Figur richtig zur Geltung, während ihre Freundinnen als Spider-Woman und Wonder-Woman das Trio der SuperheldInnen-Model-WG komplettieren.

Als ob die Peinlichkeit der ganzen Situation nicht schon Qual genug wäre überrascht uns die Gastgeberin mit der Information, dass sie „so stolz ist“ auf ihr komplett verganes Buffet. Ich gerate sofort in Panik. Meine Freu versucht mich mit Gummibärchen, die sie in den unergründlichen Tiefen ihrer Handtasche findet, zu beruhigen. Aber schnell wird klar, dass sich ihr Prinz schon bald in ein Beast mit Leggings und Puffärmeln verwandeln wird, wenn er (also ich) nicht bald was „Richtiges“ zu essen bekommt.

Zu meinem Retter wird mein Freund Thomas, der als 120 Kilo schwerer Schlumpf seine Schlumpfine begleiten muss. Auch er verfällt nach einer Stunde angesichts des veganen Albtraums in eine Art Ernährungsschockzustand und hat ein glorreiche Idee.

»Niko, um die Ecke ist ein Würstelstand«, sagt er.

»Stimmt. Los, wir ziehen uns eine Käsegriller rein.«, ist meine Reaktion.

Und so kommt es, dass ein überdimensionierter blauer Schlumpf und eine — als tanzender Prinz verkleidete — Streichwurst um 22:30 Uhr an einem Wiener Würstelstand stehen, um nicht in einer veganischen Wüste qualvoll zu verenden.

Wir sind den unvermeidlichen Kommentaren der anderen Gäste an der Theke ausgesetzt.

»Super, schon blau bevor er mit dem Saufen ang’fangen hat.«

»Schau, ein echter FPÖ-Wähler.«

»Prinzessin, du hast deine Erbse wohl in der Hose.«

»Na Prinz, blöd wenn man einen Frosch küsst und ein fetter, blauer Schlumpf dabei rauskommt.«

Aber angesichts der herrlichen Fleischwaren und passenden Getränke können wir mit den aufmunternd gemeinten Zurufen ganz gut leben.

Wir bedauern uns gegenseitig. Wir trösten uns gegenseitig. Ich erzähle Thomas von der brutalen Sex-Erpressung meiner Frau, mit der ich in das Kostüm und auf die Party genötigt wurde.

»Na, immerhin bekommst du was. Bis Schlumpfinchen und ich wieder die blaue Farbe abhaben sind wir schon zu müde für Erotik.«, sagt Thomas.

»Na ja, schauen wir mal. Bis ich es aus diesen Leggings schaffe sind meine Cojones wahrscheinlich auch schon blau wie die von einem Schlumpf.«, antworte ich.

»Du, apropos blau. Möchtest was probieren?«, fragt Thomas.

»Was?«

»Na will’st mal die Gnädigste überraschen?«

»Ich versteh’ dich nicht?«

»Schau, ich hab’ mir da mal was im Netz bestellt. Und das ist echt der Hammer. Versteh’st?«

»Noch nicht.«

»Na die Pillen. Die blauen Pillen. Da schau, ich hab’ welche dabei.«

Und mit einem Griff zieht er aus seiner Schlumpf-Hose eine kleine Pillen-Dose hervor. Tatsächlich, da sind drei Viagra-Pillen drinnen.

»Hast du schon mal probiert?«, frage ich ihn verunsichert.

»Ja Alter, das ist der Hammer. Musst du mal machen. Willst eine?«

»Ich weiß nicht? Kann da was passieren?«

»Na klar passiert da was. Damit gehst du ab wie eine Rakete und dein Schwan wird völlig neue Hebefiguren erleben. Da komm’, ich lad’ dich ein.«

»Na gut. Warum nicht? Ich habe ja ein Erotik-Angebot bekommen für diese deppate Party.«

Ich nehme die Pille und will sie in meinen Leggings verstauen. Thomas fährt dazwischen.

»Nein, die musst du jetzt nehmen. Es braucht zwischen einer und zwei Stunden bis sie wirkt. Nimm’s jetzt gleich. Dann bist nachher bereit.«, sagt er.

Das mache ich auch. Ich nehme die blaue Wunderpille und wir gehen konspirativ kichernd zurück auf die Party.

Die Stimmung vor Ort hat ihren Höhepunkt erreicht. Die absurden Kostüme und ausreichend Alkohol haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Wie üblich, wenn die Hemmungen unter Alkoholeinfluss fallen, beginnen immer mehr Gäste zu Musik aus den 80er und 90er des vorigen Jahrhunderts zu tanzen. Ein Bild des Grauens.

Die vornehmlich weiblichen Besatzerinnen der „Tanzfläche“ kreieren ein zuckendes Tableau des Schreckens. Bei mir werden undeutliche Erinnerung an die tanzenden Zombies im legendären Thriller-Video von Michael Jackson wach. Aber nicht wegen der perfekten Tanz-Moves.

Ich und Thomas sind noch nicht so weit. Wir ziehen uns an die Bar zurück und beginnen gemütlich Cocktails zu schlürfen. Die Zeit vergeht, während wir trinken und uns gegenseitig bestätigen, wie klug es sei nicht auf der Tanzfläche zu sein sondern einfach nur zuzusehen.

Plötzlich mischt sich auch die deutsche Nichte mit ihren Superheldinnenkolleginnen unter die Tanzenden. Sie nutzen die Party ihrer Tante um für die spätere „richtige Party“ mit ihren FreundInnen kostengünstig vorzuglühen. Und vorgeglüht haben sie. Ohne jegliche Hemmungen choreographieren sie in ihren engen und knappen Superheldinnen-Kostümen eine Show, die jedem geeichten Stangen-Tanz-Club-Besucher die Schamröte ins Gesicht treibt.

Thomas und ich sind natürlich schockiert und entsetzt. Allerdings können wir uns der visuellen Anziehungskraft der Performance nicht entziehen. Tja, und da beschließt mein Körper die Wirkung der blauen Pille mal auszutesten. Innerhalb von Sekunden schwillt mein Prinzenstab zu einem Herrschaftsknüppel. Ich selbst bin nur mehr Passagier. Keine Kontrolle mehr.

Das ist auch der Moment, in dem sich die engen Leggings nicht gerade als Vorteil erweisen. Meine hoheitliche Aufmerksamkeit ist für alle und jeden im Raum klar erkennbar. Vor allem, weil die „coolen“ Schwarzlichtlampen meine weißen Leggings so richtig schön zur Geltung bringen.

Die deutschen Mädels haben ihren Spass. Kichernd und lachend sorgen sie dafür, dass schnell jedem klar wird was Sache ist. Mit Schrecken sehe ich den wutentbrannten Blick unserer Gastgeberin und ihres Ehemannes, die nicht glauben können, das ein perverser Prinz in Leggings ihre blutjunge Nichte visuell so vergenusswurzeln kann.

Panisch suche ich nach einem Ausweg. Ich greife mir eine Salatschüssel und versuche damit meine Liebessignale zu bedecken. Dabei kippe ich mir den Gurkensalat (wie passend) inklusive veganisches Joghurtdressing über die Region meines Zauberstabs. Im ersten Schreck mache ich einen Schritt zurück, stolpere über die Katze, kippe nach hinten, krache in den Buffet-Tisch, verreiße mir den Rücken und lande mit all den veganischen Köstlichkeiten auf dem Parkettboden.

Da liege ich also. Von Rückenschmerzen praktisch gelähmt. Bedeckt mit einer Schicht aus Wassermelonen-Gazpacho, eingelegten Champions, Bohnensalat mit Tomaten und Kokos-Himbeer-Dessert. Wie ein traumhaft stiller Ozean aus veganischen Genüssen, aus dem — wie bei einem U-Boot — mein Viagra-gestähltes Periskop ragt. Trotz grandioser Rückenschmerzen will es sich nicht einfahren lassen.

Es muss sogar die Rettung kommen. Ich habe mir bei dem Sturz einen Rückennerv derart eingeklemmt, dass ich ins Krankenhaus muss. Wenigsten haben die Sanitäter ihren Spaß mit mir.

»Hätten die Gäste nicht das Buffet von dir runteressen sollen bevor wir dich holen?«

»Na Prinz Eisenherz? Haben wir da missverstanden wo das Eisen sein sollte?«

und natürlich auch noch

»Na, das nenne ich mal einen authentischen Nussknacker!«

Na ja, aus dem versprochenen erotischen Highlight mit meiner Frau ist dann nichts mehr geworden. Allerdings hat sie, wie immer, Recht behalten. Dieses erotische Halloween-Abenteuer werde ich wirklich nie mehr vergessen.

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