Unabweisliche Nachweise für die Unschuld von Südtiroler Freiheitskämpfern

Historische Forschungserträge

zu aufsehenerregenden Vorfällen während der 1960er Jahre

Der österreichische (Militär-)Historiker Hubert Speckner stieß einst auf äußerst brisante Verschlussakten im Staatsarchiv zu Wien. Als er sie erschloss, erschien insbesondere ein von italienischer Seite als blutigstes Attentat Südtiroler Widerstandskämpfer der 1960er Jahre gebrandmarkter Vorfall in einem gänzlich anderen Licht. Denn er erkannte alsbald, dass die sogleich auch von der österreichischen Regierung als zutreffend erachteten Beschuldigungen von italienischer Seite gegen die der Tat bezichtigten und in Österreich in Haft genommenen Personen, Erhard Hartung, Peter Kienesberger und Egon Kufner, äußerst zweifelhaft waren. Die Aktivisten des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) sollen demnach den Mast einer Überlandleitung gesprengt und eine Sprengstoffvorrichtung im unmittelbar benachbarten Gelände angebracht haben, bei deren Detonation drei italienische Militärangehörige getötet und einer schwer verletzt worden seien.

Die Genannten waren später in einem Prozess in Florenz in Abwesenheit zu hohen (Kufner) bis lebenslangen Haftstrafen (Hartung, Kienesberger) verurteilt, in Österreich hingegen "in dubio pro reo" freigesprochen worden. Speckner konnte schon in seiner ersten Studie ",Zwischen Porze und Roßkarspitz …‘ Der ,Vorfall‘ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten", Wien (Verlag Gra&Wis) 2013, aufgrund zahlreicher Aktenstücke den Nachweis führen, dass sich besagtes Geschehen an der Porzescharte keinesfalls so abgespielt haben konnte, wie es italienischerseits dargestellt wurde und in historisch-politischen Publikationen seinen Niederschlag fand. In "Zwischen ‚Feuernacht‘ und ,Porzescharte‘…. Das ,Südtirol-Problem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten", seiner aufsehenerregenden und doppelt umfangreichen Studie von 2016 (Wien, Verlag Gra&Wis), untersuchte Speckner mehr als 50 Fälle, welche sich im Rahmen des brisanten Südtirol-Konflikts zwischen Dezember 1955 bis März 1970 zutrugen. Schließlich stellte Speckner im Zusammenwirken mit amtlich anerkannter Fachleuten und deren fundierten Expertisen in seinem soeben im Verlag effekt! (Neumarkt a.d. Etsch) erschienenen Buch mit dem Titel "Pfitscherjoch Steinalm Porzescharte - Die drei ,merkwürdigen Vorfälle‘ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre 1966 und 1967" auf Rationalität fußende, exquisite Weise jene echoreichsten, blutigste Fällen vom Kopf auf die Füße und führt damit deren amtliche italienische Darstellungen ad absurdum.

Expertise von Fachleuten

So im Falle eines todbringenden Ereignisses am Pfitscherjoch, das sich am 23. Mai 1966 ereignet hatte. Dort war infolge einer angeblichen Detonation von 50 kg Sprengstoff ein Angehöriger der Guardia di Finanza ums Leben gekommen. Und alsbald wurden die vier "Pusterer Buben" Siegfried Steger, Josef Forer, Heinrich Oberleiter und Heinrich Oberlechner von Rom nicht nur dafür, sondern gleich mehrerer Anschläge beschuldigt – darunter des nie bewiesenen (und durch die spätere Aussage eines seiner Kameraden jemand anderem zugeschriebenen) Mordes am Carabiniere Vittorio Tiralongo 1964 in Mühlwald bei Taufers. Speckner kam aus den von ihm entdeckten und erstmals ausgewerteten Archivalien zum Ergebnis, wonach sich der Pfitscherjoch-Vorfall "kaum so zugetragen haben konnte wie von offizieller italienischer Seite dargestellt". Sein Befund ist von auf modernen naturwissenschaftlich-sprengtechnischen Instrumentarien fußenden Untersuchungen durch hinzugezogene Experten so erhärtet worden, dass sie der Wahrheit des Geschehens zweifelsfrei am nächsten kommen und somit als bewiesen gelten dürfen.

So allein schon durch die Fallbeurteilung des Spreng(mittel)ex-perten Max Ruspeckhofer, der in seiner "COLD CASE PFITSCHERJOCH - Wie ein Unfall zu einem Anschlag wurde" kurz und bündig feststellte: "Wenn man alle diese Dinge in Betracht zieht, bleibt eigentlich nur mehr eine einzige Schlussfolgerung übrig: Es handelte sich bei diesem Ereignis nicht um ein Attentat, bei dem bewusst der Tod von Menschen in Kauf genommen wurde, sondern um einen tragischen Unfall." Eine letztvergewissernde Expertise durch den beeideten unabhängigen Sachverständigen Harald Hasler untermauert nicht nur Ruspeckhofers Beurteilung, sondern stellt die amtliche italienische gänzlich in Abrede. Für Hasler steht zweifelsfrei fest, dass "aufgrund der festgestellten technischen Tatsachen und Sachverhalte zweifelsfrei klar [ist], dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 23. Mai 1966 am Pfitscherjoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben kann. Alle Indizien sprechen eindeutig für eine Gasexplosion.

Widersprüchliche Darstellungen

Analog dazu ergaben sich für Speckner wie für die beigezogenen Sachverständigen in der "Causa Steinalm" ähnlich geartete Ergebnisse. Knapp fünf Monate nach dem Geschehen rund um das Pfitscherjoch-Haus waren zufolge einer Explosion in einem kasernierten Stützpunkt der Guardia di Finanza (Finanzwache) auf der Steinalm nahe dem Brennerpass zwei Finanzwache-Soldaten ums Leben gekommen. Ein Schwerverletzter verstarb starb wenige Tage später. Bis heute werden in Italien politisch sowie justizamtlich drei BAS-Aktivisten, darunter der legendäre Freiheitskämpfer und Schützenmajor Georg ("Jörg";) Klotz, des "blutrünstigen Anschlags" bezichtigt – wenngleich Klotz nachweislich in Österreich im Exil war und auch die beiden anderen Beschuldigten hieb- und stichfeste Alibis hatten. Dass die offizielle römische Schuldzuschreibung zu verwerfen ist, untermauert die wissenschaftlich begründete Begutachtung durch den Sachverständigen Hasler. Er stellt nämlich aufgrund seiner umfangreichen Befundung, der forensisch-kriminaltechnischen Analyse sowie der Bewertung der Sachverhalte unumwunden fest, "dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 9. September 1966 auf der Steinalm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben konnte" und verwirft die dem damaligen Gerichtsurteil zugrundlegenden Ergebnisse italienischer Gutachter, sie unterlägen "keinen fachlich fundierten und objektiv ermittelten gerichtsverwertbaren Schlussfolgerungen".

Schließlich der an Tragik und Verwerflichkeit des amtlichen Wirkens italienischer Politik wie Justiz sowie des publizistischen ebenso wie des generellen historiographischen Nachhalls im Blick auf die "Südtiroler Bombenjahre" wohl kaum zu übertreffende "Fall Porzescharte". In einer Auflistung von (nach heutigen Erkenntnissen angeblichen) Terroranschlägen, die einer Wien übermittelten diplomatischen "Verbalnote" des römischen Außenministeriums vom 18. Juli 1967 beigeheftet ist, war das Geschehen auf der Porzescharte am 25. Juni 1967 wie folgt beschrieben worden: "Sprengung des Mastes einer Hochspannungsleitung durch eine mit Uhrwerk versehene Sprengvorrichtung. Während des Lokalaugenscheins tritt der Alpini-Soldat Armando Piva auf eine Tretmine und verursacht eine Explosion. Infolge der schweren Verletzungen stirbt der Soldat kurz darauf im Zivilkrankenhaus von Innichen. Gegen 15 Uhr desselben Tages gerät eine Feuerwerker-Truppe nach Säuberung des um den Hochspannungsmast gelegenen Geländes in eine weitere Minenfalle. Die Explosion verursacht den Tod des Karabinierihauptmanns Francesco GENTILE, des Fallschirmjägerleutnants Mario DI Legge und des Fallschirmjäger-Unteroffiziers Olivo TOZZI [sic!, der richtige Name ist DORDI], sowie schwere Verletzung des Fallschirmjäger-Feldwebels Marcello FAGNANI. Am Tatort wurde ein Gerät mit der Aufschrift B.A.S. aufgefunden."

Schon von Anfang an hatten sich daran jedoch äußerst auffällige Widersprüche ergeben. Bereits nach den ersten italienischen Meldungen, die österreichischen Stellen übermittelt worden waren, ließ sich der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Doblander am 26. Juni mit einem Hubschrauber an den Ort des Geschehens bringen. Das Ergebnis seines Erkundungsflugs wurde an das österreichische Innenministerium gemeldet: "Der Bezirkshauptmann schließt mit 100 %-iger Sicherheit‘ aus, daß in der Nähe dieses Mastes eine andere Explosion erfolgt ist. Es konnten weder Fußspuren noch Blutspuren noch irgendwie andere Spuren festgestellt werden, die darauf hindeuten würden, daß sich hier mehrere Menschen befunden haben. Der italienische Grenztrupp soll aber aus 25 Personen bestanden haben. Die Anwesenheit dieser 25 Personen in der Nähe dieses Mastes hält der Bezirkshauptmann auf Grund der Bodenlage und -beschaffenheit für ausgeschlossen." Dies deckte sich mit dem Inhalt eines Aktenvermerks der Tiroler Sicherheitsdirektion aufgrund von Angaben zweier Monteure der Verbundgesellschaft aus Lienz und des sie begleitenden , Gendarmeriebeamten vom 27. Juni: "Im näheren Bereich des Mastes auch auf italienischem Gebiet konnte außer einem Zettel, italienisch beschriftet, einigen Drähten, keine Spuren gefunden werden, die auf Minenexplosionen und vor allem auf das Verunglücken von Menschen schließen lassen. Es wäre anzunehmen, daß in solchen Fällen Verbandreste, Blutspuren oder ähnliches wahrnehmbar gewesen wären."

Der "blutigste Terrorakt", der keiner war

Fest steht, dass die alsbald für "den blutigsten Terrorakt" verantwortlich gemachten und in Innsbruck in Untersuchungshaft genommenen Aktivisten des Südtiroler Freiheitskampfs Erhard Hartung (Arzt), Peter Kienesberger (Elektriker) und Egon Kufner (Soldat) in besagter Nacht im Juni 1967 gemeinsam am Ort des Geschehens waren. Sie waren nach Einbruch der Dunkelheit in Richtung Porzescharte aufgestiegen, um dort einen verwundeten Südtiroler BAS-Mann zu übernehmen, brachen das Vorhaben aber aufgrund unüblicher Wahrnehmungen des durch viele ähnliche Einsätze erfahrenen Kienesberger, der sie als mögliche italienische Falle deutete, aber ab. Vehement stellen Hartung und Kufner, die beiden noch Lebenden – Kienesberger verstarb 2015 – das von italienischer Seite unterstellte Ziel der gezielten Tötung von Angehörigen der italienischen Sicherheitskräfte mittels Minen in Abrede. Die in Italien verurteilten und dort nach wie vor von Inhaftierung bedrohten, in Österreich hingegen freigesprochenen beiden lebenden Aktivisten beteuern in aller Klarheit, mit dem Tod der vier italienischen Soldaten am 25. Juni 1967 nicht das Geringste zu tun zu haben, was in den österreichischen Gerichtsverfahren, dem damals zugrundeliegenden, von ihren Verteidigern initiierten Gutachten sowie von den in Speckners vorgelegtem Buch eingegangenen jüngsten Sachverständigen- -Expertisen untermauert worden ist.

Die italienische Darstellung der Ereignisse um den 25. Juni 1967 ist unter Druck, dem sich Wien schändlicherweise nicht widersetzte, vom politischen Österreich und dessen Sicherheits- sowie partiell auch Justizorganen letztlich übernommen worden. Demnach hätte die Gruppe Kienesberger binnen einer halben Stunde den Strommast doppelt vermint und zudem zwei perfekt getarnte Sprengfallen derart optimal verlegt, dass sie ihr mörderisches Ziel erreicht hätten. Wie sich in Speckners vorliegendem Buch zeigt, missachtet die erwähnte Übernahme der italienischen Darstellung durch Wien selbst die österreichische sicherheitsdienstliche Aktenlage sowie die sprengtechnischen und naturwissenschaftlichen Bedingungen des Geschehens auf der Porzescharte. Diese werden in den gutachterlichen Stellungnahmen der Sachverständigen ausführlich erörtert.

So fasst Ruspeckhofer die von ihm angestellten umfänglichen sprengtechnischen Analysen unumwunden in der aussagekräftigen Feststellung "ein Attentat, das keines war" zusammen. Und Hasler stellte nach vier Jahren umfangreicher wissenschaftlicher Arbeiten zusammenfassend fest: "Aufgrund der sehr umfangreichen Befundaufnahme, der Feldversuche/ Rekonstruktionen sowie Detailanalysen der einzelnen Sachverhalte zu den aktenkundigen Angaben der Ereignisse vom 25. Juni 1967 auf der Porzescharte kann […] mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass sich die Ereignisse so NICHT ereignet haben können. Die dokumentierten Ereignisse sind nicht im Ansatz reproduzierbar, absolut unerklärbar und nicht im Ansatz nachvollziehbar. […] Praktische Feldversuche bei denen die Sprengung vom 25.06.1967 mehrmals mit ballistischer Gelatine, humanoiden Dummies und Indikatoren nach den Aktenangaben wissenschaftlich hinterfragt und nachgestellt wurden", belegten dies "eindeutig und zweifelsfrei".

Ehre und Unehre

Speckners Buch enthält bisher unbekannte Illustrationen aus den von ihm erschlossenen Akten sowie solche, die von den wissenschaftlichen Feldversuchen der Gutachter herrühren, und es schließt mit einem anlassbezogenen pointierten Überblick über jene überaus beachtenswerten geheimdienstlichen Aktivitäten in Italien, welche vor allem im Zusammenhang mit der Südtirol-Problematik von Belang und Substanz sind. So bleibt abschließend festzuhalten, dass die Anschläge von 1966 und 1967 auf dem Pfitscherjoch, der Steinalm und der Porzescharte keineswegs unter die Verantwortung der Freiheitskämpfer des BAS rubriziert werden dürfen. Es gereicht Italien ebensowenig zur Ehre wie einer gewissen Spezies aus der Historiker- wie der Politologenzunft, dass trotz längst dingfest gemachter Widersprüchlichkeiten und nachgewiesener Unrichtigkeiten geradezu unnachgiebig an herkömmlichen Darstellungen festgehalten wird. Und allen in die Südtirol-Frage involvierten Amts- und Funktionsträgern in Politik, Justiz, Wissenschaft und Medien Österreichs und Tirols als Ganzes ist leider der Vorwurf nicht zu ersparen, angesichts aller neuen Erkenntnisse, die sie aufrütteln müssten, vor diesem untragbaren Zustand die Augen zu verschließen.

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