EU-Türkei-Flüchtlingsdeal – Anlass für Skepsis

Die EU hat sich mit der Türkei hinsichtlich der Rahmenbedingungen für einen Deal in Sachen Flüchtlinge geeinigt. Er hat es in sich.

Dem türkischen Vorschlag zufolge nimmt die Türkei jeden „irregulären Migranten“ (also auch Syrer), der nach Griechenland gelangt, zurück. Im Gegenzug dazu übernimmt die EU einen in der Türkei befindlichen syrischen Flüchtling.

Damit sollen die Anreize, die gefährliche Reise nach Europa auf sich zu nehmen verringert und das Schlepperwesen bekämpft werden. Die dahinterstehende Ratio: Es bringt nichts, nach Europa zu fliehen, weil man ohnehin in die Türkei zurückgeschickt wird. Laut Angela Merkel werden „diejenigen, die illegal die griechischen Inseln erreicht haben, … mit Sicherheit nicht zu denen gehören, die als erste umgesiedelt werden“, bestenfalls stehen sie am Ende der Schlange, wahrscheinlich werden sie überhaupt nicht umgesiedelt.

Der Preis, den die EU der Türkei zahlt, ist äußerst hoch: 6 Milliarden €, Visaliberalisierung für türkische Staatsangehörige und eine Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche – ungeachtet der mehr als bedenklichen Entwicklungen, die die Türkei in Sachen Menschenrechte in den letzten Jahren vollzogen hat. Noch fehlen das Einverständnis Ungarns und die letzten Details. Es wird aber davon ausgegangen, dass die Sache so durchgeht.

Kritiker (so etwa in der "Don Alphonso" in seinem Blog in der der FAZ) bemängeln, dass der Türkei damit die Macht gegeben wird, die Anzahl der Flüchtlinge in der EU zu bestimmen. Je mehr Flüchtlinge nach Griechenland gelangen, desto höher die Anzahl derjenigen, die Europa im Gegenzug aufnehmen muss. So gesehen besteht ein Anreiz für die Türkei, möglichst viele nach Europa zu lassen. Obergrenze gibt es hier keine. Obendrein obliegt die Auswahl der in Europa aufzunehmenden Kontingente bei der Türkei alleine, ohne Einbindung des UN-Flüchtlingswerks. Dabei muss man somit den türkischen Behörden vertrauen oder die Prüfung selbst – vor Ort – vornehmen, was angesichts der völligen Überlastung wenig realistisch erscheint. Hinzu kommen die damit einhergehenden Rechtsfragen – der UN Hochkommissar für Menschenrechte hat im Hinblick auf die Vereinbarung offen seine Sorge wegen der Gefahr möglicher illegaler kollektiver und willkürlicher Abschiebungen geäußert.

Ganz allgemein ist die EU der Türkei mehr oder minder ausgeliefert. Erdogan wird nicht umsonst als „Torwächter“ oder „Türsteher“ bezeichnet. Laut einem geleakten Dokument soll er sogar damit gedroht haben, die Grenzen komplett zu öffnen und die Flüchtlinge in Busse zu setzen, wenn die EU nicht mehr zahle. Außerdem war er sich dessen bewusst, alle Trümpfe in der Hand zu haben: "Was wollen Sie mit den Flüchtlingen machen, wenn Sie keinen Deal bekommen? Die Flüchtlinge töten?" Auf die Erwiderung von Donald Tusk, dass man die EU notfalls unattraktiver machen könne, habe Erdogan damit geantwortet, dass die EU mit mehr als nur einem toten Jungen an der türkischen Küste rechnen müsse. "Es werden 10.000 oder 15.000 sein. Wie wollen Sie damit umgehen?"

Dass die deutsche Kanzlerin erst unlängst offen klargestellt hat, in ihrem Vorhaben keinen Plan B zu haben, spricht Bände. So wurde die äußerst schwache Verhandlungsposition der EU zusätzlich einzementiert.

Als außenstehender Beobachter versteht man die momentanen Abläufe schon lange nicht mehr. Oder fragt sich, wie viel hinter den Kulissen geschieht, was die Sachen doch erklären würde. Ein Hurra auf die Verschwörungstheorien und sonstige alternative Hypothesen, die auf den ersten Blick bizarr und auf den zweiten irgendwie nachvollziehbar klingen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer etwa hat die deutsche Strategie provokant und süffisant als genial bezeichnet – „Merkels Flüchtlingspolitik vielleicht doch genial? Alle Grenzen dicht, kein Durchkommen mehr nach Deutschland - und wir sind nicht schuld.

5
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
5 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Die Tempeltänzerin

Die Tempeltänzerin bewertete diesen Eintrag 15.03.2016 17:18:18

gigimannheim

gigimannheim bewertete diesen Eintrag 12.03.2016 11:09:11

Joachim Eberhard

Joachim Eberhard bewertete diesen Eintrag 12.03.2016 10:10:18

Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 11.03.2016 18:46:23

Dieter Knoflach

Dieter Knoflach bewertete diesen Eintrag 11.03.2016 15:50:55

23 Kommentare

Mehr von Ralph Janik