Asyl-Obergrenzen werden derzeit intensiver debattiert denn je. Vieles ist ungeklärt: Wie lässt sich das mit der gegebenen Rechtslage vereinbaren (die Genfer Flüchtlingskonvention sieht keine Obergrenzen vor) durchführen, kann man überhaupt effektiv und ohne Anwendung von Waffengewalt Menschen vom Einreisen abhalten, würde es gerade in Österreich ohnehin nicht funktionieren (Stichwort Schludrian). Die Gretchenfrage dürfte indes darin bestehen, ob es eine solche überhaupt gibt und ab wann sie erreicht ist.

Aus der Vielzahl der Meinungen, die es zu diesem Thema gibt, sticht Paul Collier hervor. Er hat mit "Exodus" eines der bedeutendsten Bücher zum Thema Einwanderung geschrieben. Grundsätzlich beschreibt er darin dafür, zwischen den Interessen des Ziellandes und der Notwendigkeit, Asyl zu gewähren beziehungsweise Migration zuzulassen, entsprechend abzuwägen – kurzum, Migration zu steuern, weil sonst am Ende niemand etwas davon hat. Ab einer gewissen Anzahl scheitert die Integration. Er sieht dabei nicht die ökonomischen Folgen von Migration (also die zuletzt von Hans-Werner Sinn angestoßene Debatte, ob Zuwanderung im Allgemeinen ein Minusgeschäft darstellt), sondern die sozialen Folgen als entscheidend an. Kulturelle Diversität birgt enorm viel kreatives Potenzial und somit Raum für Innovation. Ab einer gewissen Anzahl geraten Gesellschaften jedoch in eine Schieflage und die Stimmung droth zu kippen weil

"das gegenseitige Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft tendentiell sinkt, wenn die Verschiedenheit durch Einwanderung zunimmt. Für die modernen und reichen Gesellschaften ist das deshalb von Bedeutung, weil wir unzählige, sehr komplexe Institutionen haben, die auf gegenseitigem Vertrauen und Kooperation aufbauen, etwa in unseren Sozialsystemen. Wenn eine Gesellschaft zu verschieden zusammengesetzt ist, wird es schwieriger, die Kooperation in solchen Systemen zu organisieren. Das ist in der Forschung nicht kontrovers, sondern Standard."

Eine vernünftige, die Erkenntnisse Colliers einbeziehende Debatte rund um die Aufnahmekapazitäten und -bereitschaft der beliebtesten Zielländer scheitert nach wie vor an der Vermischung von Zuwanderung und Asyl. Daher reden jene, die betonen, dass Menschlichkeit keine Grenzen kenne und jene, die auf die die Grenzen des Schaffbaren verweisen, in der Regel aneinander vorbei. Wie man diese beiden Bereiche effektiv voneinander trennen möchte, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Völlige Abschottung gilt als kalt, unbegrenzte Zuwanderung auf dem Asylweg als unrealistisch. Selbst die linke Ikone Slavoj Zizek findet äußerst harte Worte für letztere Position:

"Die größten Heuchler sind zweifellos diejenigen, die offene Grenzen propagieren: Insgeheim wissen sie, dass es dazu nie kommen wird, weil eine populistische Revolte in Europa die Folge wäre. Sie spielen die schöne Seele, die sich über die verdorbene Welt erhaben fühlt, aber heimlich gern mit dabei ist. Auch die populistischen Einwanderungsgegner wissen ganz genau, dass es den Afrikanern, wenn man sie sich selbst überlässt, nicht gelingen wird, ihre Gesellschaften zu ändern. Warum nicht? Weil wir Westeuropäer sie daran hindern. Es war die europäische Intervention in Libyen, die das Land ins Chaos stürzte. Es war der US-amerikanische Angriff auf den Irak, der die Bedingungen für den Aufstieg des IS schuf. Der anhaltende Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik zwischen dem christlichen Süden und dem muslimischen Norden ist nicht einfach nur ein Ausbruch ethnischen Hasses, er wurde durch die Entdeckung von Ölvorkommen im Norden ausgelöst: Frankreich (mit den Muslimen verbunden) und China (mit den Christen verbunden) kämpfen mithilfe ihrer Stellvertreter um die Kontrolle über das Öl."

Damit spricht er einen wichtigen, mitunter den entscheinden Punkt an: Militärische und sonstige Interventionen, die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen im Ausland oder fragwürdige Pläne, die Situation in den Herkunftsländern zu verbessern (so zerstört die EU-Subventions- und Handelspolitik im Agrarbereich seit je her die afrikanischen Märkte beziehungsweise lässt sie sie gar erst nicht entstehen) haben massive Folgen, die nun an die Pforte der wohlhabenderen europäischen Staaten klopfen. Europa und "der Westen" ist gewiss nicht alleine schuld, hat aber einen entscheidenden Anteil.

Es gilt, Probleme zu identifizieren und zu bennen, sich dabei auch von tradierten Weisheiten zu verabschieden. Der Flüchtlings- und Migrationsstrom erfordert ein fundamentales außenpolitisches Umdenken. Was konkret getan werden muss, steht freilich auf einem anderen Blatt. Um hier Lösungen zu finden, muss man sich zuerst des Problems bewusst werden.

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