Realitätscheck Notaufnahme: Für immer gsund bleiben!

Dieser Blog entstand, während ich gemeinsam mit Dutzenden Patienten darauf wartete, bis mein werter Name aufgerufen wird.

Es ist 09:15 Uhr.

Während ich das kranke Klientel unter die Lupe nehme, gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. An der Tatsache, dass mein linkes Auge was ‘abgfangen’ hat, kann ich leider nix ändern. Auch daran, dass etwa 40 Personen vor mir warten, nicht. Keiner ist aus Jux und Tollerei hier, sondern wartet mehr oder wenig geduldig auf seinen Aufruf.

Bei der Aufnahme prangert ein grosses Warnschild. Darauf steht, dass “Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten gegenüber dem Personal sofort bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden”. Das irritiert mich etwas. Klingt so amerikanisch. Wohl ein Zeichen dafür, dass es in der Vergangenheit die einen oder anderen Probleme mit den wütend wartenden Patienten gegeben haben muss.

Ein gewisser Herr Lopez ergreift erzürnt das Wort, dass er bereits seit halb sieben wartet, das wären ja fast schon 3 stunden.

Erstes Augenbrauenheben und Rechnereien beginnen, was das wohl für mich bedeuten könnte.

Dabei hätte ich es mir einfacher machen können: Ich war bereits vor 5 jahren im selben Spital. Damals habe ich meine Nachbarin angerufen, die in diesem Spital arbeitet. Damals waren gleich viele Mesnchen vor mir, aber wie aus Geisterhand kam ich nach etwa 15 Minuten Wartezeit dran.

Ein kurzer Gedanke kam auf als ich mich auf den Weg ins Spital machte. Soll ich oder soll ich nicht?

Viele werden jetzt denken, warum nützt der glückliche denn die Gelegenheit nicht aus wenn er schon wem kennt in diesem Spital?

Wartet er denn gerne im gemüts überhitzten Warteraum? Gerne ist kein Ausdruck.

Einige hartgesottene, erfahrene Patienten, die wohlgemerkt auch schon über 3 Stunden warten, ergreiffen belustigt das Wort.

Der eine sagt zum erzürnden anderen, dieser könne sich wenigsten die Zeit mit Zeitunglesen vertreiben, er sei vor zwei Monaten erblindet und wäre froh wenn er sich die Zornesfalten der anderen anschauen könnte.

Ruhe kehrt ein. Das ganze relativiert die Warterei wieder etwas.

Mittlerweile gibt es sogar geklatsche wenn wieder mal jemand aufgerufen wird. Ein “Gratuliere” macht die Runde. Die ersten, die ich schmunzeln sehe. Ach das waren wohlgemerkt Personen, die erst vor 5 Minuten Platz genommen haben.

Die haben NOCH Humor.

Ups ich habe wohl Anfangs vergessen zu erwähnen, dass ich mich in der Notfallsambulanz der Augenklinik befinde.

Zwei Ärzte, drei Schwestern, die die Fälle aufnehmen. Und Notfälle am laufenden Band. Nein ihr werdet jetzt keinen vorwurfsvollen Ton hören, eher macht sich rätseln breit. Ja auch ich habe Schmerzen, weiss noch nicht was ich habe, aber dann denk ich wieder an den Blinden geduldigen Mann, während ich diese Zeilen tippe. Dabei hat er genauso wie ich eine dunkle grosse Sonnenbrille im Gesicht.

Mittlerweile sind 1 1/2 Stunden vergangen. Ich mach mal eine Augenpause. Ein Brennen macht sich breit.

Mein blinder linker Sitznachbar bittet mich, ob ich von seinem Handy sein Hasi anrufen könne. Er habe sich an des neumodische Ding noch nicht gewöhnt und die Spracherkennung funktioniert nicht.

Aber als ich jenem rechten Sitznachbar, Herrn S. zuhöre, welcher gerade eben neben mir Platz genommen hat, welcher freizügig erzählt, er sei ein guter Freund vom Herrn Primar, wird mir einiges klar. Er ist auch einer von den wahrscheinlich vielen Nutznieser, der genau wie ich vor 5 Jahren diese Gelegenheit sehr wohl (wieder) in Anspruch nimmt.

Herr S., der Freund des Primars wird aufgerufen.

Ein Raunen geht durch die Menge. Herr S. geht in den Behandlungsraum. Der Nebensatz:”No ois dann - 5 Minuten” macht den Herrn nicht unbedingt sympathisch.

Und spätestens JETZT weiss ich: Ich warte lieber ehrliche drei Stunden, als habe das Gefühl ein weiterer Vorzugspatient erster Klasse zu sein, der dieses System vergiftet. Und ich sage mir immer wieder vor: Für immer gesund bleiben!

Es wird mit dem Summerton 12:15 Uhr

“Herr Reinhard H. Behandlungsraum 2”

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