Hirtenbrief an die Gemeinde der Facebook-Gläubigen

Wir alle, geschätzte Clicker & Clickerinnen in unseren Gated Friendship-Communities, sind uns einig, dass wir lieber den grün-liberalen Wohlfühl-Teddy auf dem Präsidentenstuhl sehen als den blauen Schwieger-Burschen, ebenso wie wir schon den sozialdemokratischen Wohlfühl-Igel lieber hatten. Click-click.

Wer jetzt emotionslos und pragmatisch dieses Ziel verfolgen will, wird nicht uns, sondern die Griss- und Kohl-Wähler überzeugen müssen, und vielleicht auch jene, die Hofer wählten, weil er schönere Zähne hat als Van der Bellen. Aber: Wer von uns ist mit Griss-, Kohl- und Hofer-Wählern befriendet?

Die martialischen Aufrufe, sich im Endkampf zwischen Gut und Böse um den neoliberalen TTIP-Befürworter Van der Bellen zu scharen, täuschen darüber hinweg, dass der Teddy wie der Igel für eine Ökonomie stehen, deren destruktive Wucht und Scheitern die Hofers und Orbáns und Le Pens an die Macht spült.

Aber, Van der Bellen verkörpert auch einen zivilisatorischen Grundkonsens, Vernunft und eine sympathische Verbindlichkeit, hinter die wir nicht zurückfallen wollen. Und er verkörpert wie Merkel die rationaleren Segmente des Kapitals, die weniger aus Humanität als aus zweckdienlichen ökonomischen Gründen dem Neuziehen der Binnengrenzen und dem Rassismus widerstehen. Da es auf weiter Flur keinen Kommunismus gibt, der die Kapitalinteressen bedroht, ja nicht einmal eine einigermaßen funktionierende Sozialdemokratie, die nicht bei jeder Gelegenheit die Hose runterlässt, braucht der westeuropäische Kapitalismus diesmal (anders als 1933) auch den Faschismus nicht. Pragmatismus heißt, als Linker die Liberalen zu verteidigen, um den Rechtsruck und somit die Barbarei zu bremsen, die die Liberalen mitverschuldet haben. Ich weiß, misery makes strange bedfellows.

Van der Bellen ist kein Hoffnungsträger, sondern Hoffnungslosigkeitsverzögerer. Er ist kein symbolischer Glücksbringer, sondern ein symbolischer Unglücksverhinderer. Er wäre der kuschelige Teddybär, der dem blauen Abschaum den Kanal in wichtige Institutionen verstopft. Für eine gewisse Zeit zumindest, die wir damit gewinnen. Und hoffentlich zu nützen wissen. Und: Van der Bellens Präsidentschaft wäre ein Garant dafür, dass er nie Wirtschaftsminister würde. Allein dafür gehört er gewählt.

Und jetzt hört auf, hysterisch zu clicken, sondern geht, wie Bernhard Dechant gefordert hat, in den Gemeindebau. Redet mit den Co-Konsumenten an der Wurstbar. Viele von denen sind keine Faschos, sondern einfach apolitisch. So wie wir, wenn wir auf Teddybären reinfallen anstatt das System zu durchschauen.

Ich persönlich bin über den blauen Etappensieg nicht schockiert, sondern erstaunt, dass er so spät kommt. Aber hört auf, die SPÖ zu ermahnen, ihren Anfängen zu wehren. Diese Bande, als Filiale der gesamteuropäischen sozialdemokratischen Jämmerlichkeit, ist der Hauptschuldige am Debakel. Der Kampf gegen die FPÖ wird vor allem durch diesen historischen Schutt namens SPÖ behindert, auf der Gstetten wachsen keine rote Nelken mehr. Nicht einmal zum geringeren Übel taugt sie.

Die Zeit der Wohlfühlzonen ist eben vorbei. Gar nicht so schlecht. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Weder die alten noch die digitalen Panicrooms, weder die alten noch die digitalen Wohnzimmer können uns Unterschlupf gewähren. Eine Chance.

Richard Schuberth ist Schrifsteller. Sein Buch "Karl Kraus. 30 und drei Anstiftungen" erscheint im Juni im Klever Verlag. Letzte Buchveröffentlichungen: "Bevor die Völker wussten, dass sie welche waren" (Promedia) und "Chronik einer fröhlichen Verschwörung" (Zsolnay).

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Grubo84

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devils grandma

devils grandma bewertete diesen Eintrag 03.05.2016 15:45:17

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