Ich bin nicht Charlie. Und will es niemals sein.

Man traut sich ja eh fast nicht, etwas gegen Charlie Hebdo zu sagen. Schon gar nicht als jemand, dem Meinungsfreiheit so wichtig ist. Oder, halt, ist man nicht gerade als solcher beinahe dazu verpflichtet? Etwas zu sagen? „Pfui Teufel, Charlie“ zum Beispiel? So bei näherer Betrachtung nämlich.

Vorausgeschickt, eine Selbstverständlichkeit, aber vorsichtshalber doch noch einmal ausgesprochen: Nichts, aber auch gar nichts entschuldigt das Attentat auf die Leute von Charlie Hebdo im Vorjahr. Nichts entschuldigt das Töten von Menschen. Gar nichts, nicht einmal die allergrößte Beleidigung. Die Todesschützen von damals sind ein dreckiges Mörderpack, einfach nur Verbrecher, nicht mehr und nicht weniger, ganz egal was ihre Motive waren.

So, und nachdem das geklärt ist, können wir über Meinungsfreiheit, Satire, Geschmack, Macht und Verantwortung reden. Und über den neusten Streich von Charlie Hebdo.

Der Cartoon zeigt einen Mann mit Schweinsgesicht, der mit gierig ausgestreckten Griffeln eine schreiende Frau jagt. Eine kleine Zeichnung daneben stilisiert das Bild des ertrunkenen Dreijährigen, das vor Monaten um die ganze Welt ging. Die Überschrift des Cartoons fragt: "Was wäre aus dem kleinen Aylan geworden, wenn er erwachsen geworden wäre?" Die Antwort lautet: "Arschgrabscher in Deutschland."

So weit, so widerlich.

Eine nachgereichte Erklärung (u.a. von Stephan Maus im Stern) behauptet, die Zeichnung solle dem allgemeinen Tenor, der „alle Flüchtlinge zu Arschgrabschern“ macht, eine Art kritischen Spiegel vorhalten. Doch dieses Argument geht einfach nicht auf, weil das Zielpublikum nicht stimmt. Jene, die damals um den kleinen Aylan trauerten, sind es nämlich nicht, die erwachsene Flüchtlinge pauschal verurteilen, ganz im Gegenteil.

“Wir Kunstschaffenden sind eigentlich mächtige Menschen. Wir stellen uns mit dem was wir tun in die Öffentlichkeit. Wir haben Publikum, mehr oder weniger. Wir tun etwas Wesentliches und Eigentliches. Wir setzen uns mit der Welt auseinander, schauen sie an, bilden sie ab, beschreiben sie, kommentieren sie, öffnen neue Zugänge, wir pflanzen im Idealfall Gedanken und Ideen in die Köpfe der Zuhörer und Betrachter. Und bringen damit irgendetwas in Gang, etwas Kleines oder Großes, etwas das sofort wirkt oder auch erst viel später, bewusst oder unbewusst. Kunst ist – direkt oder indirekt – immer auch politisch. Irgendetwas bringt das Erleben von Kunst in den Menschen immer in Gang. Darin liegt ihre Macht. Und damit einhergehend ihre Verantwortung. Einen Teil dieser Verantwortung nehmen wir mit dieser Ausstellung wahr, in der wir gemeinsam mit vielen anderen unsere Stimmen erheben, für Respekt und Empathie im Umgang mit unseren Mitmenschen, wer immer sie auch sind und von wo auch immer sie vertrauensvoll zu uns kommen.“

So lautet ein Ausschnitt aus meinen Notizen für die Eröffnungsrede, die ich im Dezember anlässlich einer Gemeinschaftsausstellung an der Linzer Kunstuniversität halten durfte.

Die Frage „Was darf Kunst?“ oder im aktuellen Fall eben auch „Was darf Satire?“ ist leicht beantwortet. „Alles.“ Das haben größere als ich festgestellt und ich bin weit davon entfernt, etwas anderes zu behaupten. Selbst immer wieder an Satireprojekten beteiligt, weiß ich genau, wie verlockend, ja befreiend es ist, was für einen Heidenspaß es machen kann, im Dienst einer größeren Sache die Zügel loszulassen und sich einmal politisch völlig unkorrekt daneben zu benehmen. Und die einzige Grenze ist das eigene Gefühl für eine Art von Rest-Anstand, ehe es zu weit geht, ehe es allzu tief ausufert. Die einzige Grenze, die es für Satire geben darf, ist die, die man sich selbst setzt. Niemandem sonst sollte es erlaubt sein.

Satire darf also alles, so weit sind wir uns einig. Dass sie nicht alles muss, ist eine andere Sache. Und dass jeder einzelne Künstler, Zeichner, Maler, Texter sich seiner Verantwortung bewusst sein sollte, müsste man eigentlich verlangen können. Im Fall von Charlie Hebdo werde ich den Verdacht nicht los, und nicht erst seit heute, dass diese Leute sich nur einer Sache bewusst sind, nämlich ihrer Macht, und dass sie sich eine Art perversen, gedankenlosen (oder was noch schlimmer wäre: bewussten) Spaß daraus machen, diese Macht zur Hetze zu missbrauchen. Auch fadenscheinige Relativierungen und Erklärungen hinterher machen die vordergründig ausgesandte Botschaft nicht mehr wett.

Scheinheiligkeit orte ich also nicht bei den angeblich Angesprochenen. Sondern bei denen, die jetzt für das unappetitliche Machwerk Interpretationen liefern, die sie unter irgendeinem Stein hervorgezogen haben, um ihren dummen Rassismus zu leugnen. Zu spät, Leute. Der Shitstorm ist bereits in vollem Gang. Der Applaus von dort, wo die Sonne nicht hinscheint, vermutlich auch. Dann steht jetzt wenigstens dazu, was ihr angerichtet habt, und seid nicht auch noch feige.

Noch einmal: Nichts entschuldigt das blutige Attentat von damals, so etwas dürfte einfach nicht passieren. Aber dass Charlie Hebdo je geschmackvoll oder gar sympathisch gewesen wäre, kann man wirklich nicht behaupten. Auch die Mohammed-Karikaturen von damals fand ich unter jeder Sau, einfach nur widerwärtig und peinlich, substanzlos obendrein, denn sie enthielten keine ernstzunehmende Kritik (was man von intelligenter Satire eigentlich erwarten sollte), sondern waren einfach nur dumpfe, plumpe Beleidigung. Insofern ist auch ihre neue Schweinerei jetzt keine Überraschung.

Das allgemein grassierende fb-Profilbild „Je suis Charlie“ habe ich mir damals im ersten Entsetzen wie viele andere ebenfalls hochgeladen, dann allerdings schnell wieder abgeschminkt, nachdem ich mich ein wenig schlau gemacht hatte über deren Linie. Und auch jetzt, nach diesem neuesten zutiefst herz- und hirnlosen Streich, schließe ich mich jenen an, die zu Recht erschüttert „Je ne suis pas Charlie“ erklären. Nein. Das bin ich nicht. So bin ich nicht und so will ich auch niemals sein.

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Erkrath

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Nathalie Verena Ulrich

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