Gymnasium: Das strenge Mädchenpensionat

Teil 2 der Generation G: Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Die glückliche und freie Kindheit war mit meinem 10 Lebensjahr mit einem Schlag zu Ende:

Meine Eltern bezogen die neu eingerichtete Praxis im Dorf und ich kam ins Gymnasium, mangels geeigneter Schulen am Land und auf Befehl meines gestrengen Großvaters, in ein exklusives Mädchenpensionat, geführt von katholischen Nonnen. Vorbereitet wurde ich nicht darauf - niemand konnte mir sagen, was mir da bevorsteht, dazu kam, dass einige Mitglieder meiner Familie zwar gläubig waren, doch mit der Kirche nichts am Hut hatten, diese kannte ich nur aus dem Religionsunterricht der Dorfvolksschule.

Die ziemlich schwere Aufnahmeprüfung hatte ich schon im Frühjahr bestanden. Und so brachten mich meine Eltern zu Schulbeginn ins Internat, halfen mir noch beim Auspacken und winkten dann kurz zum Abschied. Da stand ich nun verloren in der neuen Schuluniform, (nichts mehr mit dem gewohnten Ruderleiberl und der kurzen Lederhose) mit ganz kurzen Haaren zwischen all den Mädchen mit Locken oder langen Zöpfen, die mich betrachteten wie  ein seltsames Tier und ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben so ganz verlassen und allein.

Also kletterte ich frustriert auf eines der eher kümmerlichen Bäumchen, die da zwischen dem betonierten Boden hervorragten, und wollte mir‘s dort gemütlich machen - leider fanden das alle, vor allem die Nonnen, gar nicht so gut. Sie rannten mit wehenden Schleiern herbei und verlangten sofort abzusteigen, weil sonst "kommst du doch statt in den Himmel in die Hölle." Ich entgegnete: "Also wenn‘s im Himmel so aussieht wie hier, dann will ich lieber in die Hölle." Ich wurde mal gleich ins Haus geschickt zur "Mutter Oberin", die mir klar machte, dass ich nicht das Recht hätte zurückzureden, sondern die Befehle der Erzieherin sofort ausführen müsse.

Dann hieß es: "Anstellen in Zweierreihen zum Abendessen." Als ich auf den Teller schaute, hätte ich am liebsten gekotzt - altes Brot, eine entsetzlich schmeckende Margarine (ich kannte bis dahin keine) und ein roter Schleim, der als "Marmelade" bezeichnet wurde. Meine erste Tat im Internat: Ich weigerte mich - verwöhnt von der bis über unseren Ort hinaus bekannten hervorragenden Küche meiner Mama - das zu essen.

"Heute sehen wir dir das noch nach, aber hier wird alles gegessen, was auf den Teller ist" - ein Konflikt, der sich die restlichen ACHT Jahre hinzog.

Der Alltag war streng geregelt:

Aufstehen um 6Uhr, dann Morgenandacht, dann Frühstück. Wenigstens gab‘s da mal ab und zu eine (nicht zu frische) Semmel. Vor jeder Mahlzeit gab‘s natürlich noch ein Tischgebet. Dann Schulsachen richten, Unterricht bis 14 Uhr, danach Mittagessen, 15-18Uhr Lernstunde, d.h. Aufgaben machen und lernen, Bücher lesen war nur in der Freizeit erlaubt. 18Uhr Abendessen und dann FREIZEIT, bis 19Uhr zum Abendgebet und anschließend in den Schlafsaal mit 12 Betten. Intimsphäre KEINE, öffentliches Waschen, Duschen EINMAL pro Woche.

Gesprochen werden durfte nur während des Frühstücks, Mittagessen, Abendessen und Freizeit, sonst war absolutes Sprechverbot. Vor allem diese dauernde Beterei vor jedem Abschnitt des Tagesablaufes und die häufigen Kirchengänge gingen mir schon ziemlich auf die Nerven.

Nach Hause durften wir nur alle zwei Wochen und da mussten wir von den Eltern persönlich abgeholt werden (Elternvertreter brauchten eine Vollmacht). Das Pech war außerdem, dass wir eine sadistische und sehr boshafte Erzieherin bekamen; sie war wahrscheinlich aus prekären sozialen Verhältnissen, sehr ungebildet und konnte einen sozialen Aufstieg nur durch den Eintritt in ein Kloster schaffen - und sie hatte einen unglaublichen Hass auf Kinder, die bessere Voraussetzungen hatten. Ich als "Sensibelchen" und nicht angepasst hatte darunter besonders zu leiden:

Sie klatschte mir bei besonders grauslichem Essen - Kohlschlaz mit Maden - eine große Portion auf den Teller, als ich dann hinein kotzte, verlangte sie, alles aufzuessen - so das ich von Mittag bis in den späten Abend vor dem Teller saß, bis sie mich ins Bett schickte - wegen der nicht gemachten Aufgaben gab‘s tags darauf saftige Strafen, für meine Begründung dafür gleich noch ein paar dazu.

Die Briefe meiner Eltern las sie laut beim Essen vor, damit die anderen etwas zu lachen hatten und als ich mal meinen nassen Badeanzug am Bettende vergaß, wurde ich vor allen als Bettnässerin beschimpft. Jeden Tag hörte ich von ihr, dass sie so etwas Hässliches wie mich noch nie gesehen hatte.

Rückhalt von meinen Eltern hatte ich kaum, sie waren froh, dass sich andere mit diesem rebellischen Gfrast herumschlagen mussten. Und sie mussten für meine Frechheiten ganz schön viel "spenden", damit ich nicht hochkantig aus dem Internat flog.

Ich konnte ja mit diesen braven Mädchen nichts anfangen, ich war andere Spiele als Tempelhupfen und Bälle schupfen gewohnt. So wurde ich zuerst mal zum Außenseiter, erst als etwas später ein Mädchen mit kurzen Haaren (und 4 älteren Brüdern) dazu kam, hatte ich eine verständnisvolle Spielkameradin. Leider wechselte sie nach der 4. Klasse in eine andere Schule, sodass ich die Jahre bis zur Matura wieder ziemlich einsam wurde. Ich begann mich in Bücher zu vergraben (schön in ein Lernbuch eingelegt konnte ich die Nonnen überlisten) und so konnte ich abtauchen in eine andere Realität. Ich musste erst sehr mühsam lernen, dass es auch anders geht. (Heute noch verkriech ich mich zur Entspannung in Bücher und tauche ab.)

Mein erster Fluchtversuch endete vor dem Tor, beim zweiten brachte mich die Polizei zurück. Ich war ja nicht gewohnt, mich in einer großen Stadt wie Wien zurechtzufinden. Erst beim dritten Mal kam ich bis in den Prater, wo ich vor einer großen Rutsche stand und überlegte, da hinauf zu klettern und runter zu springen, damit dann alle sich schrecken, wenn ich tot bin. Eine im Gesicht ganz bunte Dame - ich hatte bis dahin noch nie geschminkte Gesichter gesehen - sprach mich an: "Na Kleine, was machst denn du da, verschwind besser nach Haus." Ich meinte bewundernd: "Du bist aber schön, bist du eine Prinzessin?" Zuerst erstaunt, doch als sie merkte, ich meins ernst, schmolz ihr Herz und ich konnte ihr meins ausschütten. Sie erzählte mit von ihrer schlimmen Kindheit, geprügelt vom trinkenden Vater, ihrer Mutter nur lästig, keine Schule, um einen Beruf zu erlernen, und versuchte nun mir zu erklären, dass es wohl sehr wichtig für mich wäre, in die Schule zu gehen, damit ich das Leben schaffen würde.  Sie brachte mich bis vor die Türe des Klosters und verschwand sofort (ich konnte mich nicht mal mehr von ihr verabschieden), drinnen warteten schon meine ziemlich aufgeregten Eltern auf mich. Die Standpauke war weniger schlimm als erwartet, sie hatten damals ein echt schlechtes Gewissen, aber seitdem bin ich nicht mehr ausgerissen, sondern zog mich nur zurück und versuchte tunlichst nicht mehr aufzufallen um nicht noch mehr Angriffspunkte für die Erzieherin zu liefern.

Die Schule selbst war eine sehr gute, es gab durchaus ein paar exzellente LehrerInnen (ja, wir hatten auch weltliche und sogar männliche Professoren), die sich echt bemühten uns eine fundierte Bildung zu vermitteln und unser Klassenvorstand war eine der wenigen gütigen Menschen, die mir in meinem Leben begegnet sind. Aber es konnten mich natürlich auch einige nicht leiden: Die Englischprofessorin versuchte mich so plump bei der Matura durchfallen zu lassen, dass es ihr vom staatlichen Vorsitzenden eine scharfe Rüge einbrachte.

 

Weil jetzt so viel über Übergriffe in Internaten berichtet wurde: Wir wurden niemals von irgendeiner Nonne auch nur angerührt, die Folter war eher psychischer Natur - man wollte unseren Willen brechen. Ein Priester allerdings versuchte öfters, die - hübschen - Mädchen "väterlich" zu tätscheln, aber mehr ist meiner Beobachtung sicher nicht passiert. Dazu war das Internat zu teuer und die Angst vor den einflussreichen Eltern (Nobelschule, ich hatte viele Prominentenkinder als Klassenkameradinnen, ein paar von ihnen gehören jetzt selbst zur "Prominenz";) zu groß, aber die Nonnen waren ganz begeistert von dem netten "Monsingnore".  Dieser Bereich war übrigens vollkommen tabuisiert, er wurde totgeschwiegen und wir hatten ja auch keinerlei sprachliche Begriffe "davon" - die "Aufklärung" der Naturgeschichtsprofessorin (Nonne)  zum Kinderkriegen war: "Ihr müsst weiße Söckchen stricken." Als einmal ein Mädchen eine heimlich mitgebrachte Zigarette rauchte, wurden wir alle zusammengetrommelt mit der Begründung: "Hier riecht es nach MANN!"

Die ganze Religion mit ihrer Heuchelei und die Indoktrinierung durch die Kirche hab ich hier bewusst ausgeklammert, denn das ist eine andere Geschichte.

Die Zeit bis zur Matura zog sich endlos, aber als ich endlich dieses heiß begehrte Zeugnis in Händen hielt, hatte ich ein Gefühl wie niemals zuvor und leider auch nie mehr nachher: Jetzt bin ich wirklich frei und MIR gehört jetzt die ganze Welt.

Das Foto zeigt das ehemalige Nonnenkloster zu St.Maria, Königin der Engel. Nach der in Herzogs Cosmographia Franzciscana enthaltenen Vogelperspektive vom Jahr 1740. Urheberrecht: J.W. Zim???

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