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Es ist Ostermontag. Nicht der beste Tag, um als Atheist einen Artikel wie diesen zu veröffentlichen.

Ich weiß, Typen wie ich nerven an christlichen Feiertagen. Atheisten sind die Veganer unter den Glaubensrichtungen. Sie posten unter religiöse Postings auf Facebook und Twitter, wie überlegen ihr eigenes Weltbild und wie veraltet eures sei. Und ich ertappe mich auch selbst, wie ich es einfach nicht lassen kann – auf Postings von „christlich-sozialen“ beispielsweise, die in Österreich irgendwie nicht richtig organisiert sind, reagiere ich dann doch manchmal.

Es tut fast immer weh, über Religion zu reden. So kurz nach den Anschlägen in Brüssel. Sofort finden sich die Leute, die auf die Muslime hinhauen – sie waren’s in Brüssel, sie waren’s in Paris, und sie waren’s auch in New York. Das Agenda-Setting, das der IS betreibt – „Wir sind die einzig wahren Muslime“ – zeigt Wirkung. Danke auch an die zahlreichen Schäfchen, die jetzt die IS-Propaganda für sie nachplappern: Damit stellt ihr jeden nicht-beschissenen Muslim in ein Eck, in dem sich niemand sehen sollte.

Mehr in die Richtung gab’s auch unter meinem letzten Fisch+Fleisch-Beitrag, in dem ich als Randnotiz einmal erwähnt haben wollte, dass Muslime sich nicht für die Terroristen zu entschuldigen bräuchten. Das ist dann für viele Kommentatoren wohl zur Hauptaussage des Beitrags geworden. War es nicht. Aber trotzdem nochmal:

Muslime müssen sich nicht vom Terror distanzieren

Man trägt als Mitglied einer „gesellschaftlichen Gruppierung“, die so lose organisiert ist, nicht die Mitverantwortung für das, was die anderen tun. Als weißer, (auf dem Papier) römisch-katholischer, (eigentlich) atheistischer Mitteleuropäer sehe ich keinen Grund, mich auch nur irgendwie mit Straftätern derselben Gruppe zu identifizieren. Und noch viel besser: Es würde auch kein Mensch von mir verlangen.

Wenn ein „normaler Mensch“ – also jemand, der für den Mainstream kein auffälliges Merkmal hat („Ausländer“, „Schwarzer“, „Moslem“) – ein Verbrechen begeht, spricht man oft von Einzeltätern. Die Taten werden nicht in gröberen Kontext gesetzt. Den durchschnittlichen „nicht-exotischen“ Mittel- und Westeuropäern ist das scheißegal – sie verschwenden nicht einmal einen Gedanken daran, dass die Zugehörigkeit zu einer dieser gesellschaftlichen Kategorien etwas damit zu tun haben könnte. Dass genau die im Gegenzug verlangen, dass sich Muslime vom IS distanzieren sollen, ist ein schäbiger Double Standard.

Streichen wir Religion aus dem politischen Leben

Es gibt noch viele Argumentation gegen diese generelle Islamhatz, die gerade betrieben wird: Auch andere Religionen wenden Gewalt an und verfolgen (Christen in Afrika, Buddhisten in Südasien). Auch das Christentum hatte seine Pubertät (#Kreuzzüge). Viele Gewaltakte werden aus generell nichtreligiösen Gründen vollzogen. Aber der wichtigste Punkt für mich in allen Diskussionen – egal ob es um Brüssel, den Islam oder religiöse Postings auf Facebook generell geht – ist der, dass wir langsam in einer Zeit leben, in der Religion keine Rolle mehr spielen sollte.

Vielleicht ist das auch teils so ein Jugendphänomen – aber es gibt genug empirische Beweise dafür, dass die Menschen mehr und mehr den Glauben verlieren. Daher mag das alles für ältere, konservative Menschen jetzt sehr rebellisch klingen. Aber mir leuchtet nicht ein, warum etwas, das vor tausenden von Jahren zumindest noch scheinbar Sinn ergeben hat, heute noch das politische Leben bestimmen sollte.

Bevor wir die Naturwissenschaften entdeckten, wussten wir nicht, wieso Dinge passieren. Egal ob das Wetter oder die Gesetze der Physik – wir hatten keine Ahnung über das, was um uns herum passiert. Also schufen wir „Götter“, oder auch nur einen Gott, die uns als Erklärungskonstrukt dienten. Heute wissen wir, wieso es regnet und wie man ein Feuer macht. Die Erklärungskonstrukte haben ausgedient – und werden heute oft nur noch „anerzogen“, anstatt wirklich geglaubt.

Lasst euch nicht fremdbestimmen

Und trotzdem lassen wir diese veralteten Konzepte immer noch unsere Welt bestimmen. Nicht nur von Dschihadisten, die ihrem Gott – der ein ziemlich beschissener sein muss, wenn er sich nicht selbst verteidigen kann – mit Terror huldigen. Sondern auch von konservativen Politikern, die nach wie vor Gott in die Verfassung schreiben und nach religiösen Lehren leben wollen, die heute selbstverständliche Dinge wie Homosexualität ablehnen.

Mir ist das alles nicht verständlich. Mein ganzes Leben schaue ich auf diese ultrareligiösen Aktivisten, denen es das wichtigste ist, ihren Glauben in die Welt zu tragen. Egal ob durch Politik oder durch Terror – behaltet euren religiösen Scheiß für euch, denke ich mir da immer. Nicht umsonst haben so ziemlich alle zivilisierten Staaten auf Religionsfreiheit umgestellt. Religion ist in der modernen Gesellschaft wie ein Penis: Prahl nicht damit, hol ihn nicht in der Öffentlichkeit raus und dräng ihm niemanden auf.

Vielleicht stirbt dieser Drang, veraltete Lehren in die Welt zu tragen und sie durchzusetzen, mit meiner Generation aus. Aber so manche Altersgenossen – die zumindest reflektiert genug sind, zuzugeben, dass sie ihre Religion „anerzogen“ bekommen – lassen mich daran zweifeln. Was also tun im Kampf gegen religiöse Aufdringlichkeit? Unbedingt fordern, dass Religion in der Politik nichts verloren hat. Jetzt im Wahlkampf, und sowieso immer. Wir dürfen unser Leben nicht weiter vom Glauben anderer bestimmen lassen. Das halte ich für ein Ideal, für das man kämpfen sollte.

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