Arbeite hart, sei fleißig, hab noch dazu Können, Ambition und Talent und die Welt liegt dir zu Füßen. Wie ein Mantra vom karmatischem Ausgleich tönt es in unserer westlichen Gesellschaft seit spätestens dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dann mit dem vermeintlichen Siegeszug des wirtschaftlichen Neoliberalismus (dessen Prämissen mittlerweile ja eh alle widerlegt sind), in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass, wer nur hart genug arbeitet und leistet, irgendwann dafür gerecht belohnt werden wird. Es ist hoffnungsvoller Bullshit. Ich stelle mich hier mal pointiert gegen diesen verhafteten Glauben und sage: Es ist kompletter Schwachsinn. Das, was du braucht, um erfolgreich, reich, berühmt, anerkannt zu werden ist – Glück und Zufall. Das ist alles. Das Glück entdeckt zu werden, das Glück viral zu gehen, das Glück in die richtige Familie geboren zu werden.

Etwas weniger überspitzt: All deine Mühen und harte Arbeit sind sinnlos, wenn nicht irgendein externer Dritter das sieht und es fördernswert findet. Es gibt Leute, die sind zufrieden damit, ein kleines unbedeutendes Rädchen im Prozess zu sein, die keine Aufmerksamkeit wollen. Es sei ihnen gegönnt, sie werden keinen Neid empfinden, auf all jene, die sozial besser dastehen, Geld wie Heu, Einfluss und dergleichen haben, weil sie schlicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren und die richtigen Leute getroffen haben.

Die anfangs genannten Tugenden kommen erst nach dem Glück zum Tragen. Erst nachdem du das Glück auf deiner Seite hattest, hilft dir Können und Talent für etwas. Erst danach musst du mit harter Arbeit schauen, dass du es erhalten kannst, also sind diese Dinge bei weitem nicht nutzlos. Es liegt nur der komplett falsche Fokus darauf. Hier sei natürlich gesagt: von gar nichts kommt auch nichts. Wenn du nur zu Hause im Bett liegst, würde dich auch bei aller Schönheit, die du hast, aber für die du eigentlich nichts tun musstest, außer das Glück zu haben, die richtigen Eltern zu haben, keine Modelagentur je finden. Es ist eine nur sehr kleine Basis von Nöten, aber die korreliert halt nicht im Ansatz mit der Illusion der harten Arbeit, mit der du alles erreichen kannst.

Sieben Milliarden Menschen, abgerechnet die den westlichen Gesellschaften komplett fremden, urtümlich lebenden Zivilisationen, glauben alle, sie sind was Besonders und sie werden groß werden, wenn sie nur fleißig auf ein Ziel hinarbeiten. Das geht sich schon allein rechnerisch nicht aus. Dieser Glaube ist verhaftet in altertümlichen Ansichten von fantasievoll illusorisch vorgestellten agrarischen, ständischen oder vorindustriellen Gesellschaften – aber dort war der Weg nach oben sogar noch verbauter als heutzutage, de facto unmöglich. Heute kannst du wenigstens das Glück auf deiner Seite haben. Nichtsdestotrotz ist diese Hoffnung und dieser Ansporn ein bitteres Bild für all jene, die durch den Rost des Lebens fallen. Und das sind viele. Sehr viele. Die, von denen man keine „Die unglaubliche Erfolgsstory von XY“ liest, von der Illustrierten bis hin zur Forbes. Die Geschichte dieser Leute liest sich kurz: „Er hatte keine reiche Familie, die ihm den Weg in die Politik geebnet hat.“ „Sie wurde nicht auf der Straße entdeckt, als sie auf dem Weg zu ihrem dritten Job war.“ „Ihr Talent wurde nicht von einem angesehenen Forscher gesehen und gefördert.“ „Sein übertriebener Ehrgeiz etwas erreichen zu wollen, wurde von seinem Chef nicht honoriert, sondern als eine potenzielle Gefahr für die eigene Stellung gesehen.“ Die Liste könnte man ewig weiterführen. Ein Paradebeispiel für Survivorship Bias.

Kendall Jenner ist nicht nur deswegen so erfolgreich, weil sie in ihrem Leben so hart gearbeitet hat, sondern weil sie zu den Kardashians gehört. Lewis Hamilton ist nicht nur deswegen siebenfacher Weltmeister, weil er ein Ausnahmefahrer ist, sondern weil er seit fast zehn Jahren im besten Auto sitzt. Usw, usf…

Schlimm wird es dann, wenn Bullshitter hoch kommen, die rein nach „fake it till you make it“ leben. Die, die sich maßlos selbstüberschätzen und andere blenden, deren einziges Können und Talent es ist, sich ohne Rücksicht auf Verluste in ein besseres Licht zu stellen, als sie es verdient haben. Das kann gut gehen und wird in der neoliberalen Gesellschaft ja auch oft genug komplett widersprüchlich zu den Fakten des Lebens als positive Eigenschaft dargestellt. Aber allzu oft bricht dieses Kartenhaus auch krachend in sich zusammen, weil die haltgebende Substanz fehlt. Gerade in Wirtschaft und Politik sind solche Gestalten häufig anzutreffen und Krisenzeiten wie derzeit tendieren dazu, dass diese Personen dann unschön mit ihrer Ahnungslosigkeit vom Tuten und Blasen auffallen, weil sie halt nichts können außer Selbstdarstellung und vielleicht schön reden und lang labern. Dennoch hatten gerade sie noch viel mehr Glück dorthin zu kommen, wo sie sind, denn sie hätten nicht einmal harte Arbeit oder Können vorzuweisen, sondern nur Vitamin B. Trump, Aschbacher, die Leute von Melvin Capital.

Was ist das Fazit? Es stellt sich ein gewisser amüsierter Nihilismus ein, wenn man mal begriffen hat, dass es vollkommen egal ist, ob du dich abstrudelst und die besten Ambitionen hast. Solang das nicht auf fruchtbaren Boden fällt, ist es komplett für die Wäsch. Wäre halt auch schön, wenn die Leute, die es „geschafft“ haben, dass auch öffentlich sagen würden, dass es nicht ihr ureigener Verdienst war, weil sie so geil und super sind, sondern, weil sie einfach Glück hatten – zumindest am Anfang. Wird aber keiner machen. Daher werden die sieben Milliarden Menschen weiterhin glauben, sie könnten alles schaffen und alles werden, wenn sie sich nur ganz dolle anstrengen und es werden immer mehr und mehr enttäuschte, traurige, desillusionierte und womöglich auch wütende und hassende Schicksale produziert.

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Ttavoc

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berridraun

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