Das Lieblingstier Ludwigs war das Schwein. Verwundern darf das niemand, stammte doch Ludwig aus einer Familie von Schweineliebhabern. So groß war seit je die Liebe zum Schwein bei den Wittelsbachern gewesen, daß sie selbst den Stammsitz ihrer Familie Hohenschweinsgau genannt hatten.

In jungen Jahren war Ludwig das geworden, was er immer schon hatte werden wollen: König.

König Ludwig II. von Bayern.

Das König-Sein machte Ludwig einen Riesenspaß. Dieses "Ja, Euer Majestät" und "Wünschen Eure Majestät noch etwas Consommèe?" erfreute das kindliche Gemüt auch des erwachsen gewordenen Königs. Doch, sagte sich Ludwig, es gibt schlechtere Arten zu leben.

Was er hingegen gar nicht mochte und deshalb konsequent mied, war das Regieren. Das ewige "Ich, Ludwig, erhöhe ab gestern die Getreidesteuer um einskommavier Prozentpunkte" und "Hiermit erkläre ich Finnland den Krieg" überließ er seinen Ministern.

Er, Ludwig, wohnte lieber.

Nun wohnt ja fast jeder irgendwie, irgendwo und mehr oder weniger bequem. Ludwig aber war ein leidenschaftlicher Wohner und machte im Laufe seines Lebens das Wohnen zur Kunst.

Wo andere Hobbywohner sich damit begnügen müssen, gelegentlich ihre Möbel umzustellen und ab und zu eine neue Tapete anzukleben, da hatte Ludwig als König die Mittel, sich alle paar Jahre ein neues Schloß oder Schlößchen bauen zu lassen.

Das heißt, genau genommen hatte Ludwig diese Mittel nicht, jedenfalls nicht in ausreichendem Maße und so sind wir schon mitten drin im Problem.

So geht das nicht, sagten sich die Minister, die jede Million zweimal umdrehen mußten. Wenn er wenigstens leben würde, wie ein richtiger König. Ein richtiger König geht auf die Jagd und bläst einem Hirschen das Hirn aus dem Kopf oder schrotet dem Hasen das Gedärm aus dem Leib. Hei, das ist fürstlich' Vergnügen. Ludwig hingegen guckte sich lieber nachts um drei eine Oper an.

Nichts gegen die Oper, sagten sich die Minister, aber so ein König ist eine Schande für das Land! Und sie sannen auf Abhilfe.

Eines Abends saß König Ludwig gerade beim Frühstück in seinem geliebten Neuschweinstein. Es klopfte und herein trat ein großes, dickes, rosafarbenes Schwein mit schwarzem Hut: Eberhard Pirzer, der Geheimsekretär des Königs.

"Euer Majestät", rief Eberhard, noch ehe er ganz den Frühstückstisch des Monarchen erreicht hatte. "Die Kanne (der König hatte sich derbe Redensarten in seiner Gegenwart streng verbeten) ist voll am Dampfen."

"Werde konkreter, mein lieber Pirzer."

"Die Regierung plant den Staatsstreich. Man will Euer Majestät absetzen."

"Aber mein lieber Pirzer, das ist doch Unfug. Die Regierung ist meine Regierung und sie kann mich nur dann absetzen, wenn ich ihr den Befehl dazu gebe. Den ich ihr im übrigen nicht geben werde."

"So sollte es sein, wenn alles in Ordnung wäre. Man plant aber, so habe ich soeben aus zuverlässiger Quelle erfahren, Euer Majestät für verrückt erklären zu lassen."

"Verrückt? Ich? Wieso?"

"Wegen der Schlösser, Euer Majestät."

"Demnach wären alle Monarchen verrückt."

"Es seien zu viele Schlösser, meint man."

"Was zuviel ist und was nicht, bestimme immer noch ich", sagte König Ludwig grimmig und fuhr mit dem Frühstück fort.

"Nicht mehr, Euer Majestät, nicht mehr. Bereits morgen früh wird eine Regierungskommission hier erscheinen, Euer Majestät für verrückt erklären und verhaften."

Das beeindruckte den König nun doch. Ludwig legte den Löffel beiseite, mit dem er in seinem Kaffee gerührt hatte und blickte Eberhard Pirzer besorgt an.

"Was rätst du mir, mein treuer Pirzer?"

"Ich rate zur Flucht."

"Ein König flieht nicht."

"Ihr wärt nicht der erste, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf."

"Hm." König Ludwig wog den Vorschlag Eberhards ab. "Man wird mich verfolgen, Pirzer, wo immer ich hinfliehen würde."

Eberhard Pirzer lächelte verschmitzt. "Nicht, wenn man Euer Majestät verhaftet hat."

"Ich soll also doch hierbleiben? Pirzer, du redest wirr."

"Nein. Ihr flieht, während gleichzeitig Seine Majestät, König Ludwig II. von Bayern verhaftet wird."

Nun wurde Ludwig allmählich ärgerlich. "Soll ich mich verdoppeln, oder was?"

"Genau das."

"Mir scheint, du bist noch viel verrückter, Pirzer, als ich es angeblich sein soll."

"Es gibt nicht weit vom Schloß", erklärte Eberhard Pirzer, "einen Fuhrknecht. Eine Laune der Natur hat diesem derben Sohn der Berge eine verblüffende Ähnlichkeit mit Eurer Majestät verliehen. Wenn man ihm Bart und Haar nach Art Eurer Majestät herstutzt, wird man den Unterschied kaum noch sehen können."

"Hm."

Als die Regierungskommission unter Führung des Irrenarztes Dr. Gudden auf Schloß Neuschweinstein eintraf, führte man sie unverzüglich zum König.

Aufrecht und würdevoll saß der König auf dem Thron, als die Kommission hereingeführt wurde. Schweigend starrte der König die Männer an, die sich ihm gemessenen Schrittes und gebückten Hauptes näherten.

"Euer Majestät", begann schließlich Dr. Gudden zu sprechen, "uns führt eine traurige Pflicht hierher."

Der König grunzte neugierig.

"Es ist uns nicht erspart geblieben, Eure Majestät davon in Kenntnis zu setzen..."

"Is wer g'schtorm?" unterbrach ihn der König neugierig.

"Wie bitte?" Dr. Guddens Kopf ruckte in die Höhe.

"Ob wer g'schtorm is, frog i", erklärte ihm der König freundlich.

Verwirrt blickte Dr. Gudden, der aus einem anderen Teil Deutschlands kam und des Bayerischen nicht mächtig war, auf seine Begleiter.

"Er frägt, ob jemand gestorben sei", übersetzte ihm Graf Törring die Worte des Königs.

Dr. Gudden hatte Mühe, sich zu fangen. "Nein, Euer Majestät, es ist niemand gestorben."

Der König grinste listig. "Hob i di, Großkopfata. Oana schtiabt irgndwo oiwei!"

"Er meint", schaltete sich wiederum Graf Törring ein, "irgendwo stürbe immer einer."

"Aber wieso..." wandte sich Dr. Gudden fassungslos an den Grafen.

"Weil a jeda irgndwann vareckt, oda?" antwortete ihm stattdessen der König mit breitem Grinsen.

"Er meint..."

Aber Dr. Gudden wischte die Übersetzungsbemühungen Graf Törrings beiseite. Er zog ihn zu sich und flüsterte: "Seit wann spricht der König Dialekt?"

Graf Törring zuckte mit den Achseln. "Ich nehme an, seit frühester Kindheit. Ludwig ist in Bayern geboren und aufgewachsen."

"Aber man hat ihn doch noch nie Dialekt sprechen hören?"

"Dr. Gudden erinnern Sie sich an das, was Sie selbst geschrieben haben: König Ludwig ist verrückt."

Dr. Gudden lächelte verstehend. "Ah so, ah ja. Verrückt. Natürlich."

Dann eröffnete er dem immer noch grinsenden König, daß er ihn mitnehmen müsse nach Schloß Berg am Starnberger See, wo er in Ruhe genesen könne.

Der Fuhrknecht Alois Resch fühlte sich zwar überhaupt nicht krank, aber als armes Waisenkind war er seit frühester Kindheit an das Gehorchen gewohnt und so ging er widerstandslos in der Maske des Königs mit den Hohen Herrschaften mit.

In Schloß Berg am Starnberger See wurde der Resch Loisl zwar nie ganz den Eindruck los, daß alle dort völlig verrückt sein müßten, weil sie ihn für einen König hielten.

Aber das war ihm das geringste Problem. Niemand schickte ihn mehr zum Arbeiten, Essen und Trinken gab es reichlich und seine Umgebung war so behaglich eingerichtet, wie es der Resch Loisl noch zu zuvor in seinem Leben so kommod gehabt hatte.

Als König durfte er Dinge machen, die er als Alois Resch niemals hatte machen dürfen. Und als Verrückter, als den ihn diese Narrischen ansahen, war sein Spielraum noch ein Stückchen größer.

Doch: Dem Resch Loisl gefiel sein neues Leben und er lebte noch viele lange Jahre.

Am Tag, da Dr. Gudden und Graf Törring König Ludwig II. von Bayern von Neuschweinstein weg nach Berg am Starnberger See verbrachten, zogen zwei Schweine in Tiroler Tracht über das Gebirge nach Süden.

Ein halbes Jahr später eröffnete ein gewisser Luigi Vitellacci zusammen mit seinem Kompagnon Everardo Pirzelli in Venedig eine Eisdiele, die noch heute unter Kennern einen ausgezeichneten Ruf genießt.

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