Pizza und Döner sind des Glückes Unterpfand

Sowenig wie einen Brief sollte man einen Artikel mit dem stolzen Wort "Ich" beginnnen. Was hiermit vermieden wäre.

Also: Ich bin Bayer (Baier), mit nachhaltigen Abstammungswurzeln und Traditionsbindungen an Österreich. Gott, Österreich! Bindungen weniger an die real existierende Republik Österreich, vielmehr an die alte k.u.k.-Donaumonarchie Österreich. Mein Vater etwa ist als Sudetendeutscher 1912 als Untertan des Wiener Kaisers geboren worden. Aus dem eigenen Familienumfeld sind mir Familiennamen wie "Schelesny" oder "Matejka" viel vertrauter als etwa "Jensen" oder "Grunow".

Ich bin zwar Paßdeutscher, dennoch ein Bio-Österreicher. Meine gesamte Mischpoke bis hinab zum Jahre 1789 (ausweislich der beglaubigten Kopien der Geburtsurkunden für den Ariernachweis) bestand aus Sudetendeutschen, also Österreichern. Der einzige Schandfleck in diesem völkischen Trallala ist meine Mutter. Sie ist zwar im selben Dorf geboren wie mein Vater, allerdings erst im Jahre 1920. Damit hat sie das Österreicher-Tum um zwei Jahre verpaßt. Der Vater meiner Mutter, also mein Opa, war Berufssoldat (Unteroffizier) in der k.u.k.-Armee. [1] Ehe ich's vergesse: Meine beiden Söhne haben sind auch mütterlicherseits lupenreine Sudetendeutsche (also Österreicher), selbst sie (Muttersprache 1: deutsch, Muttersprache 2: italienisch) sind österreichischer als es ein "Fisch und Fleisch"-Magister je werden könnte.

Österreich war für mich immer für 1 Fünferl 1 Durcheinand. Und das ist gut so. Geboren und aufgewachsen bin ich ca. 30 km von der österreichischen Grenze entfernt. Von Braunau am Inn, um genau zu sein.

Nicht daß mich die staatliche Eigenständigkeit Österreichs je beunruhigt hätte, im Gegenteil, ich wünschte, nach dem Kriege wären Österreich und Bayern zu einem eigenen Staat gemacht worden, unabhängig von den beiden restlichen Deutschlands. Wir hätten dann das ganze Geschiß mit der DDR nicht gehabt.

Was ich sagen will: Ich habe ich mich in Österreich noch nie fremd gefühlt.

So weit und also so gut.

Nun aber trieben mich einst berufliche Zwänge - Kohle muß her und ein Job - nach Norden; sehr nach Norden, für meine bodenständigen Weißwurstbegriffe.

Auf der Autobahn ist noch alles in der Ordnung, Landschaften wechseln, sie wechseln sich noch innerhalb Bayerns ab. Ansonsten bleibt alles vertraut. Die Straßenschilder bleiben entzifferbar, kein Schlagbaum hemmt die Fahrt. Inland, Heimat, so weit das Auge reicht. Und das Auge reicht sehr weit, nachdem das Mittelgebirge zurückliegt und die Schilder immer öfter und immer nachhaltiger "Hannover" verheißen.

Nun aber muß ich tanken, fahre raus und merke, daß ich nicht mehr zuhause bin. Ich seh' es nicht, hör' es vielmehr. Ganz anderer Zungenschlag. Nicht unsympathisch, aber beunruhigend fremd. Mitunter kaum oder nicht mehr verständlich. (Arbeiter im Klo auf der Raststätte.)

Am Ziel, in Zeven, ist das Meer schon fast zu riechen. Die Landschaft platt, die Häuser rot und allerorten Albrecht mit dem Jungschwein im Arm. ("Wir Niedersachsen haben Ernst Albrecht" - Selber schuld.)

In den Wäldern findet man dieselben leeren Mirinda-Dosen wie bei uns. An einem Supermarkt sind zu Werbezwecken gereimte Sprüche angebracht. Einer dieser Werbesprüche reimt sich jedoch irritierenderweise nicht:

Die kluge Hausfrau, die ist wach

Sie kauft bei kafu, Tag für Tag.

Es dauert etliche Sekunden ehe mir klar wird, daß ich in Niedersachsen bin. Dort, nur noch wenige Kilometer vom Polarkreis entfernt, reimt sich "wach" tatsächlich auf "Tag".

Des abends suchen wir was zu futtern, registrieren fremdartige Gerichte auf den aushängenden Kästen, vermissen bekannte Kost. Entdecken schließlich ein jugoslawisches Restaurant.

Auf mein gewohnheitsmäßiges "Grüß Gott!" [2] beim Eintritt reagiert der Kellner ganz cool, antwortet ungerührt desgleichen, wo jeder Einheimische mit "Tach" oder "A'md" zurückgegrüßt hätte. Hier bekomme ich deutsch in vertrautem Zungenschlag zu hören. Hier fühl ich mich wohl und daheim. Desgleichen in der italienischen Eisdiele.

Auf einer Speisekarte im Rasthaus: "Die Spezialität aus dem Süden: Germknödel mit Vanille-Soße." Hier oben bin ich also schon der Exot aus dem Süden, genau wie der Jugoslawe, der Italiener. Das verbindet.

Auf der nach oben offenen Kulinari-Skala ist das überhaupt so eine Sache. Nimm nur mal die Pizza. Die Pizza war ein neapolitanisches Arme-Leute-Gericht, simpler Teig, drauf die dort reichlich vorhandenen Tomaten, die heimische Mozzarella und ein bisserl Basilikum - das war die klassische Pizza Margherita [3]. Italienische Einwanderer brachten sie in die USA, dort aber war die Pizza den Amerikanern zu karg. Also legte man Salami, Pilze, Thunfisch, Ananas etc. pp. in nahezu beliebiger Kombination drauf und in dieser veränderten, reichhaltigeren Form kam die Pizza nach Italien zurück.

Heute ist die Pizza - neben dem Döner, natürlich - das deutsche Nationalgericht. Einheimische Gerichte wie Schweinsbraten, Eisbein, Labskaus, Maultaschen etc. findest du in hinreichender Verbreitung jeweils nur in Teilen von Deutschland, Pizza und Döner dagegen sind allgegenwärtig.

Wenn du dir als Bayer in Hamburg ein bisserl fremd und verloren vorkommst, dann gehst du zum Italiener, Türken oder Griechen und schon bist du wieder ein Stück daheim.

Gehe ich zu weit, wenn ich behaupte, daß die heimisch gewordenen Ausländer diesen lockeren Verbund von Völkerschaften (Friesen, Nieder- und andere Sachsen, Pruzzen, Alemannen, Bajuwaren etc.), der sich "Deutschland" nennt, zu einem "einig Vaterland" zusammenschweißen?

Seit die Kinder damals in Italien waren, redeten sie davon, daß ihnen der gewöhnte Döner, das Gyros so abgehen. Nun ist es aber so, daß in Italien, zumindest in Kampanien, ausländische Küche etwas ausgesprochen seltenes ist. Ich habe mir das damals damit erklärt, daß Italien südlich der Po-Ebene keine unmittelbaren Nachbarländer hat. Vielleicht wird dieser Mißstand jetzt durch die einsickernden Neger und Araber ein wenig gelindert.

Was wir damals dort aufgetan hatten, waren ein mexikanisches Restaurant in Salerno (das aber kurz nach unserer Entdeckung wieder geschlossen hatte), drei (!) chinesische Restaurants (immerhin!) in Salerno [4], sowie ein Lokal mit "Specialità bavaresi", ebenfalls in Salerno. Letzteres fällt für uns nicht in die Kategorie "ausländisches Restaurant", außerdem ist bayerische Küche schon in Hannover [5] eine ausgesprochen abenteuerliche Sache.

Am italienischen Nationalfeiertag am 26. April, haben wir auf einem Fest in San Marco einen Stand entdeckt, der Gyros anbot, wenn auch die Gyrosstange nicht in Betrieb war, als wir dort waren. Außerdem gab es "Flaisch Kese", hat ausgesehen wie richtiger Leberkaas, eine Scheibe mit Semmel kostete 5.000 Lire, das waren damals ziemlich genau 5 DM, aber das mußten wir probieren. Eine Leberkaassemmel für 4 Personen. Hat schon irgendwie nach Leberkäs geschmeckt, wenn auch mit den Gewürzen irgendwas anders, ich sag mal: merkwürdig war.

Im darauffolgenden Sommer haben wir dann in der Nähe von Trentinara (dummerweise ca. 40 km von Castellabate entfernt) ein Lokal entdeckt, das Döner Kebab anbot. Dort sagte man uns aber, das Döner gebe es bei ihnen nur im Winter. Als es Winter wurde waren wir anläßlich von Ausflügen zweimal dort, man sagte uns aber, das Döner gebe es derzeit leider nicht bei ihnen.

Kein Döner also. Bis ich am Faschingsdienstag, als wir den Faschingszug in Agropoli anschauten, zufällig direkt am Bahnhof ein Lokal entdeckte. Es hieß "La Bussola" (Der Kompaß) und nannte sich "Schnell Imbiss" (so geschrieben, auf deutsch, die beiden Worte auseinander). Der Inhaber war Italiener, der lange in Deutschland gelebt hatte und ziemlich gut Deutsch sprach. Neben den üblichen italienischen Gerichten wie Pizza, Panzerotti, Panini etc. bot es auch und vor allem (als deutsche Spezialitäten) Döner Gebab (genau so geschrieben) an, sowie Wiener Wurstel, Fleischkäse, Currywurst, Weißwurst.

Döner Kebab oder Gyros läuft also in Italien mittlerweile als deutsches Gericht, zumindest als ein Gericht, mit dem man deutsche Touristen anlocken kann.

[1] Die Liebesgeschichte meiner Oma und meines Opa habe ich hier skizziert.

[2] In Bayern sagen selbst Atheisten, wie ich einer bin, beim Betreten oder Verlassen eines Raumes "Grüß Gott".

[3] Wer Schwierigkeiten hat, sich die Reihenfolge der Farben in der italienischen Flagge zu merken - ich habe sie schon verkehrt herum gesehen, einmal sogar in Italien - der bediene sich der folgenden Eselsbrücke: Die Zutaten der Pizza Margherita in alphabetischer Reihenfolge - Basilikum (grün), Mozzarella (weiß) und Tomaten (rot). Die Eselsbrücke trägt dich auch auf Italienisch: Basilico, Mozzarella, Pomodoro.

[4] Verwunderlich ist das nicht. Chinesen sind allgegenwärtig, fast so wie Schwaben. "Jeder vierte Chinese ist ein Mensch".

[5] Thomas Wagenpfeil und Thomas Wicke, die leichtsinnigerweise eine Fortbildung beim TÜV besucht hatten, haben mal in Hannover ein bayerisches Lokal besucht, dort unvorsichtigerweise Weißwurst gegessen und fast gespien, wie sie mir nachher entsetzt erzählten.

#Familie

#Oesterreicher

#Auslaender

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