Julian Reichelt, der in seinem Poltermedium „nius“ erst vor kurzem den – überfälligen – Vorschlag, es solle verpflichtende KZ-Besuche für Schulklassen geben, denunzieren ließ, fügt der deutschen Debatte um den Gazakrieg eine weitere Facette hinzu. Zu Beginn seines Kommentars äußert er Verständnis für die ablehnende Haltung vieler Deutscher gegen die israelische Fortsetzung des Kriegs: „Angesichts der Bilder der Zerstörung aus Gaza (...), die in manchen Deutschen Bilder ausgelöschter deutscher Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs erwecken und sie in ihrer vererbten Erinnerung an Bombennächte und Feuerstürme berühren mögen, ist das eine nachvollziehbare Empfindung.“ Bereitwillig übernimmt Reichelt das rechtsradikale Opfernarrativ von den armen Deutschen, deren Städte durch die Alliierten „ausgelöscht“ wurden, ohne daran zu erinnern, dass es Dresden und Hamburg nicht ohne Warschau und Coventry gegeben hätte. Interessant ist auch die Formulierung von der „vererbten Erinnerung“ an die Bombennächte – kann man also davon ausgehen, dass auch die Erinnerung an den eliminatorischen Antisemitismus vererbt wurde? Zu diesem eliminatorischen Antisemitismus ist Reichelt etwas aufgefallen: „Während die Nationalsozialisten noch um Vertuschung und Spurenverwischung bemüht waren und damit Millionen Deutschen die Ausrede ermöglichten, von nichts gewusst zu haben, gehört das genüsslich ausgekostete und im Livestream verbreitete Morden auf Social Media zum Wesenskern des Islamismus.“ Offenbar spielt er auf die „Aktion 1005“ an, bei der die Nazis Massengräber wieder öffnen ließen (von Gefangenen, die sie später erschossen), verkennt dabei aber, dass dieses halbherzige Vertuschen am Ende einer langen Kette von öffentlichen Entrechtungen, Schikanen und Gewaltexzessen stand, ganz zu schweigen von Verlautbarungen des Führers und seiner Bande, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Reichelt wiederholt also die Schutzbehauptung vieler Täter und Mitläufer, man habe von allem nichts gewusst, auch wenn die Forschung („Durch die Auswertung von abgehörten Gesprächen unter Häftlingen der Alliierten weiß man seit 2011, dass der Holocaust in all seinen Formen unter den meisten Wehrmachtssoldaten bekannt war. Beobachter erzählten ihren Kameraden in allen Details von Massenerschießungen, von den Problemen der Schützen mit „Überanstrengung“ beim Morden, besonders von Kleinkindern (…)“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitgenössische_Kenntnis_vom_Holocaust)) längst weiter ist: „Die Geschichte wird uns nie verraten, ob man als junger SS-Offizier ein Held auf Social Media gewesen wäre, wenn man ein paar Fotos von der Selektion an der Rampe in Birkenau gepostet hätte, möglich ist es, aber vermutlich hätten sich viele Deutsche dadurch unwohl gefühlt mit ihrer sagenhaften Bereicherung am Eigentum deportierter Juden.“ „Möglich ist es, aber vermutlich“ – es bleibt alles Spekulation, man weiß es nicht genau, aber Reichelt weiß, wer keine Hemmungen hat, mit seinen Mordtaten zu prahlen: „Der monströseste Judenhasser ist der größte Held der sogenannten Zivilbevölkerung von Gaza.“ So albern es ist, den Informationsfluss im social media-Zeitalter mit dem im familiären Umfeld (und es hat nicht wenige Briefe und Berichte über den Judenmord gegeben) zu vergleichen, so befremdlich und doch leicht zu durchschauen ist das, worauf Reichelt hinauswill: Was den Judenmord anbelangt, waren die Deutschen doch etwas verschwiegener, skrupulöser, schamhafter als die Hamas und ihre Anhänger, irgendwie: besser, oder?
Die Apologien der Nachkriegszeit, die ohne die Milde der Alliierten und eine allgemeine Omertà kaum funktioniert hätten, kehren in anderer Gestalt wieder und fügen sich in eine Neubewertung der Geschichte im Sinne Gaulands („Vogelschiss“) und Höckes („180°). Oder, um es, noch einmal, mit Wiglaf Droste zu sagen: „In Deutschland leben, heißt knietief durch Kot waten.“