Vor 25 Jahren ging die Epoche der Sowjetunion zu Ende und die Russen tun sich schwer mit der Vergangenheitsbewältigung. Sogar der Begriff lässt sich schwer übersetzen. Die Vorschläge meiner Freunde: preodolenije proschlogo (преодоление прошлого), wobei preodolenije im Wörterbuch zwar mit Bewältigung übersetzt wird, aber im Sinne von Bekämpfung, Bezwingung, Niederschlagung, Überwindung. Ich behaupte mal, dass unsere Generation, die mit der Bewältigung der Nazivergangenheit aufgewachsen ist, unter Bewältigung weniger eine destruktive Bezwingung, sondern mehr eine konstruktive Aufarbeitung – historisch, soziologisch und psychoanalytisch – versteht.

Dass heute auf dem Roten Platz in Moskau Stalin-Darsteller den Touristen folkloristisch zur Schau gestellt werden, damit sie ihre Selfies vom netten Onkel Josef in die weite Welt verschicken, das verharmlost den Tyrannen einer drei Jahrzehnte dauernden Willkürherrschaft. Und dass Russlands Präsident Putin durchaus billigt, wenn er mit Stalin verglichen wird, ist eine bedenkliche Entwicklung. So berichten russische Dissidenten, dass auch heute die Gesetze nur für die Oppositionellen gelten und bei ihnen immer restriktiver angewandt werden, während die Machthaber und deren Clique über oder neben dem Recht stehen und somit machen können, was sie wollen. Solange sie das Machtgefüge nicht in Frage stellen wie Michail Chodorkowski.

(Siehe Weltjournal vom 28.12.2016: Chodorkowski – Putins Widersacher)

Zukunftsbewältigung

Zum hundertsten Mal jährt sich im kommenden Jahr die Oktoberrevolution. Russland und Österreich erklären 2017 (deshalb oder trotzdem, die Frage bleibt ungeklärt) zum Tourismusjahr. Dies gab Putin nach seinem Treffen mit Heinz Fischer bekannt, der Anfang April dieses Jahres seinen Abschiedsbesuch in Moskau machte. Angesichts der zu erwartenden Feierlichkeiten wird Österreich wohl nur ein unbedeutender Nebenschauplatz bleiben. Aber welche Feiern sind zu erwarten?

Die Revolution selbst ist in der russischen Geschichtsschreibung mit all ihren Gräueltaten negativ behaftet. Auch deshalb wird jede Demonstration heute als Aufstand gesehen und als potenzielle Vorstufe zu einer Revolution im Keim erstickt. Die Gründung der positiv bewerteten Sowjetunion erfolgte erst am 30. Dezember 1922. So wäre nur ein Festakt im Oktober 2017 angemessen: die orthodoxe Beisetzung des 1924 verstorbenen Revolutionsführers, dessen Überreste immer noch im Lenin-Mausoleum in Moskau wie in einem Heiligenschrein ruhen. Aber das wäre ein Wunder. Doch wer Russland liebt, darf an Wunder glauben.

Siehe auch:

Russland verstehen! Aber wie?

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