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München. Ein Rottweiler, unangeleint und offensichtlich nicht zuverlässig abrufbar, läuft in einem Innenhof herum und beißt Passanten.

Anrainer alarmieren die Polizei.

Vier Polizisten umstellen das Tier und knallen es ab.

In einem Video ist die Szene ein paar Minuten vor dem Tod des Tieres zu sehen. Bewaffnete Uniformierte stehen rund um das Tier und die Halterin. Der Hund ist an die Hausmauer gedrängt.

Eine tobende menschenmordende Bestie endlich erlegt?

Oder eher eine bedrohliche Szene, die schlimmer nicht mehr sein könnte?

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Ich wiederhole den Satz: Bewaffnete Unformierte mit der Hand am Waffenhalfter umzingeln einen hochgradig erregten Hund, der noch kurz von seiner Besitzerin festgehalten werden kann, bis sich irgendjemand diesem bedrohlichen Kreis nähert, der Hund sich daraufhin wieder losreißt und auf einen der ihn umzingelnden Uniformierten losgeht. Man hört die Schreie der Besitzerin und die abgefeuerten Schüsse.

Dann ist der Hund tot.

Ich darf Ihnen dazu eine Geschichte erzählen, die mir vor zwei Jahren in Wien passierte. Ich war Beifahrer in meinem Auto und sah plötzlich auf einer sehr stark befahrenen Straße einen großen roten Hund mitten zwischen den fahrenden Autos auftauchen, deren Fahrer zwar hupten, aber keineswegs langsamer fuhren oder gar anhielten. Er war gerade im Begriff über eine dreispurige Fahrbahn zu rennen, quer über die Kreuzung, in die zwei weitere Hauptfahrbahnen mündeten.

Ich schrie die Dame das Hauses an "Bleib sofort stehen!", sprang ohne Schuhe (es war Sommer) aus meinem bremsenquietschenden Auto und warf mich mitten auf die Straße, um den Verkehr zu stoppen. Dieser Hund würde nicht sterben, nicht an diesem Tag, nicht, wenn ich es verhindern konnte.

Die Autos hupten zwar, doch sie mussten stehen bleiben, sonst hätten sie mich niedergemäht wie das Tier.

Ich stand also da, inmitten unwilliger Lenker, die alle dachten, mir sei der Hund entlaufen, und versuchte mich ganz vorsichtig dem fremden Tier zu nähern.

Ich sprach mit dem schönen Tier, (es war ein roter Akita, genau wie meiner damals) und sagte leise und freundlich, mit gesenktem Kopf "Um Gottes willen, bleib bitte stehen, ich bin dein Freund, ich komme jetzt zu dir und helfe dir!", und mein Herz pochte, während ich Franz von Assisi persönlich anflehte seine Hand schützend oder wenigstens wohlwollend über uns beide zu halten und dem Tier zu vermitteln, dass ich seine Rettung war.

Was soll ich sagen. Es gelang. Ich ging gebückt und fast auf der Straße kriechend auf den stehengebliebenen Hund zu, während böse Augenpaare aus den wartenden Autos mir verhasste Blicke zuwarfen, als wäre es meine Schuld und mein Hund. Es war mir egal.

Und just in dem Moment als ich den Hund fast erreicht hatte bremste sich eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife ein, und die Beamten schritten energisch zwischen den Autos auf uns zu.

Sie hatten das Verkehrschaos gesehen und dachten ebenfalls, mir sei gerade der Hund entlaufen.

Was geschah: Die zwei Uniformierten kamen zielstrebig, laut und sogar für mich bedrohlich hinter dem stehenden Hund zwischen den wartenden Autos hervorgelaufen. Der Hund drehte sich um, kurz bevor ich ihn endlich greifen konnte, stellte die Haare auf, fletschte seine Zähne und knurrte die Polizisten an.

Ich schrie: "Bleiben Sie bitte sofort stehen! Ich mach das schon!" und zum Glück hörten sie auf mich, gingen sogar einen Schritt zurück und ich kroch fast in Bodennähe mit einer ausgestreckten Hand auf den Hund zu und sagte "Bitte, bitte, Schatz, lass dir helfen, ich rette dich.".

Beim Hund angekommen, der sich keinen Millimeter rührte, tastete ich vorsichtig nach seinem Halsband und dann richte ich mich ganz langsam auf und führte ihn endlich behutsam und mit ihm redend von der Straße weg, auf den sicheren Gehweg.

Die Beamten bedankten sich, eine halbe Stunde später fanden wir auch den Besitzer, obwohl der Hund, wie so oft, natürlich nicht gechippt war.

Ein Nachbar hatte das Tier aber erkannt und erzählte von dessen schlechter Haltung und dass der Hund öfters ausreissen würde.

Es stellte sich heraus, dass der Hund bereits seit drei Tagen abgängig war, was die Hundehalterin weder erstaunte noch war sie sonderlich froh, dass ihr Tier wieder wohlbehalten zuhause war.

Der Hund war fast zehn Jahre alt und in einen erbärmlichen Zustand, ich hätte ihn am liebsten mitgenommen.

Was das mit obigem Fall zu tun hat?

Man kann Dinge so und anders regeln.

Man kann natürlich auch mit der Cobra antanzen, wenn ein Hund einen Auszucker bekommt oder vielleicht das nächste Mal gleich eine Panzergarde vorbeischicken, als wäre ein Hund ein gesuchter Attentäter mit einem Messer, zwei Geiseln oder mindestens einer mutmaßlichen Bombe am Halsband.

Jeder Hund, der gerade voller Adrenalin ist, hätte so reagiert. Muss gar kein Listenhund sein, hätte genauso gut meiner sein können. Nur, und jetzt kommt das nur, meiner ist immer angeleint.

Weil er eben nicht zuverlässig abrufbar ist.

Wer hat Schuld am unnötigen Tod eines unschuldigen Tieres?

Die Polizei, die mit Schüssen reagierte?

Die Halterin des Tieres, die den Hund nicht anleinte oder ihm wenigstens einen Beißkorb gab, obwohl sie wissen musste, dass er nicht zuverlässig abrufbar war?

Der Hund, weil er in einer Rottweilerhaut geboren wurde und seinen Instinkten folgte?

Ein Tier, übererregt und in Erwartung der sicheren Strafe, weil es wieder mitten in der Stadt (wo es eigentlich gar nicht hingehört!) seinem Jagdtrieb nachgekommen ist, weil Jogger oder Radfahrer ganz knapp an ihm vorbeigefetzt sind, oder weil sein Besitzer ein Vollpfosten ist und in München keine Leinenpflicht herscht (wie zum Glück in Wien) handelt eben manchmal so, wenn es sich bedroht fühlt.

Jeder Durchschnittshund würde "aggressiv" reagieren, wenn sich ihm fünf fremde uniformierte Mann hoch nähern und versuchen, ihn einzukreisen. Jeder. Muss kein Listenhund sein.

Darüber sollte man gründlich nachdenken, bevor man zum Beispiel in Österreich in naher Zukunft Rösser an Polizisten ausliefert, von denen die Mehrheit leider keinerlei Ahnung vom Umgang mit Tieren hat. Sonst fürchte ich, wird bald in der Zeitung stehen: "Kampfross fiel Passanten an. Musste sofort von der Cobra erschossen werden."

Herzlichst, Bela Wolf

Tierarzt, Journalist und Autor

www.tierarzt-wien.com

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