Studien, die keine sind und Journalisten, die keine sind

Am 18. Mai war es wieder mal soweit. Mit bedeutungsschwerer Miene, einer gehörigen Portion Entrüstung, einer Prise Weltschmerz, einer kleinen Spur Herablassung und dem Gestus eines Oberlehrers, pardon, einer Oberlehrerin, verkündete die Bundesregierung in Gestalt ihrer Ostbeauftragten Iris Gleicke, was wir schon immer wussten, was uns dennoch aber immer wieder neu zu Bewusstsein gebracht werden muss: Der Osten Deutschlands ist ein brauner Sumpf, ein Landstrich voller Rechtsextremisten, ein Ort, um den jeder rechtschaffene Bürger besser einen weiten Bogen macht, ein hoffnungsloser Landstrich voller Deppen und Dorftrottel, nicht alle natürlich, nein, das will keiner unterstellen, aber im Prinzip eben doch schon, was zudem sehr erhebend für das westdeutsche Selbstgefühl ist.

Herausgefunden hat man dies aufs Neue anhand einer vom Bund in Auftrag gegebenen - und sicher gut bezahlten - Studie. Die glücklich mit dem Bundesauftrag bedachten waren dieses Mal die Genossen, pardon, die Wissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. Und die haben ganze Arbeit geleistet und gar schauerliche Dinge herausgefunden eine "historische Belastung im Umgang mit dem Fremden", "eine selektive Erinnerungskultur", "Misstrauen und Neid gegenüber dem Anderen", "diffuse Wut", eine "Überhöhung des Eigenen" - das ist nun wirklich pfui - und natürlich "diverse Anschläge auf Flüchtende und KommunalpolitikerInnen" usw. usf.

Die deutschen Medien, wie konnte man es anders erwarten, stimmten vielstimmig einstimmig tatkräftig ein in den Chor der Kämpfer gegen Rechts und für das Gute im Menschen, in der Welt und im Universum. Keiner scherte da aus bei der regierungsamtlich propagierten Verurteilung des deutschen Ostens, ob Zeit oder Süddeutsche oder Tagesschau.

Nun gab es früher einmal die Tradition, dass sich Journalisten der Mühe unterzogen, solche Studien selber zu lesen, zu bewerten, zu recherchieren und dann zu einem eigenen Urteil zu gelangen. Das ist heute Gott sei Dank nicht mehr nötig, wenn die allseits geliebte, alternativlose, unfehlbare, große Kanzlerin die Richtung gewiesen hat.

Leider sehen das nicht alle so. Denn offensichtlich wird die nun wirklich überholte Auffassung von den Aufgaben eines guten Journalisten von einigen wenigen Renegaten in diversen Internetportalen immer noch gepflegt, was by the way einmal mehr die Notwendigkeit unterstreicht, diesen Sumpf durch verschärften Kampf, sprich verschärfte Gesetze, gegen den Hass im Internet trockenzulegen. Jedenfalls hat man sich hier oder hier die Studie wirklich einmal genauer angesehen, welch ein Frevel, und ist auf einige Ungereimtheiten gestoßen. Das, was da zutage kam, ist verheerend für das Göttinger Institut. So basiert das Urteil über den Osten auf gerade einmal 40 Interviews, die in nur drei Orten geführt wurden. Doch nicht nur das. Da wurden Interviewpartner erfunden. Es tauchen Namen von Stadtrats- oder Landtagsabgeordneten auf, die es in den Parlamenten nie gegeben hat, die vor Ort völlig unbekannt sind. Ein fulminanter Skandal. Und was tut, die "Qualitäts-" oder besser Lückenpresse? Sie macht ihrem Namen alle Ehre und schweigt. Nur in der Welt vom 23. Mai wird der Skandal nun thematisiert. Tage, nachdem sich in diversen Internetportalen bereits der Hohn und Spott über das Göttinger Institut, Frau Gleicke und die Bundesregierung entladen hat. Es sieht derzeit so aus, als ob andere Medien wohl oder übel werden nachziehen müssen. Gewiss wird noch an Erklärungsversuchen und Argumenten gearbeitet, das Geschehene zu entschuldigen.

Fazit: Das Geschehen rund um diese Studie illustriert sehr schön den Zustand dieser Gesellschaft. Die Bundesregierung produziert Fake News, die von den Medien ungeprüft weiter verbreitet werden, weil sie so schön ins Stimmungsbild, in den Mainstream passen. Nun bleibt nur noch die Frage, ist unter Regierenden wie Medien die Unfähigkeit inzwischen so weit vorangeschritten, dass niemand mehr willens und in der Lage ist, Informationen auf ihre Stichhaltigkeit und ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen oder ist dies gar nicht mehr erwünscht? Zählen Fakten schlicht nicht mehr, wenn nur die politische Stoßrichtung stimmt? Ich neige eher zu der zweiten Erklärung. Wie dem auch sei. Was wir hier erleben konnten, ist ein weiteres Trauerspiel für diese Regierung und die Medien. Und es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg in eine Meinungsdiktatur.

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Conny Losch

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