Sajad Al-Faraji ist 15 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Er ist gemeinsam mit seiner älteren Schwester Houda, seinem 13-jährigen Bruder Zein Alabdien und der Mutter Fatima aus der Provinz Basra im Irak geflohen. Der Fotograf Ashley Gilbertson hat die Familie im November in einem Transitzentrum an der serbisch-mazedonischen Grenze kennengelernt. Zwischen Sajad und unserem Fotografen entwickelte sich schnell eine freundschaftliche Beziehung und kurze Zeit später konnten sie sich in Wien wiedertreffen. Im Interview erfahren wir die bewegende Geschichte der Familie: über die gefährliche Flucht, ihre Hoffnungen und Träume für die Zukunft und erste Eindrücke aus Österreich.

Vom Transitzentrum Preševo in Serbien aus will die Familie mit dem Zug weiterreisen.

„Es ist allein meiner Mutter zu verdanken, dass wir es bis hierher geschafft haben“ sagt Houda. „Seit dem Tod meines Vaters hat sie ihr Leben nie aufgegeben – sie hat meinen Brüdern und mir einen Grund gegeben, mit unserer Ausbildung weiterzumachen. Als sich die Dinge im Irak zunehmend verschlechterten, entschied sie, Sajad da rauszuholen und in Sicherheit zu bringen, damit er sich nicht weiterhin minderwertig fühlen muss.“

„Die Angst in mir war unbeschreiblich“

Houda, die älteste Tochter der Familie erzählt weiter: „Meine Mutter kannte das Risiko, als sie entschied den Irak zu verlassen. Sie sagte mir, sie wäre bereit im Mittelmeer zu ertrinken, denn das Wichtigste sei, dass ich meine Brüder in ein sicheres Land bringen könne.“

Über die Mittemeerüberfahrt erzählt uns Houda: „Wir sind auf dieses aufblasbare Boot gestiegen mit so vielen anderen Flüchtlingen, viel mehr als das Boot aushalten kann. Die Anzahl der Menschen war bedenklich hoch. Gott sei Dank ist nichts passiert. Ein kleiner Stein hätte ausgereicht, um das Boot zu zerreißen… all die Menschen wären ertrunken.

Sie erzählt weiter: „Weil es keinen Platz gab, saßen wir gegenseitig auf unseren Beinen, die dann taub wurden. Wären wir ins Wasser gefallen… wir hätten niemals schwimmen können. Meine Mutter verletzte sich den Fuß bei der Überfahrt. Viele traurige Dinge sind auf dieser Reise passiert.“

Auch der 15-jährige Sajad erzählt uns von der Flucht: „Die Angst in mir war unbeschreiblich. Ich habe keine Worte, um auszudrücken wie ich mich fühlte.“

Houda erzählt weiter: „Wir waren mit so vielen Schwierigkeiten konfrontiert während unserer Flucht… doch als wir in Österreich ankamen, verbesserten sich die Dinge ein wenig.

Erste Eindrücke aus Österreich

Nach der furchtbaren Reise sicher in Wien angekommen, erzählt uns Houda wie sie sich in Österreich fühlt: „Hier gibt es Sicherheit, aber im Irak ist nichts sicher. Im Irak passieren schreckliche Dinge. Als wir hier ankamen und unseren Papierkram bei der Polizei erledigen konnten, hatten wir keine Angst mehr. Es war ein neuer Start für uns und wir mussten jetzt mit unserem neuen Leben, in diesem neuen Land, zurechtkommen.“

„Meine Mutter sagt immer, dass uns die Menschen hier mit großer Empathie empfangen haben und dass ein Mensch hier, eigene Rechte hat, die auch geschützt werden. Also hoffe ich, dass ich mich um Sajad kümmern kann, damit er seine Ausbildung fortsetzen kann und ich sichergehen kann, dass etwas aus ihm wird,“ so Houda.

“Alles hier ist schön”

Alles hier ist schön…. Einfach alles ist schön. Am meisten überrascht hat mich das Kunsthistorische Museum. Es war so toll, voll mit schönen Dingen, die die Ägyptische und Babylonsiche Kultur darstellten. Mir gefällt jedes einzelne Bild“, erzählt Sajad über seine ersten Eindrücke aus Wien.

Seine Schwester erzählt uns auch von ihren Zukunftsplänen: „ Ich habe einen Bachelor-Abschluss aus dem Irak und träumte von einem anständigem Job. Jetzt, wo wir hierher gezogen sind, hoffe ich nur, dass mein Abschluss hier auch anerkannt wird. Ich möchte mein Studium nicht wiederholen müssen. Ich will einfach nur eine Chance bekommen, einen Job. Vielleicht als Übersetzerin…“

Houda hat schon damit begonnen, Deutsch zu lernen. „Es ist etwas ähnlich wie Englisch, nur dass es im Deutschen diese „Ch“ un „Kh“- Laute gibt… das ist noch sehr schwierig für mich.“

„Es ist besser deine Behinderung zu akzeptieren und dein Leben zu leben, als für immer ein Gefangener deiner Ängste zu sein“

Sajad aber sagt: „Ich habe keinen wirklichen Traum“, und Houda fügt hinzu: „Mit Sicherheit wird er hier ein besseres Leben haben. Ich glaube, dass er hier bessere Chancen bekommt. Er ist kein anspruchsvoller Bub und sehr folgsam. Natürlich sagt er jetzt, dass er keinen Traum hat, weil wir in eine ungewisse Zukunft blicken und er nicht weiß, was auf ihn zukommt… Mein Bruder und ich unterstützen Sajad, wo immer wir können. Es wäre einfach großartig ihn eines Tages in einem guten Job zu sehen. Ich sage ihm immer, es ist besser deine Behinderung zu akzeptieren und dein Leben zu leben, als für immer ein Gefangener deiner Ängste zu sein… sei dankbar, dass deine Familie dich liebt und unterstützt! Durch Bildung wird eines Tages etwas aus ihm werden – aber für einen Neustart, ist der erste Schritt immer, die Sprache zu lernen.

Frau Al-Hammoudi fügte hinzu: „Eigentlich will Sajad Sportler werden. Er liebt es sich im Fernsehen Sport anzusehen.“

Sajad fügt abschließend hinzu: „Ich bin Gott so dankbar. Solange meine Familie in Sicherheit ist und es ihr gut geht, geht es mir auch gut.“

Fotocredit für alle Fotos: Ashley Gilbertson/UNICEF

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Claudia Drobny-Oertel

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