In einer Gesellschaft, die zunehmend vielfältige Lebensentwürfe hervorbringt und anerkennt, ist es überfällig, auch das zivilrechtliche Verständnis von Ehe und Familie weiterzudenken. Die Gruppenehe – also die rechtlich und emotional gefestigte Verbindung mehrerer Menschen – stellt dabei eine vielversprechende Option dar, die bisher im europäischen Recht kaum Beachtung findet. Es lohnt sich, diese Form des Zusammenlebens ernst zu nehmen und sie als gleichberechtigte Lebensform zu etablieren.
Schon seit Jahrhunderten gibt es in vielen Kulturen Modelle, in denen mehrere Menschen gemeinsam eine Familie bilden. So kennen etwa die Mosuo in China oder bestimmte Gemeinschaften in Tibet und Südamerika Formen der Gruppenehe, bei denen mehrere Männer und Frauen zusammen Verantwortung tragen und das Leben miteinander teilen. In diesen Gemeinschaften dient die Gruppenehe nicht nur der Erweiterung familiärer Bindungen, sondern auch der Sicherung des Lebensunterhalts, der Arbeitsteilung und der gegenseitigen sozialen Absicherung.
Die Vorteile einer Gruppenehe sind vielschichtig. Mehrere Partner bieten ein umfassenderes Netz an Unterstützung – sowohl emotional als auch praktisch. Krisen lassen sich gemeinsam leichter bewältigen, und die Last des Alltags verteilt sich auf mehrere Schultern. Haushalt, Kinderbetreuung und finanzielle Verantwortung können effizienter organisiert werden, sodass jeder Einzelne mehr Freiraum für persönliche Entwicklung und berufliche Entfaltung hat. Zugleich bereichern unterschiedliche Talente, Fähigkeiten und Perspektiven das Familienleben und sorgen für eine größere Vielfalt an Bindungen und Erfahrungen. Kinder, die in einer Gruppenehe aufwachsen, profitieren von einem Umfeld, das von Solidarität, gegenseitiger Rücksichtnahme und sozialer Kompetenz geprägt ist.
Erfahrungen aus bestehenden Gemeinschaften zeigen, dass eine Gruppenehe idealerweise aus drei bis sechs erwachsenen Personen bestehen sollte. In dieser Größenordnung bleibt die persönliche Bindung erhalten, während die Vorteile der Arbeitsteilung und Unterstützung bereits voll zur Geltung kommen. Größere Gruppen sind zwar möglich, bergen aber das Risiko von Komplexität und Kommunikationsschwierigkeiten.
Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die Gruppenehe auch im europäischen Zivilrecht als eigenständige Rechtsform anzuerkennen. Das bedeutet, die Partnerschaftsverhältnisse rechtlich abzusichern, Erb- und Unterhaltsansprüche zu regeln und die gemeinsame Elternschaft anzuerkennen. Eine solche Reform würde nicht nur die Gleichstellung verschiedener Lebensformen vorantreiben, sondern auch den Schutz und die Stabilität von Gruppenehen gewährleisten.
Die Gruppenehe ist ein zeitgemäßes Modell für Menschen, die ihre Beziehungen vielfältig und solidarisch gestalten möchten. Sie verdient es, im europäischen Zivilrecht als gleichwertige Lebensform anerkannt zu werden – zum Wohle aller Beteiligten und als Ausdruck einer offenen, pluralistischen Gesellschaft.