Letzter Urlaubstag, die Zeit läuft bald ab und mir davon. Wie immer ist nicht alles geschehen, was auf der To-Do-Liste in meinem Kopf gestanden ist. Somit stehe ich sehr zeitig auf, gegen 9 Uhr oder so. Voll motiviert trinke ich mal in Ruhe Kaffee, einen, zwei, drei. Nebenbei kritzle ich auf einen kleinkarierten Block Artikelnummern und Regalnummern und Fachnummern und Einzelpreise, die ich auf der Homepage eruiert habe. Ich brauche, meiner kindlichen Zeichnung nach, einen Sockel, eine Deckplatte, zwei Schubladenelemente grau, zwei Schubladenelemente weiß. Regal 33, Fach 5. Und Regal 27, Fach 9. Und für grau: „Wende dich an deinen Betreuer!“ Ich habe also einen Betreuer. Schön! Und wir sind offenbar per Du. Das wirkt vertrauensbildend. Ich frage mich, ob er mich persönlich mit einem Händedruck begrüßen wird und packe prophylaktisch Desinfektionsmittel in meine Handtasche. Wenn er mich aufregen sollte, kann ich notfalls einen Schluck davon nehmen, immerhin enthält das Zeug Alkohol. Der beruhigt. Immer noch voll motiviert trinke ich einen weiteren Kaffee, bevor ich aufbreche. Ich schaffe das!

Super! Ich habe es geschafft, im wahrsten Sinn des Wortes, denn es ist mittlerweile Mittag und die Sonne brennt herunter. Aber alles kein Problem, ich mag es eh gerne warm. Am Parkplatz des Möbelhauses eingetroffen, die fünfte Runde um das Gebäude, auf der Suche nach einem Parkplatz, fahrend, entwickle ich Fluchtgedanken, bin aber tapfer. Ich schaffe das! Augen zu und durch. Endlich, ich habe einen Parkplatz! Soll ich mir jetzt ein Taxi nehmen oder in den Bus steigen?

Im Möbelhaus angelangt, lasse ich die Möbelausstellung aus, kürze in der Markthalle ab, ignoriere die Teelichter, bei den Bilderrahmen werde ich allerdings schwach. Einer geht mit. Und ein Pflanztopf. Der auch. Ich suche meinen Betreuer. Der ist nett. „Was kann ich für dich tun?“ Bin geschüttelt und gerührt. Der ist aber lieb, soll ich den heiraten? Bekomme einen Zettel von ihm. Soll damit zur Warenausgabe. Zunächst hole ich die anderen Pakete in den dafür vorgesehenen Gängen und finde die sogar am vorgesehenen Platz. Bin angenehm überrascht. Auf zur Kasse. Nach gefühlt endloser Zeit bin ich endlich an der Reihe. Eigentlich war ich rasch, so retrospektiv betrachtet. Die nette Dame an der Kasse schüttelt tadelnd den Kopf. „Du hast da nur ein Paket genommen. Das Paket besteht aber aus zwei Paketen!“, erklärt sie mir missbilligend. Somit: zurück an den Start. Tatsächlich! Da klebt ein Zettel in der Größe einer Briefmarke am Regal, nicht nur eine visuelle, auch eine kognitive Herausforderung: „1 + 2 = 1“. Ich komme mir wie ein Loser vor. Nicht mal Grundschulniveau erreiche ich, mit meinen mathematischen Fähigkeiten hapert es gewaltig. Egal. Ich lade ein, drängle mich einfach bei der Kasse vor und begebe mich zur Warenausgabe. Muss ich eine Nummer ziehen? Bekomme ich, wie damals als Kind beim Kinderarzt, einen Erdbeerschlecker? Am Display steht, meine Nummer wäre in Bearbeitung. Ich warte. Und warte. Und warte. Irgendwann bekomme ich doch meine ausständigen 1+2=1-Pakete und lade alles in den Kofferraum meines Autos. Ich habe gewusst, ich schaffe das!

Zuhause trinke ich zunächst einmal in Ruhe einen Kaffee, oder zwei, bevor ich alles ins Haus trage. In der Ruhe liegt die Kraft. Pakete über Pakete. Ich reiße sie alle auf. Der Kartonstapel wird immer größer, mittlerweile habe ich mich mit dem Zeug über zwei Räume ausgebreitet, frage mich, wie ich den Haufen von leeren Kartons jemals ins Auto bekommen soll. Kurz denke ich an, einen Durchbruch zum Nachbarn zu machen. Ich habe keine Hilti. Wirbt dieses Möbelhaus nicht damit, Lösungen für kleinsten Raum zu bieten? Wie machen die Leute das? Bauen die das Klumpert am Gehsteig zusammen? Nicht wundern! Nicht nachdenken. Weiter … Ich reiße alle Sackerl mit Möbelverbindern, Holzdübeln und Plastikteilen auf und schütte alles auf einen Haufen. Und dann nehme ich die Möbelzusammenbauanleitung, nein, falsch, Anleitungen, denn es sind mehrere, zur Hand. Starre, starre, starre und staune, lassen sie auf den Kartonhaufen fallen und gehe hin, um mich mit Kaffee zu stärken. Am Rückweg zu den Trümmern nehme ich mir noch einen Energydrink, setze mich damit auf den Boden und starre wieder, beginne Löcher zu zählen. Ich rede mit mir selbst. „Wie gehört dieser Scheißdreck?“ Und „Eins, zwei, drei … warum sind da so viele Löcher?“ Mein Wording lässt zu wünschen übrig. Ich drehe die Teile nach links, nach rechts, drehe sie auf die andere Seite, da fehlt ein Loch, da eine Nut. Vergleiche. Starre. Blättere. Vergleiche Plastikteile mit der Anleitung. Es soll „klick“ machen, steht da. Es wird gleich „klick machen, nämlich bei mir“, sage ich! Der Hund schaut mich traurig an. Und überlege, ob ich den Vorschlaghammer holen soll. Mittlerweile habe ich selbstredend meine Werkzeugtasche verwüstet. Gummihammer. Kreuzschraubenzieher. Und Schlitzschraubenzieher. Entzückend, dass hier unterschiedliche … a so a Schas!! Wo habe ich den passenden Schraubenzieher jetzt wieder hingelegt? Schließlich hole ich die Akkubohrmaschine, knalle die Schrauben an, bevor ich sie wieder raus schraube, weil ich einen Schritt vergessen habe, nämlich das Einsetzen der Rückplatte. Mittlerweile ist mir alles egal. Das beigepackte Werkzeug, das den Namen Werkzeug nicht verdient, ist bereits im Mistkübel gelandet. Ich schwitze. Meine Motivation ist im Keller. Ich brauche mehr Kaffee. Und denke an, eine Bombe zu basteln, um die ins Möbelhaus zu schmeißen. Schließlich habe ich es geschafft. Die Kommode steht. Schön. Ich habe ja gewusst, ich schaffe das!

Jetzt nur mehr das Bild aufhängen, für das ich den Rahmen gekauft habe. Ich hole Hammer und Nagel. Gehärteter Stahlnagel. Qualitätsprodukt. Frage nicht! Er bricht ab. Ich hole die Spitzzange. Das Loch in der Wand ist nicht besonders schön anzusehen. Ich sehe großzügig darüber hinweg, aber nur weil ich keine Spachtelmasse daheim habe, schlage den neuen Nagel einfach 3 cm über dem Bombenkrater ein. Hänge das Bild auf. Wow! Schaut gut aus! Die Aufhängvorrichtung reißt ab. Reaktion habe ich, da muss ich mich jetzt schon selbst loben, weil ich fange das herunterfallende Bild blitzschnell auf, bist du deppert! Fühle mich wie Bruce Willis! Oder wie Michael Jordan? Oder doch wie Helge Payer? Egal, Hautsache Rapid. Hole Superkleber. Klebe die Aufhängevorrichtung an. Lasse das Zeug trocknen. Vergewissere mich drei mal, ob der Kleber ausgehärtet ist. Ring- und Zeigefinger kleben bereits zusammen. Hänge erneut auf. Bild fällt. Fange. Versuche mit Angelschnur und Klebeband eine kreative Aufhängevorrichtung zu basteln. MacGyver wäre stolz auf mich, keine Frage, bloß, es funktioniert nicht wie erhofft. Ich reiße alles wieder runter. Ab in den Müll damit. Nun begebe ich mich auf die Suche nach einem anderen Bild, weil den Nagel hab ich ja erfolgreich appliziert. Muss allerdings gleich groß oder größer sein als das Vorgängerbild. Finde eines. Gut, allerdings viel größer. Reiße den vorhandenen Nagel mit der Zange aus der Wand, schlage einen neuen ein. Zu hoch. Verdammt! Komme drauf, der vorherige hätte eh gepasst. Das geht jetzt aber nicht mehr. Ich beginne Bilder von den Wänden zu nehmen und umzuhängen. Schließlich habe ich auf der Toilette Fotos vom Karneval in Venedig und das Foto einer nackten Frau, die einen Felsen stemmt, von einem Starfotografen geschossen. Großartig! Schaut gut aus! Ich gehe schwitzend in den Garten, brauche frische Luft. Stelle fest, dass ich den Rasen mittlerweile in ein Biotop verwandelt habe, weil ich, bevor ich mit dem Zusammenbau der Kommode begonnen habe, den Rasensprenger aufgestellt hatte. In der Annahme, ich sei gleich fertig. Gut, fertig bin ich und geschafft auch. Ich schwöre bei Gott, dieses verflixte Möbelhaus nie wieder zu betreten. Ich schaffe das!

12
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Der hat doch einen an der Klatsche!

Der hat doch einen an der Klatsche! bewertete diesen Eintrag 24.08.2018 15:08:00

nzerr

nzerr bewertete diesen Eintrag 22.08.2018 06:21:21

gloriaviennae

gloriaviennae bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 16:27:38

bianka.thon

bianka.thon bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 16:01:49

Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 15:05:53

CK13

CK13 bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 13:48:14

Persephone

Persephone bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 13:17:33

Scherzkeks

Scherzkeks bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 11:26:23

Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 11:20:52

Frank und frei

Frank und frei bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 11:17:42

Charlotte

Charlotte bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 10:44:38

Michlmayr

Michlmayr bewertete diesen Eintrag 21.08.2018 10:39:47

47 Kommentare

Mehr von Zauberloewin