Experten sind auch nur Menschen; oder, die anbrechende Technokratie

Die heutige Welt ist sehr Komplex, sei es Corona, Krieg oder Klima, es sind viele schwierige Themen und Fragen mit denen wir uns tagtäglich auseinandersetzen müssen. Zum Glück gibt es aber für jedes Thema einen ganzen Haufen von Experten, die uns alles erklären können. Was auch immer gerade passiert, schnurstracks gräbt man irgendwo einen Experten aus, der uns erklärt, was hier eigentlich vor sich geht, und was es zu bedeuten hat.

Solche Experten sind unheimlich praktisch, denn sie ersparen uns die Mühe, selber denken zu müssen. Informationen suchen, abwägen, eine Ansicht daraus bilden – puh, mühsam. Und man stelle sich vor, die hervorgehende Folgerung wäre anders, als die der Experten. Es wäre doch unheimlich anmassend zu meinen, man wisse es besser, als jemand, der sich hauptsächlich mit diesem spezifischen Thema befasst. Diese Person hat studiert und ist gebildet, ein Experte halt, nicht wie wir einfache, dumme Bauersleut'.

Eigentlich muss man sich fragen, wozu wir überhaupt irgendwelche Entscheidungen selber treffen, die darüber hinaus gehen, welche Schuhe wir heute anziehen oder was es zu essen gibt. Obwohl, selbst für das gibt es Schuhexperten und Ernährungsexperten, die uns sagen könnte, welche Schuhe die besten sind, und welches Abendessen das gesündeste und nahrhafteste. So mancher fühlt sich wahrlich auch sehr klug, wenn er anderen unterstellen kann, sie hätten auf der „YouTube-Universität“ studiert, oder würden sich nach „Telegram-Experten“ orientieren, weil sie nicht mit den Ansichten der üblichen Experten einverstanden sind.

So gesehen ist es seltsam, dass unser ganzer politischer Grundgedanke weiterhin darauf aufgebaut ist, dass die Menschen entscheiden sollen. Es gibt schliesslich Regierungsexperten und Politologen, die uns genau sagen könnten, welche nun die beste Regierung wäre, am besten wäre es doch, einfach denen zuzuhören. Oder, noch besser, wir würden direkt von Experten regiert. Die Regierung wird ja jetzt schon von reichlich Experten beraten. Vielmals tun sie Dinge, nur weil die Experten es sagen. Wozu also dieser Mittelsmann (oder -frau)? Jeder Wirtschaftsexperte würde doch gleich erkennen, dass das nur unnötige Kosten für den Steuerzahler bedeutet.

Vielleicht aber ist es so, dass irgend jemand einstmals erkannte, dass Experten keine erhabenen Weisen sind, sondern nur Menschen wie jeder andere, und dass sie folglich nicht frei sind von Vorurteilen, von subjektiven Eindrücken, und von Irrtum. Ebenso hatte dieser jemand erkannt, dass Experten, indem sie so spezifisch auf ein Thema fixiert sind, die Zusammenhänge nicht immer klar sehen, sondern ein verformtes Abbild der Realität haben, worin das Thema ihrer Expertise sehr detailliert ersichtlich ist, alles andere hingegen weniger. Vielleicht hat man sogar den verschwörerischen Verdacht gehegt, Experten können vielleicht fremde Interessen vertreten, und uns nicht ihre ehrliche Erkenntnis predigen.

Solche Ideen stellen uns vor eine schwierige Situation. Womöglich sollten wir dann nicht einfach blind alles was ein Experte sagt als heiliges Evangelium der Wahrheit verstehen, sondern nur als Aussage eines Experten, und anschliessend selber prüfen, ob diese Aussage vielleicht vollkommen logisch und nachvollziehbar ist, oder ob sie vielleicht das Resultat einer verzerrten Wahrnehmung ist, oder gar eine interessengesteuerte Manipulation. Denn wenn ein Experte uns sagt, die Quadratwurzel von 1'337 sei 35,565, dann kann man das mit einem Taschenrechner recht einfach nachprüfen, wenn aber ein Experte uns sagt, dass in zehn Jahren die Welt sich um 1,6ºC erwärmen wird wenn wir nicht alle sofort aufhören Hamburger und Bratwürste zu essen, oder gar die Gedanken von gewissen Machthaber lesen wollen, dann sollte man doch sicherlich das Recht haben, die Gewissheit solcher Aussagen zu bezweifeln, und davon auszugehen, dass sie von Modellierungen oder Analysen ausgehen, welche, je nach dem welche vorangehenden Daten oder Fakten man miteinbezieht, variieren können.

Wenn unser ganzer Alltag, unsere Politik und Verwaltung, gar unser Leben nur noch nach den Ansichten von Experten geführt werden soll, so müssten wir alsbald unsere Demokratie durch eine Technokratie ersetzen, eine Form der Politik, worin der Staat von Experten geführt wird, anstatt dass das Volk Vertreter ihrer Interessen in ein Parlament wählt. Man könnte auch jeden, der den Experten widerspricht, in ein Umerziehungslager verfrachten, damit ihm diese schlechte Angewohnheit abtrainiert wird. Es gibt bestimmt Umerziehungsexperten die uns sagen können, wie man das am besten bewerkstelligt.

Wollen wir an unseren bisherigen Staatsformen mehr oder weniger festhalten, und nicht den Weg der Technokratie gehen, so sollte man das als Eingeständnis sehen, dass Experten nicht eine absolute Wahrheit verkünden, sondern lediglich ihre Erkenntnisse, welche, je nach Art der Erkenntnis, mehr oder weniger nachvollziehbar sein werden, und dass die letztendliche Einordnung dieser Erkenntnisse in unser Weltbild an jedem selber hängt. Zugegeben, es ist etwas mühsamer, wenn man selber denken muss. Aber wie der Kabarettist Otto Reutter schon sang: „'n bisschen Arbeit muss der Mensch doch haben.“

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