Humor ist eine seltsame Sache. Einerseits ist es etwas von einer unanfechtbaren Wahrheit, denn das Lachen als Reaktion darauf ist zumeist ein Eingeständnis des Humorvollen. Zugleich wäre es für die Meisten unheimlich schwierig, auf Anhieb zu definieren, was Humor ist, bzw. wie das Humorvolle entsteht. Eine der geläufigen Theorien ist die sog. Inkongruenz-Theorie, welche vielleicht nicht vollständig das Spektrum des Humors deckt, aber doch ein zentrales Element darzustellen scheint. Diese Theorie geht im Grunde davon aus, dass Humor durch inkongruente Gegenüberstellung von Konzepten entsteht:

Fritzchen erklärt der Oma das Internet und sagt: „Öffne mal ein Fenster.“ Die Oma steht auf, und öffnet ein Fenster.

Die Inkongruenz, ein physisches Fenster zu öffnen, generiert Humor, weil sie hingegen einen Bezug zum ersten Teil hat, wo es um das öffnen eines Fensters am PC geht, aufgrund des gleichen Wortgebrauches von „Fenster“.

Politischer Humor ist um einiges Komplexer, und man muss sich zusätzliche Überlegungen hinzuziehen, z.B. die Theorie des Erkennen fehlerhaften Denkens. Indem Humor generiert wird, entsteht ein unfreiwilliges Eingeständnis dieses fehlerhaften Denkens.

Steht ein DDR-Bürger auf dem Fernsehturm und sieht drei Weltmeere: „Schaue ich vor mir, sehe ich ein Lichtermeer. Schaue ich über mir, sehe ich ein Sternenmeer und schaue ich hinter mir, sehe ich Garnischtmeer.“

Hier, erneut, der Bezug des Inkongruenten durch das Wortspiel Meer-mehr, und das erkennen des fehlerhaften Denkens, indem das Lichtermeer Westberlins mit der wenigen Beleuchtung Ostberlins gegenübergestellt wird, und somit das Versagen der DDR aufgezeigt wird. „Der Witz ist die Waffe des Wehrlosen“ lautet ein Sprichwort (oftmals Freud zugeschrieben, allerdings von apokrypher Urheberschaft), und es deckt sich insofern mit der Theorie des Erkennen fehlerhaften Denkens. Politischer Humor hat unweigerlich eine Dimension der Rebellion gegen die Machtzustände, einerseits da nur die Macht ein fehlerhaftes Denken vorgeben kann, ohne dass dieses widersprochen würde; und andererseits durch die Inkongruenz, dass die Mächtigen lächerlich gemacht wird. Wenn man einen sportlichen Menschen einen Fettsack nennt, dann wird dies als Humorvoll verstanden, da man eine Stärke unsinnig erniedrigt. Nennt man einen übergewichtigen Menschen einen Fettsack, so ist dies gemein, und die humorvolle Inkongruenz kann allenfalls darin gefunden werden, schamlos gemein zu sein (ähnlich wie Schock-Humor).

Im Dokumentarfilm „Fernsehen unter dem Hakenkreuz“ wird in einem Ausschnitt einer Sendung aus dem Nazi-Fernsehen dieser kurze Monolog präsentiert: „Um mal wieder über die Musik zu sprechen. Ich freue mich eigentlich, dass heute alles so wunderbar im Takt geht, nicht wahr? Wenn es auch hier und da immer noch so etliche Querpfeifer bei uns gibt. Und vielleicht auch mal solche, die gerne mal wieder die Zentrummel rühren möchten, sogenannte Devisenmusikanten, nicht wahr? Ach, da machen wir wenig Federlesen. Die kommen zu ihrer weiteren Ausbildung in ein Konzertlager, wo man ihnen dann solange die Flötentöne beibringt, bis sie sich an eine taktvolle Mitarbeit gewöhnt haben.“

Durch musikalische Anspielungen soll in Humor ein gewickelt werden was eigentlich nichts weiter als eine propagandistische Drohung darstellt. Der Humor (ausser vielleicht ungewolltem Schock-Humor) bleibt allerdings aus, da die Aussage nicht wider dem geltenden Machtverhältnis steht, und auch die Inkongruenz in der Idee ausbleibt, Abweichler in Arbeitslager schicken zu wollen.

Es ist ein krasses Beispiel für das, was man „Systemhumor“ nennen könnte, ein Versuch von Humor, der sich markant auf die Seite der Macht bzw. des Mainstream stellt, und von dieser Position aus über die abweichenden Standpunkte herzieht. Selbst im Fall dass in diesem abweichenden Standpunkt ein fehlerhaftes Denken wiederfindet, so wird der mögliche Effekt des Humors stark entschärft, indem dieses fehlerhafte Denken ausserhalb der Machtsphäre zu finden ist, und die Inkongruenz zwischen Macht und fehlerhaftem Denken stets fehlen wird. Wenn ein Mathematiker eine einfache Rechnung falsch macht, so hat dies etwas humorvolles, da es inkongruent und von offensichtlicher Flüchtigkeit oder Ablenkung zeugt. Wenn ein Grundschüler eine einfache Rechnung falsch macht, so ist dies nicht humorvoll. Der Systemhumor erreicht somit vor allem für den Zuhörer eine fast schon sadistische Dimension, indem politische Schwäche auch noch für ihre Fehler ausgelacht wird.

In den letzten Jahren hat es eine neue Blütezeit für solchen Systemhumor gegeben, welche von der herrschenden politischen Einfältigkeit und dem zerfall des rationalen Denkens sowie der dialektischen Debatte zeugt. Der amerikanische Fernsehhumorist Stephen Colbert machte in einer Sendung vom Sommer 2021 einen Witz, worin vermeintlich jemand zitiert wird, der sagte: „Die Zukunft ist nicht mehr was sie einmal war, und die Ungeimpften auch nicht.“ Ein Witz also, der sich darüber lustig machen sollte, dass Ungeimpfte gestorben wären, was an sich schon sadistisch genug ist, und dessen vermeintlicher Humor aus der Inkongruenz stammen sollte, dass die Ungeimpften sterben würden, obgleich sie meinten, sie würden nicht am Virus sterben. Von der zutiefst menschenverachtenden Dimension eines solchen Witzes, der sich über den Tod von Menschen lustig macht, obgleich dieser vermeintlich selbstverschuldet wäre, widerspricht es auch nicht dem Machtverhältnis, da es darum ginge, dass eine geistig oder physisch schwächere Gruppe, für die Konsequenzen dieser Schwäche bestraft würde, wie der Grundschüler der die Rechnung falsch macht.

Die Heute Show ist eine deutsche Hochburg für Systemhumor, so zum Beispiel ein kürzlicher Tweet: „Trump deutet eine erneute Kandidatur an. Bisschen demotivierend für alle, die gerade versuchen, einen Atomkrieg zu verhindern.“ Die vermeintliche Inkongruenz sollte hier wohl darin zu finden sein, dass Trump eher einen Atomkrieg auslösen würde, welcher derzeit versucht werde, zu verhindern. Jedoch passt die grundlegende Annahme nicht, da es ja in Trumps Amtszeit zu keiner Zeit eine solche Annäherung an die Möglichkeit eines Atomkrieges gab, und hingegen derzeit von keiner Seite etwas ausgeht, was als Versuch, diesen zu verhindern gedeutet werden könnte. Die Inkongruenz existiert nur unter gewissen Annahmen, die eher als realitätsfremd gedeutet werden können.

Was diese zwei Beispiele gemeinsam haben, ist dass ihnen einige Annahmen zu Grunde liegen, welche entweder nicht offensichtlich sind (Trump würde den Atomkrieg auslösen der derzeit verhindert wird) oder welche schlicht masslos sadistisch sind (Ungeimpfte werden alle aufgrund ihrer Dummheit sterben), und auf welchen dann die Inkongruenz und das vermeintlich fehlerhafte Denken aufgebaut wird. Der Wirkungsgrad dieser Witze ist darauf beschränkt, dass diese Annahmen vom Zuhörer geteilt werden, und genau hierin liegt die eigentliche Bedeutung dieser Witze: Sie sind kein Erkennen des offensichtlichen Denkfehlers (z.B. „der Kaiser ist nackt“), sondern eine Attacke auf Grundlage sehr spezifischer Annahmen. Es ist somit auch kein Humor im konventionellen Sinn der davon ausgeht, sondern nur noch ein Effekt der Zustimmung.

Die Überwindung von Meinungsunterschieden, indem durch Humor gewisse Realitäten entlarvt werden, dadurch dass das unfreiwillige Lachen diese als solche Anerkennt, ist die Stärke des Humors. Systemhumor hingegen reduziert sich auf nichts anderes als die Zustimmung bei der Verachtung des Abweichlers.

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