Im libanesischen Fernsehen bittet die Moderatorin im Interview einen Islamisten, auf ihre Frage zu antworten, statt einen ausschweifenden Vortrag über Geschichte zu halten. Der reagiert erst unwirsch und wird dann persönlich. Daraufhin bricht die Moderatorin das Gespräch ab – und erhält für ihren selbstbewussten Umgang mit dem Patriarchen großen Beifall.

Eigentlich möchte Rima Karaki, Moderatorin des libanesischen Fernsehsenders Al-Jadeed TV, von ihrem zugeschalteten Gesprächspartner Hani al-Sibai gerne erfahren, wie es kommt, dass sich neuerdings auch Christen einer Terrororganisation wie dem »Islamischen Staat« (IS) anschließen. Doch der in London lebende ägyptische Islamist glaubt, vor einer Antwort erst einmal zu einer weitschweifigen historischen Rückblende ansetzen zu müssen. »Das ist ein altes Phänomen«, hebt er umständlich an, ein Phänomen, das bereits in den 1970er Jahren einen Höhepunkt erfahren habe, zu den Zeiten der »Roten Brigaden« und der »Roten Armee Fraktion«.

Solche absehbar endlosen Exkurse zwingen, wenn ein Interview live geführt wird und die Sendezeit begrenzt ist, die Moderation zum raschen Eingreifen. Karaki unterbricht al-Sibai deshalb und bittet ihn, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Welche Parolen es sind, mit denen Christen zu terroristischen Vereinigungen gelockt werden, will sie wissen. Doch al-Sibai denkt gar nicht daran, auf die Frage einzugehen. »Hören Sie mal, unterbrechen Sie mich nicht, ich antworte so, wie es mir gefällt«, blafft er die Moderatorin an. »Ich bin hier, um der Idee zu dienen, an die ich glaube.«

Karaki unternimmt daraufhin den Versuch, ihren Interviewgast zu beschwichtigen. »Wir respektieren Sie und wissen, dass Sie eine möglichst vollständige Antwort geben wollen«, sagt sie. »Aber wir haben leider nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung.« Al-Sibai ist jedoch nicht zu besänftigen. »Glauben Sie, dass Sie so groß und mächtig sind?«, fällt er Karaki ins Wort. Die weist ihn gezwungenermaßen auf die journalistischen Gepflogenheiten hin: »In diesem Studio führe ich durch die Sendung. Und zu Ihrem eigenen Besten sage ich Ihnen, dass wir nicht so viel Zeit haben. Wenn wir jetzt eine Diskussion über Geschichte beginnen, wird nicht genügend Zeit sein, um über unser eigentliches Thema zu sprechen. Ich bin hier diejenige, die entscheidet.«

Diese Spielregeln will al-Sibai allerdings partout nicht akzeptieren. »Sie können entscheiden, so viel Sie wollen, aber ich werde tun, was ich will«, entgegnet er in aggressivem Ton. Erneut versucht die Moderatorin, von ihm eine Auskunft zu ihrer eigentlichen Frage zu bekommen. Doch der gerät nur noch mehr in Rage: »Sind Sie jetzt endlich fertig? Dann halten Sie die Klappe, damit ich reden kann!«

Karaki ist fassungslos: »Wie kann ein respektierter Scheich wie Sie seinem Gastgeber beim Fernsehen befehlen, den Mund zu halten?« Al-Sibai setzt zu einer Entgegnung an, doch die Moderatorin hat jetzt genug: »Lassen Sie uns das hier beenden.« Der ägyptische Islamist – der mit Widerspruch offenkundig überhaupt nicht umgehen kann, schon gar nicht, wenn er von einer Frau geäußert wird – echauffiert sich ein letztes Mal: »Es ist unter meiner Würde, von Ihnen interviewt zu werden. Sie sind eine Frau, die …« Dann wird ihm das Mikrofon abgedreht, und Karaki stellt abschließend klar: »Entweder herrscht hier gegenseitiger Respekt, oder die Unterhaltung ist beendet.«

Das Middle East Media Research Institute (MEMRI), eine Organisation zur Beobachtung islamischer Medien im Nahen Osten, hat das Interview mit englischen Untertiteln versehen und am 4. März online gestellt. Seitdem ist es fast sieben Millionen Mal aufgerufen worden, und Rima Karaki hat weltweit eine Menge Beifall bekommen. Viele feiern sie für ihren Mut, einer patriarchalen religiösen Autorität selbstbewusst die Stirn geboten zu haben. Doch für die Moderatorin war das eine schlichte Selbstverständlichkeit: »Wenn ich mir das gefallen lassen hätte, dann hätte ich mich dafür selbst gehasst, und das wollte ich nicht«, sagte sie der englischen Tageszeitung Guardian. »Als er sagte, ich solle meinen Mund halten, wollte ich genau das nicht tun, weil ich mir sonst selbst weh getan hätte.«

Das Fernsehstudio verglich Karaki mit einem Gerichtssaal: »Auch dort muss jemand die Konversation moderieren. Der einzige Unterschied besteht darin, dass es nicht zu meinem Beruf gehört, über Menschen zu richten.« Sie habe Hani al-Sibai als Interviewpartner ausgesucht, weil sie unabhängig von seinem Hintergrund an einen konstruktiven Dialog über die Thematik, um die es gehen sollte, geglaubt habe. »Aber es war nun mal meine Aufgabe, das Gespräch zu moderieren«, sagte sie, »und deshalb war es mein Recht, ihm zu sagen, dass ich darüber entscheide, worum es in diesem Gespräch gehen soll und dass es so nicht weitergehen konnte«. Al-Sibai habe sich ihr gegenüber respektlos verhalten – »und deshalb musste ich das Interview abbrechen«.

Über seinen Twitter-Account hat al-Sibai nun einen Brief verbreitet, in dem er eine Entschuldigung des Senders fordert. Seiner Ansicht nach hatte Al-Jadeed TVvor, ihn als Fundamentalisten und Freund des Al-Qaida-Führers Ayman al-Zawahiri vorzuführen. »Als ob die Freundschaft zu ihm eine Beleidigung wäre!«, empörte er sich. »Ich bin stolz darauf, so wie jeder Muslim stolz darauf ist. Aber sie haben das wie eine Verleumdung dargestellt.« In die Moderatorin sei der Teufel gefahren.

Wegen terroristischer islamistischer Aktivitäten war al-Sibai in Ägypten Ende der 1990er Jahre in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, seitdem lebt er als politischer Flüchtling in London. Dem Guardian zufolge gilt er eigentlich als Gegner des IS, doch in einem Kommentar habe er unlängst ein Video von der Hinrichtung koptischer Christen durch den »Islamischen Staat« als »Werk von Geheimdiensten« bezeichnet. Angesichts dessen muss man den Abbruch des Interviews durch Rima Karaki wohl erst recht nicht bedauern.

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