Ach ja, der Verfassungsschutz. Nicht nur Deniz Yücel fragt sich, ob er nun die dümmste oder die gefährlichste Behörde Deutschlands ist. Schon wenn man den NSU-Prozess auch nur ein bisschen verfolgt, kann man angesichts der ganzen Ungeheuerlichkeiten, die da in Bezug auf diese Einrichtung ans Tageslicht befördert werden, eigentlich bloß deren Auflösung befürworten. Denn wer derart eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass er ein gewichtiger Teil des Problems ist und dessen Lösung daher nach Kräften verhindert, lässt sich nicht reformieren. Und jetzt auch noch das Desaster in der Causa »netzpolitik.org«, bei der es längst nicht nur um den wildgewordenen Bundesanwalt zu gehen hätte, sondern auch und vor allem um den Geheimdienst. Landesverrat, ach Gottchen. Als ob! Eingedenk dieser Groteske fiel mir eine Begegnung wieder ein, die ich selbst vor einigen Jahren mit dieser Einrichtung hatte, genauer gesagt: mit Mitarbeitern ihrer nordrhein-westfälischen Dependance. Sie wollten etwas von mir, das ich nicht wollte. Was sie zweifellos auch schon vorher wussten.

In mancherlei Hinsicht ist der Verfassungsschutz ja ziemlich berechenbar. Wenn man politischen Aktivitäten nachgeht, von denen man weiß, dass sie die Aufmerksamkeit dieser Behörde erregen könnten, dann überraschen einen die Herrschaften jedenfalls nicht so sehr. Während meiner Antifazeit in den Neunzigerjahren wurden sie vor allem bei zwei Arten von linken Aktivisten regelmäßig zwecks Anwerbung vorstellig: zum einen bei den, sagen wir, jungen Wilden, die kopfüber in die »Szene« eingetaucht waren und keine Demo ausließen. Zum anderen bei den schon etwas älteren, erfahreneren, die nicht mehr jedem Neonazi nachstellten, aber weiterhin gut vernetzt waren und gewissermaßen vom Spielfeldrand aus den Kick überblickten. Soweit solche Ansprechversuche – nach denen man die Uhr hätte stellen können – bekannt wurden, endeten sie für die Verfassungsschützer stets mit einer freundlichen, aber bestimmten Abfuhr.

Nach der zweiten »Intifada« und Nine-Eleven hatte ich mit der klassischen radikalen Linken nicht mehr viel gemein und am Hut, dafür aber mit der im Spaltungsprozess aus ihr hervorgegangenen, pro-israelischen (und pro-amerikanischen) antideutschen Strömung. Auch für sie begann sich der Verfassungsschutz schnell zu interessieren – mit einer scharfen Kritik des Antisemitismus und einem nachdrücklichen Einsatz für den jüdischen Staat macht man sich in Deutschland schließlich rasch verdächtig –, wobei seinen Berichten vor allem in den ersten Jahren deutlich die Irritation darüber anzumerken war, dass der Linken entsprungene Leute plötzlich Partei für Israel und die »imperialistischen« Vereinigten Staaten von Amerika ergreifen und auf diese Weise den Bruch mit ihren früheren Genossen vollziehen. Die Behörde hielt die Antideutschen lange für eine Abteilung der Autonomen, auch wenn das nicht nur inhaltlich, sondern auch angesichts der fehlenden Militanz barer Unsinn war. Und sie hatte Bedarf an Informanten.

Als es dann an einem kalten und dunklen Abend im Januar des Jahres 2007 an meiner Wohnungstür klingelte – was um diese Zeit, wenn ich nicht gerade verabredet war, nie geschah –, ahnte ich bereits, dass mir der Verfassungsschutz seine Aufwartung machen würde. Und diese Ahnung resultierte weniger aus einer handfesten Paranoia, sondern vor allem daraus, dass zwei seiner Mitarbeiter einige Tage zuvor (erfolglos) eine Freundin von mir behelligt hatten, mit der ich viele biografische Übereinstimmungen in Bezug auf die politische Vita hatte, bis hin zum gemeinsamen Platz im Szenenrandgebiet. Ich war also gewissermaßen vorgewarnt. Ein Blick durch den Türspion verschaffte mir Gewissheit: Zwei auffällig unauffällige Männer Anfang fünfzig standen da, die weder nach der Gebühreneinzugszentrale noch nach den Stadtwerken aussahen. Einlass ins Haus hatte ihnen offenbar ein Nachbar verschafft.

Es liegt nicht nur an meiner politischen Sozialisation in der Linken, dass ich mit dieser Behörde nicht nur nicht kooperieren will, sondern bereits jedes Gespräch mit ihren Bediensteten schlicht für überflüssig halte. Ein ehrbares Anliegen haben sie ohnehin nicht. Sie hätten gerne einen besseren Einblick in die vermeintlich staatsgefährdende »Szene«, das heißt: Sie wollen Namen hören, Einschätzungen zu politischen Diskussionen und Vorhaben erfahren, interne Strukturen und Absprachen kennenlernen und dergleichen mehr. Kurz: Sie wollen den Verrat. Und dafür bieten sie Geld. Warum aber sollte ich ihnen dabei behilflich sein, besser gegen den Einsatz für Israel, den Kampf gegen den Antisemitismus und die Kritik der deutschen Ideologie – all das halten sie ja offenkundig für brandgefährlich – vorgehen zu können? Und wie käme ich dazu, meine Freunde und Mitstreiter für sie zu beobachten, um sie anschließend vor ihnen auszuziehen? Keine noch so große finanzielle Notlage könnte mich je zu solchen Schäbigkeiten veranlassen.

Ich ließ die beiden Herren vor der Tür stehen und antwortete auch nicht auf das Klingeln, das sie in kurzen Abständen geschlagene achtmal wiederholten, weil sie natürlich wussten, dass ich zu Hause bin. Aber ich wollte sie nicht in meine vier Wände lassen, mein Allerheiligstes also, auch wenn mir klar war, dass sie dann in Kürze erneut Anlauf nehmen würden. Dazu kam es exakt zwei Wochen später. Ich arbeitete damals in einem Verlag und hatte mich in der Mittagszeit gerade auf meinen üblichen Weg begeben, um mir etwas zu essen zu besorgen, als dieselben zwei Männer direkt vor der Bäckerei, die ich seinerzeit zu frequentieren pflegte, auf mich warteten. Diesmal hatten sie also nicht die unbeobachtete Privatheit als Ort für ihren Anwerbeversuch ausgewählt, sondern eine belebte Hauptstraße im Kölner Süden, mithin so ziemlich das genaue Gegenteil.

Als ich mich ihnen allmählich näherte, wedelte der Wortführer der beiden bereits mit seinem Ausweis. »Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen« stand darauf zu lesen. »Herr Feuerherdt«, sagte er bestimmt, »wir würden uns gerne mal mit Ihnen unterhalten«. Und: »Sie haben ja schon mit uns gerechnet.« Das Gespräch, das daraufhin folgte, dauerte vielleicht anderthalb Minuten, denn ich hatte mir geschworen, es so kurz wie möglich zu halten. »Wir haben da ein Angebot für Sie«, sagte der Mann mit einer Jovialität, der etwas seltsam Unseriöses eignete. »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte ich, »aber ich möchte es nicht hören«. »Sind Sie sicher?«, fragte der Mann mit erkennbar gespielter Enttäuschung. »Was wir Ihnen anzubieten haben, können Sie eigentlich nicht ausschlagen.« Wenn ich nicht gewusst hätte, dass er für den Staat arbeitet, hätte ich glauben können, dass er mir etwas verkaufen will, das soeben vom Lkw gefallen ist.

Ich empfand die Situation als geradezu bizarr. Am helllichten Tag mitten in der Stadt von zwei Herren vom Verfassungsschutz abgefangen zu werden, die eine Menge über mich wussten (offensichtlich sogar, welchen Weg ich in der Mittagspause für gewöhnlich nehme), während sie mir umgekehrt naturgemäß gänzlich unbekannt waren – das hatte etwas Surreales. Und etwas Unangenehmes. Denn zu den geheimdienstlichen Methoden gehören nun mal auch solche Dinge wie das Mitlesen von Mails, das Mithören von Telefonaten und die Observation. Sich bewusst zu werden, dass man davon selbst betroffen ist, ist eine beklemmende Erfahrung. Vor allem, wenn man bedenkt, warum dieser Aufwand betrieben wird: wegen ein bisschen Israelsolidarität, Staatskritik und Antisemitismusbekämpfung in Form von Artikeln, Flugblättern, Veranstaltungen und Demonstrationen. Es braucht nicht viel, um als Staatsfeind gehandelt zu werden.

Die kurze Unterhaltung endete damit, dass ich den Herrn, der sie mir aufgezwungen hatte (der andere schwieg die ganze Zeit beharrlich), nach seinem Namen fragte, woraufhin ihm offenbar einfiel, dass er sein unschlagbares Angebot ja noch gar nicht konkretisiert hatte, weshalb er in einer eigentümlichen Volte erwiderte: »Sie meinen den Namen der Texte, die Sie für uns schreiben sollen?« Nein, meinte ich nicht, und so erfuhr ich schließlich noch, dass er sich »Moll« nannte, womit ich nun immerhin auch etwas über ihn wusste, selbst wenn es gewiss nichts war, was der Wahrheit entsprach. »Dann kommen wir also nicht ins Geschäft?«, versuchte er es ein letztes Mal. Ich verneinte, wünschte als Ausdruck der Wahrung bürgerlicher Höflichkeitsformen einen schönen Tag und sagte: »Und nun würde ich mir gerne zwei Brötchen kaufen. Aber das wissen Sie ja bereits.«

Danach habe ich nie wieder etwas vom Verfassungsschutz gehört, und es wäre mir sehr lieb, wenn das auch so bliebe. Etwas Kooperatives hätte ich ohnehin nicht anzubieten. Sondern nur die freundliche Bitte: Löst euren Laden endlich auf!

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Veronika Fischer

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