Duzt du schon, oder siezen Sie noch? Falls es jemand noch nicht gemerkt hat: Die Höflichkeitsform ist am absteigenden Ast. Wer heute modern und dynamisch sein will, ist stets per Du. Egal ob bei Ikea oder im hippen Café, das Du-Wort wird nicht mehr angeboten, sondern aufgedrängt. Die Devise lautet offenbar: Simpel ist sexy. Wer will sich da also noch mit kulturell vererbten Höflichkeitsfloskeln abmühen? Die fortschreitende „Duisierung“ des deutschsprachigen Abendlandes hat aber auch ihren Preis, birgt sie doch die Gefahr kommunikativer Fettnäpfchen. Besonders in der geschäftlichen Korrespondenz kann das schnelle Du für Irritation sorgen. Wer allzu früh die freundschaftliche Ansprache wählt, riskiert unangenehme Situationen – zum Beispiel wenn man schon per Du ist, aber zwischendurch doch ins Sie rutscht, weil es sich intuitiv richtiger anfühlt – ups…waren wir nicht schon per DU? Vielleicht eilt ja der Zeitgeist unseren traditionsgetränkten Einstellungen voraus. Schwierig.

An dieser Stelle könnte man verleitet sein, sich englische Verhältnisse zu wünschen. Im Englischen ist „you“ gleich „you“, egal ob auf die Queen bezogen oder auf die eigene Mutter. Oder, wie der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl einmal zu Ronald Reagan meinte: „You can say you to me.“ Wie schön, wie fortschrittlich ist doch die einheitliche Ansprache. Gleiches Du für alle!

Als gläubiger Jünger des Duzens weiß ich das distanzwahrende Sie aber trotzdem zu schätzen. Es ist schön, dass uns die deutsche Sprache eine Differenzierung zur Wahl stellt. In einer Zeit, in der gesellschaftliche Konventionen immer freier interpretiert werden, bietet das Sie nämlich eine Möglichkeit, Zwischenmenschliches zu gestalten. Mit einem frechen Du kann man schnell Nähe herstellen, während ein insistiertes Sie klare Grenzen setzt. Gezielt eingesetzt, bietet uns das selektive Siezen und Duzen ein spannendes Tool: Warum nicht bei der nächsten Polizeikontrolle die Staatsdiener duzen? Oder den uninteressierten Hipster-Barista mit einem strengen „Sie“ aus dem Konzept bringen? In diesem Sinne: Es gibt nichts Gutes, außer man duzt es!

Hochachtungsvoll,

Ihr Theophil

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bianka.thon

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nzerr

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