Wir schließen die Augen und befinden uns in einer Zeit, als Telekommunikation noch Fernmeldewesen hieß. In einer Nachrichtenagentur, durch die ein Don Draper-Lookalike streift, in der Hand festgenagelt ein Glas Whisky. Die Luft verraucht, die Stimmung geschäftig. Und wir hören genau hin: hören das Geräusch des Fernschreibers, „tick – tickticktick – ticktick ...“ Eine neue Meldung ist gerade über den Ticker gekommen!

Wir machen die Augen wieder auf. Statt Don Draper im Kopf, einer Ahnung von Whisky im Gaumen und Rauch in der Nase: Verhaltensauffälliger Teamleader, der 4. Kaffee und der Geruch von Leberkässemmerln. Wait, what? Nur der Ticker ist noch da! Und zwar zu jedem nur erdenklichen Thema.

Ob Fußballspiel oder Unglücksfall, ob Songcontest oder EU-Wahl, ob die britischen Royals einen Sohn gebären oder die Österreichische Regierung gestürzt wird – das Nachrichtenformat des Livetickers erfreut sich ungebrochener Begeisterung.

Meine Diagnose: Das Ganze ist Ausdruck einer grassierenden Wut nach kuratierter Unmittelbarkeit. Alles soll möglichst hautnah miterlebt werden können, aber bitte mit dem nötigen Abstand. Immer mit einer gewissen Verzögerung und vermittelt durch die Filterbrille der Tickerredakteure. Die Light-Version von live quasi, eine Simulation der Echtzeit.

Insofern befinden wir uns eigentlich gefühlt schon direkt mit Neo in der Matrix, wenn man, wie ich, parallel zum Liveticker gerne in minimum vier weiteren Tabs Videostreams und – tja: noch mehr Liveticker zum selben Ereignis (Exzess pur, man lebt ja nur einmal!) verfolgt.

Übrigens: Der letzte Fernschreiber Österreichs stellte tatsächlich erst 2006 seinen Dienst ein.

Lisa Ka

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

sisterect

sisterect bewertete diesen Eintrag 12.08.2019 17:03:19

Noch keine Kommentare

Mehr von alphaaffairs