Der seltsamste und in Phasen sicher verrückteste Wahlkampf ist vorüber, die Zusammensetzung des neuen Nationalrates in Österreich entschieden. Die starken Reaktionen verschiedener Medien im Ausland waren zu erwarten, obwohl man auf einen gewissen Lerneffekt seit 2000 hoffen durfte.

Das trifft vor allem auf den Chef des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl zu, der sich vom Alter her noch an diese Zeit erinnern sollte. Nun hat er in einem Video der Zeitung ein verbales Sperrfeuer gegen Österreich losgelassen, mit dem er weit übers Ziel geschossen hat. Seine Schlussfolgerung aus dem Wahlausgang am 15. Oktober: „Deutschland braucht keine Österreichisierung.“ Deutschland brauche eine aufgeklärte, grundrechtsorientierte, starke liberale Politik. Wer nicht?

Aber Österreichs Wahlentscheidung so zu interpretieren als „würde die 'Alternative für Deutschland' in Deutschland an die Macht kommen" und das eigentliche Resultat mit der Sozialdemokratie als zweitstärkste Partei zu ignorieren, ist auf eine Art überzogen, die selbst Skeptiker und Kritiker der Vorgänge in der ÖVP auf den Plan rufen muss.

Im Kern ist Prantls Analyse durchaus zutreffend, so dass er Übertreibungen dieser und anderer Art gar nicht notwendig hätte: Er kritisiert nämlich, dass sich ÖVP alias Wahlsieger Sebastian Kurz und SPÖ alias Wahlverlierer Christian Kern von dem „krassen Maß an populistischer, fremdenfeindlicher, xenophoben und rassistischen“ FPÖ anstecken haben lassen. Wenn man es anders formuliert und meint, dass SPÖ und ÖVP etliche Positionen der FPÖ um des populistischen Stimmgewinns wegen übernommen haben, dann hat die Beschreibung ihre Berechtigung. Aber Prantl meint, die Parteien hätten damit „das Land vergiftet und sich selbst vergiftet“.

Nach dieser Wahl ist in Österreich eine „rechte Mehrheit“ für alle erkennbar. Prantl sieht darin eine Mehrheit für „Rechtsaußen“; eine Mehrheit für einen „populistischen Rechtsextremismus“, der in Österreich seit 20 Jahren vorbereitet worden sei. Er nennt es auch die „Haiderisierung“ von SPÖ und ÖVP und meint damit das Rechtsradikale, das Fremdenfeindliche, von dem sich die CSU in seinem Bayern keinesfalls anstecken lassen dürfe. Sonst könne sie nie und nimmer ein Koalitionspartner in Berlin werden.

Während im benachbarten Bayern also vor einem krassen populistischem Rechtextremismus in Österreich gewarnt wird, sieht die Redaktion der „New York Times“ das ähnlich, wählte aber weniger extreme Worte. In einem Kommentar am Dienstag heißt es: „Eine Anti-Migranten-, anti-Moslem-Partei hat die Wahl am Sonntag gewonnen und könnte die Regierung mit einer Partei bilden, die von Ex-Nazis gegründet worden ist.“ In der Folge werden Heinz Christian Straches Verbindungen zum Team von US-Präsident Donald Trump und zu Russlands Präsidenten Vladimir Putin beschrieben, um dann einen Rat an Sebastian Kurz zu veröffentlichen:

„Sollte es Mr. Kurz mit dem neuen politischen Stil ernst meinen, den er am Sonntag seinen Anhängern versprochen hat, dann muss er die Freiheitlichen ablehnen, ihre hässliche Vergangenheit, ihre unheilvolle Beziehung zum Kreml und zu den niedrigen Impulsen der Trump Regierung ...“

„Mr. Kurz ist ein verlässlicher Pro-Europäer. Nur wenn er dem Hass und dem Zerwürfnis der Vergangenheit eine Absage erteilt kann seine neue Regierung eine konstruktive Rolle bei der Gestaltung Österreichs und Europas spielen, wo man nationalistische Ängste verringert, indem man die Sorgen der Bürger um Sicherheit und wirtschaftliche Fairness ernst nimmt ohne das Feld den Xenophoben zu überlassen.“

Hoffentlich kommt jetzt niemand in Österreich auf die Idee, sich Einmischung von der „Ostküste“ der USA zu verbieten. Man kann beide Sichtweisen, die aus Bayern und die aus New York, als „links“ abtun. Nachdenken sollte man dennoch. Auch wenn man glaubt, sie seien voll daneben.

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