Worte des vorsitzenden Richters (gekürzt und ins Verständliche übersetzt)

Das Grundproblem ist, dass die Angeklagten der Auffassung sind, legale Proteste gegen die Energie- und Wirtschaftspolitik seien aufgrund der realen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnisse von vornherein aussichtslos. Dringend erforderliche Korrekturen können mit vom Staat zugelassenen Protesten nicht erreicht werden. Die Angeklagten betrachten sich als Widerstandskämpfern, die bereit sind, sich mit Mut und unter persönlichen Risiken für ihre Überzeugungen und für das Wohl des Planeten einzusetzen.

Bei den Angeklagten sind die Nötigungs- und Widerstandshandlungen keine situationsbedingte Verhaltensweisen, sondern Ausfluss eines Selbstbildes und einer Lebensform, die mittlerweile nicht mehr korrigierbar erscheinen. Die Angeklagten lehnen den demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland und die Lebensform der bürgerlichen Mehrheit grundsätzlich ab. Sie sind fest in einer sich selbst als links begreifenden radikalen Subkultur verankert. Die Angeklagten haben kein Interesse an einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung. Sie sind nicht bereit, ihre eigenen Positionen infrage zu stellen. Es geht ihnen nicht um den Austausch von Argumenten.

Auffallend ist das krasse Missverhältnis, selbst fair und respektvoll behandelt zu werden, zu der eigenen Bereitschaft, der Gegenseite kein Minimum an persönlichem Respekt zu erweisen.

Die Angeklagten erscheinen barfuß mit ungewaschenen Füßen und legen die Füße auf den Tisch. Die Spitze dieses nicht nur unhöflichen, sondern Menschen verachtenden Verhaltens wird erreicht, als die Mitteilung eingeht, einer der Wachtmeister habe sich bei Ausführung der Anordnungen des Gerichtes verletzt, von beiden Angeklagten mit Beifall bedacht wird.

Es ist eine schwer zu bewältigende richterliche Herausforderung trotz der kontinuierlichen Provokationen der Angeklagten sich nicht dazu hinreißen zu lassen, das zu unterlassen, was die Aufgabe der Gerichte ist, nämlich Recht und Gesetz ohne Ansehen der Person anzuwenden. Das soeben verkündete Urteil ist keine beleidigte persönliche Reaktion der Mitglieder der Kammer auf das Prozessverhalten der Angeklagten ist, sondern allein das, was das Gericht als rechtmäßig und die korrekte Anwendung der Gesetze ansieht.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Asymmetrie auszuhalten, wenn der Rechtsstaat mit Personen zu tun hat, die ihn grundsätzlich nicht anerkennen, bekämpfen und sich an rechtsstaatliche Regeln nicht gebunden fühlen, die Einhaltung dieser Regeln jedoch beständig für sich reklamieren und gleichzeitig eine Schwäche des Rechtsstaats darin erblicken, dass dieser sich an seine eigenen Regeln und Gesetze hält. Eine Schwäche, die sie strategisch ausnutzen, um den Rechtsstaat zu unterminieren.

Unter einem autoritären Regime, als welches die Bundesrepublik von den Angeklagten diffamiert wird, hätte man das Problem der Gleisblockade auf eine wesentlich weniger schonende Weise beseitigt.

Ein Grundrecht sichernder Umgang des Rechtsstaats mit seinen radikalen Feinden wird angewendet, nämlich der Verzicht auf die Beantwortung von Gewalt durch überschießende Gegengewalt. Andererseits muss der Rechtsstaat deutlich zeigen, dass er sich im Interesse seines Funktionierens und aller rechtstreuen Bürger nicht vorführen und lächerlich machen lassen darf.

Die im Verlaufe der Verhandlung verhängten Ordnungsmittel gegen Teile des Publikums und die Angeklagten sind unverzichtbar gewesen. Sie sind nicht illegitim. Macht ist die Möglichkeit, den eigenen Willen gegen Widerstand durchzusetzen. Auf die Ausübung von Macht kann in keiner menschlichen Gesellschaft verzichtet werden, in der gegensätzliche Interessen aufeinanderstoßen. Die generelle Verteufelung von Macht, insbesondere in radikalen linken und anarchistischen Kreisen, ist eine leere Phrase.

Die Angeklagten haben Macht ausgeübt, indem sie mehr als sieben Stunden hinweg den Güterverkehr aus dem Braunkohletagebau blockiert haben. Nicht dass Macht ausgeübt wird, ist problematisch, sondern die Art und Weise, in der diese geschieht. Das Gericht begreift die polizeilichen Maßnahmen als legitime Ausübung von Macht zur Unterbindung von illegaler Machtanmaßung durch die Angeklagten und ihre radikalen Unterstützer.

Das Gericht hat sich in Anwendung des Gesetzes jeder allgemeinpolitischen Positionierung zu enthalten und sich jeglicher Vereinnahmung zu entziehen, von welcher Seite auch immer. Nur so wird es seiner Aufgabe gerecht, Rechtsfrieden zu schaffen. Die Durchsetzung des geltenden Rechts ist im demokratischen Rechtsstaat nur solange legitim, wie die Möglichkeit besteht, geltendes Recht in einem friedlichen politischen Prozess des Austauschs von Argumenten und des Aushandelns von Kompromissen zu ändern.

Der Rechtsstaat gibt niemanden auf, nicht den Vergewaltiger, nicht den Mörder und erst recht nicht junge Menschen, die sich eine Nötigung, eine Widerstandshandlung und ein gerütteltes Maß an Respektlosigkeiten und Unreifheit vorwerfen lassen müssen. Auch wenn diese Verhaltensweisen Folge einer radikal rechtsstaatsfeindlichen Gesinnung sind, erscheinen sie korrigierbar. Der Rechtsstaat vertraut auf die Kraft des besseren Argumentes, mindestens jedoch auf die Befriedung durch den Kompromiss. Die Angeklagten können mit dem Verständnis und der Sympathie außerhalb ihrer eigenen Szene bis in die Mitte der Gesellschaft hinein rechnen, weil große Teile der Gesellschaft die Ziele als legitim ansieht und deshalb bereit ist, über die illegalen, intoleranten und gewaltsamen Methoden hinwegzusehen. Dieses Verhalten der Gesamtgesellschaft ist ein deutliches Indiz für Defizite an politisch-geschichtlichem Wissen und staatsbürgerlicher Haltung, welches in einer Diktatur mündet (münden kann).

Solch eine Haltung kann wachsen. Ein Staat, der einen Steine werfenden Sponti soweit integriert hat, dass er zu einem respektierten Bundesminister gereift ist, kann nicht unattraktiv sein.

In diesem Sinne wünsche ich den Angeklagten, dass sie noch lange nachreifen mögen.

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Der Richter verwechselt den Gerichtssaal mit einem Klassenzimmer, schlimmer noch, mit einer Besserungsanstalt. Die beiden Angeklagten erhalten eine lächerlich geringe Geldstrafe, die den von ihnen errichteten Schaden nicht in Ansätzen deckt. Die Angeklagten und ihre Sympathisanten erkennen zu Recht die Unfähigkeit des real existierenden deutschen demokratischen Staates, sich zu verteidigen.

Die Angeklagten und ihre Sympathisanten werden ihren Weg zu Recht weiter beschreiten, bis sie diesen Staat oder sich selber zerstört haben werden. Das, was kommen kann (wird), nennt man Faschismus, gleich ob sich die Vorstellungen des vorsitzenden Richters, die der Angeklagten oder die derer Sympathisanten durchsetzen werden.

Ein bekehrter Joschka Fischer macht noch keinen grünen Frühling.

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Spinnchen

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philip.blake

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