Es sieht nicht gut aus für jene Kräfte, die den Menschen befreien wollen von Ausbeutung und Herrschaft. Während Revolutionärinnen und linke Reformer keine tauglichen Parteien gebacken kriegen und oft schon an der Definition des Proletariatsbegriffs scheitern, haben die Henchmen des Kapitals die freie Wahl zwischen liberaler Demokratie US-amerikanischen Zuschnitts, rechtsautoritären Scheindemokratien der Marke Russland oder Ungarn und dem chinesischen Modell, das ganz ohne demokratischen Klimbim wie freie Gewerkschaften, Meinungsfreiheit und Mehrparteienlandschaft auskommt.

Diese drei Varianten kapitalistischer Herrschaft unterscheiden sich in für das Individuum durchaus wichtigen Detailfragen, bleiben aber nur verschiedene Masken desselben Systems. Je nach persönlicher psychosozialer Verfassung und je nach Stellung innerhalb der kapitalistischen Maschinerie lebt es sich mal in jener, mal in der anderen Variante besser, doch eine Perspektive auf ein Leben, das mehr ist als eine Existenz als Humankapital, bietet keine davon. Natürlich kann sich alles ganz schnell ändern, die Geschichte ist keine gerade Linie ohne Überraschungen, und obwohl allzu viele Marxisten das Gegenteil behaupten kann niemand mit Gewissheit vorhersagen, wann der Bogen überspannt sein wird. Es sieht derzeit danach aus, dass der Kapitalismus mit gewissem Recht Rosa Luxemburgs trotzige Kampfparole der Revolution für sich umdeuten kann: “Ich war, ich bin, ich werde sein”. Aber so lange der Kapitalismus ist, wird, nein, muss er zwangsläufig durch die ihm objektiv innewohnende Destruktivität seine Gegnerinnen schaffen, vor allem wenn er sich, wie in den vergangenen 40 Jahren eingeleitet, weiter von den Fesseln der Demokratie befreien will und sich damit auch der Reste von Legitimation entledigt.

Was tun? Eine neue Sekte gründen? Sich mit den gesammelten Werken der sozialistischen Intelligenz eindecken und die Tür absperren? Auf bessere bzw. radikal schlechtere Zeiten hoffen? Als Funktionär von Gewerkschaft oder Arbeiterkammer den täglichen Klassenkampf austragen? Auf Blogs und in Foren klugscheißen? Die Antwort: Ja, all das und mehr.

Jeder einzelne Mensch, der sich mit dem angeblichen Endsieg des Kapitals nicht abfinden mag oder kann, findet mehr als genug Betätigungsfelder. Eines der wichtigsten ist die Arbeit an sich selbst, am eigenen Bewusstsein und an dem der Mitmenschen. Es wird keine erfolgreiche Revolution geben, nicht einmal eine erfolgreiche Reform, solange diejenigen, die was ändern wollen, sich nicht selbst befreit haben von bürgerlicher Moral. Ein Revolutionär, der in Psyche und Bewusstsein gleich bleibt dem unwissenden Untertanen, wird weder sich, noch andere je befreien können. Er wird, den unwahrscheinlichen Fall vorausgesetzt, dass er an die Macht kommt, zurückfallen in die Mechanismen von Beherrschung und Unterdrückung, weil er den Sinn der revolutionären Übung so wenig versteht wie der Kapitalist am Ende des Tages oder Lebens den Sinn des Profits. Der autoritäre bürgerliche Charakter bleibt ohne Selbstbefreiung ein solcher, da mag er noch so aufrührerische Reden schwingen und rote oder schwarze Fahnen vor sich hertragen. Es reicht nicht aus, bloß Gefangene und Gefängniswärter die Plätze tauschen zu lassen, es gilt den Knast abzuschaffen!

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Herbert Erregger

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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