Nachdem mir der Kopfhörer „99 Classics“ der rumänischen Firma Meze Audio sehr gut gefallen hat, waren die Jungs in Baia Mare so nett, mir den „99 Neo“ für eine Besprechung zu schicken. Der 99 Neo, ausgepreist um 249 Euro, ist der neuere Kopfhörer, aber er soll kein Nachfolger des „Classics“ (309 Euro) sein, sondern, falls ich die Produktpolitik von Meze richtig verstanden habe, eine Ergänzung bzw eine Alternative. Er teilt sich mit den „Classics“ die Treiber, hat aber statt Ohrmuscheln aus Holz welche aus Kunststoff. Die Überraschung vorweg: Er klingt deutlich anders als sein teurerer Bruder. Besser? Schlechter? Oder halt nur anders? Schauen wir mal!

Lieferumfang, Haptik, Qualität

Wie bei allen Audiogeräten habe ich dem 99 Neo ein paar Wochen zum Einspielen gegeben, da ein Review frisch aus der Box nicht fair wäre. Apropos Box: Die Schachtel, in der der Neo kommt, ist gleich hübsch wie die des Classics, und auch das darin enthaltene Hardcase ist auf demselben Niveau. Nach dem Auspacken fällt mir aber eines negativ auf: Dem Neo wird nur ein Kabel beigelegt. Sind beim Classics ein kurzes Kabel mit Steuerungsfunktion fürs Smartphone und ein langes für den Betrieb an der Anlage zuhause dabei, so hat der Neo nur mehr das kurze Kabel für den mobilen Einsatz. Das ist kein Beinbruch, da der Neo ja vor allem für unterwegs gedacht ist, aber ich trage trotzdem ein kleines Minus in Mezes Mitteilungsbuch ein. Ein Minus in Betragen! Ein entsprechendes Kabel kann man für 20 Euro bei Meze nachbestellen. Oder man kauft eines von einem Drittanbieter, wobei man da aufpassen muss, denn wegen der Form der Ohrmuscheln dürften dickere Klinken nicht ganz reinpassen.

Genug gemeckert. Der Hörer selbst sieht sehr gut aus, besser als fast die gesamte Konkurrenz, und fühlt sich auch gut und hochwertig an. Design und Qualität, das können sie bei Meze Audio. Ist der 99 Classics optisch mehr der Opernbesucher und Fünf-Sterne-Restaurant-Gast, so wirkt der Neo mit seinem Schwarz-Chrom-Look eher wie ein Kunststudent im Jazzclub. Je nach Geschmack kann man entweder den einen oder den anderen Look besser finden oder beide gleich gut. Mir persönlich gefallen beide. Ich mag das Bling des 99 Classics und ich mag das elegante Understatement des 99 Neo. Auffallen wird man mit beiden, denn obwohl der Neo etwas weniger flasht, ist er doch anders genug als der Mainstream, um zu sagen: „Guckt mal, ich bin Individualist!“

Neutrality, baby

Und nun zum interessanten Teil: Wie klingt der 99 Neo? Und ist er hörbar anders als der 99 Classics? Nun, er klingt gut und er ist anders. Überraschend anders. Ich hatte mir erwartet, dass die beiden Kopfhörer einander sehr ähnlich sein würden, und in ihrer Grundabstimmung sind sie das auch, aber im Detail sind das doch zwei ziemlich verschiedene Hörer. Was beim 99 Neo sofort auffällt und sich nach längerer Einspielzeit noch verstärkt: Er hat eine deutlich breitere Bühne, stärkere Höhen und insgesamt eine mehr in Richtung Neutralität tendierende Klangcharakteristik. Der Bass ist stark und massiv wie beim 99 Classics und geht ebenso tief in den Keller, aber dank der betonten Höhen und einer leichten Zurücknahme bei den Mitten klingt er gleichmäßiger. Er ist freilich kein Studiokopfhörer – Gott sei Dank! Er macht Spaß und hat eine ganz eigene Soundsignatur, aber er ist ein bisschen „kälter“ oder „flacher“ als der Classics. Ich finde das toll, aber andere könnten den wärmeren Sound des Classics bevorzugen. Am besten, man holt sich beide und vergleicht dann intensiv.

Ich rede hier nicht von Frequenzkurven und anderem Ingenieurszeug, sondern von den Eindrücken, die ich als kleiner unbedeutender Hi-Fi-Fan mit 30 Jahren Erfahrung auf dem Gebiet habe. Für MICH klingt der Neo ein bisschen weiter in Richtung Audiophilie getrimmt, ein bisserl weniger als Spaßhörer abgestimmt – was wiederum Leuten wie mir großen Spaß macht. Ihr seht (und hört hoffentlich): Hi-Fi ist subjektiv. Viele Reviewer haben zum Beispiel geschrieben, der 99 Neo habe eine stärkere Bassbetonung als der Classics und der Classics reiche weiter in die Höhen. Ich höre es genau umgekehrt. Der Classics ist ein bisschen basslastiger und „spaßiger“ und der Neo ist transparenter.

I'm going mobile

Dass der Meze 99 Neo vor allem für den mobielen Einsatz gedacht ist, merkt man am Widerstand, der mit 25 Ohm noch mal niedriger ist als beim Classics (32 Ohm). Das heißt, dass der Neo noch leichter an Smartphones zu betreiben ist und mehr Lärm macht. Ein eigener Kopfhörerverstärker kann zwar nicht schaden, ist aber bei diesen Ohm-Zahlen nicht nötig. Ich habe den Neo am Handy, am PC und an meiner Anlage getestet, und schon am Smartphone klingt er voll und sehr laut. Natürlich klingt er an einem System mit einem echten Kopfhörerverstärker noch mal besser, aber das tut jeder andere Kopfhörer dieser Welt auch. Und der Qualitätsgewinn ist zwar hörbar, aber nicht unbedingt den Aufpreis und das zusätzliche Gepäck eines eigenen Smartphone-Kopfhörerverstärkers wert. Der Meze macht das schon, da braucht niemand viel Kohle für Zusatzgeräte ausgeben.

Ein Tipp: Wer viele Computerspiele spielt oder Filme guckt, sollte eher zum Neo als zum Classic greifen, denn die Bühne und Ortbarkeit sind auf dem Neo größer und besser. Wer eher mit sanftem Jazz entspannen möchte, ist mit dem insgesamt etwas harmonischer wirkenden Classics besser bedient.

Hörbeispiele

Bruce Springsteen: „Meeting across the River“ (CD). Wir sind in Harlem und es hat 45 Grad im Schatten. Randy Becker sitzt zwei Stockwerke tiefer auf einem Balkon und spielt Trompete. Roy Bittan spielt in unserem Zimmer Klavier. Becker hört das Klavier und jammt mit Bittan. Garry W. Tallents Bass steigt ein und Bruce Springsteen fängt an zu singen. Das alles wirkt sehr realistisch und physisch, eine Sternstunde für den 99 Neo. Die ganze „Born to run“-Platte kommt super rüber. Der Meze ist bei Springsteens Wall of Sound richtig zuhause.

Fleetwood Mac: „Woman of 1000 Years“ (Tidal Streaming, MQA). Meine Güte, ist das schön! Der 99 Neo bringt den Teppich an akustischen Gitarren so flockig-schwebend rüber, wie es gedacht ist und Danny Kirwans Stimme wirkt so verletzlich und geisterhaft, wie ich sie sonst nur auf sehr guten Standboxen gehört habe. Die Percussion ist super deutlich und klar zu hören und John McVies Bass arbeitet schön getrennt im Untergrund, ohne die Mitten zu zermatschen. Hervorragend!

Ryan Adams: „New York, New York“. Adams Versuch, die Doobie Brothers zu channeln, funktioniert auch mit dem 99 Neo als Wiedergabegerät bestens. Ein schöner, voller Sound, aus dem man doch die einzelnen Komponenten heraushören kann. Ich muss andauernd die Augen schließen, da die Musik mich einfach „übernimmt“. Toll. So muss das sein.

Wilco: „Misunderstood“ (Vinyl). Das Feeback-Intro wirkt hübsch dreckig und „live“. Das Piano hat den in diesem Song gewollten „Mono-Aufnahme-von-1965“-Charakter. Die Gitarren, akustische wie elektrische, wirken lebhaft und glaubwürdig. Ich bin völlig zufrieden.

Pro: Toller geschlossener Kopfhörer mit unverwechselbarem Design und hoher Materialqualität. Es ist schwer, um den Preis von 249 Euro einen besseren zu finden.

Contra: Nur ein Kabel beigelegt.

Fazit: Meze Audio bietet nach dem 99 Classics mit dem 99 Neo erneut einen tollen Kopfhörer zu einem angemessenen Preis an. Der Neo ist ein bisschen neutaler als der Classics und damit vor allem für Multimedia-Konsumenten vielleicht die bessere Wahl als der Classics, der eher für reine Musik-Fans gedacht ist. Jedenfalls erneut ein tolles Produkt aus Rumänien, das man als Fan guter Tonwiedergabe auf dem Radar haben sollte. Meze geht in die richtige Richtung.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Zaungast_01

Zaungast_01 bewertete diesen Eintrag 04.02.2018 09:42:52

Isra Keskin

Isra Keskin bewertete diesen Eintrag 03.02.2018 22:20:48

Noch keine Kommentare

Mehr von Bernhard Torsch