"Kauft nicht beim Juden" 2.0? Zur Kennzeichnungspflicht von Produkten aus jüdischen Siedlungen

Zufriedene Mitarbeiter oder ausgebeutete Kolonisierte?

3 von 26.000 palästinensischen Beschäftigten, die in Betrieben jüdischer Siedlungen arbeiten. Und demnächst vielleicht weniger zu tun haben werden.

Scheint es auch das Gleiche….ist`s doch noch lange nicht dasselbe.

China hat 1950 Tibet besetzt und sich offiziell einverleibt. Nach dem Aufstand der Tibeter 1959 und der Flucht des Dalai Lama wurden von den „Roten Garden“ der „Kulturrevolution“ fast alle tibetischen Kultur- und Religionsstätten zerstört. Tibet wurde aufgeteilt, der Norden und Westen stückweise verschiedenen chinesischen Provinzen zugeschlagen.Nur der südliche, an Indien und Nepal grenzende Teil wurde als „Autonomes Gebiet Tibet“ nicht zerschlagen, durch gezielte massive Ansiedelung von Han-Chinesen ist mittlerweile aber auch dort die Bevölkerungsmehrheit chinesisch.

Menschenrechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit werden den Tibetern nach wie vor vorenthalten.

Die Türkei hat im Verlauf des Zypernkriegs 1974 den Norden von Zypern besetzt und hat dort nach massiven ethnischen Säuberungen (fast alle Zyperngriechen mussten in den Süden fliehen) die „Türkische Republik Nordzypern“ ausrufen lassen. EineMarionette von türkischen Gnaden, diebis heute eben nur von der Türkei anerkannt staatlich anerkannt wird.

Im Falle Tibets wie Nordzyperns wird die Unrechtmässigkeit der jeweiligen de-facto Annexion/Schaffung eines Protektorats durch die internationale Staatengemeinschaft festgestellt.  So ist die EU der Auffassung, dass mit dem Beitritt Zyperns zum vereinten Europa selbstverständlich auch dessen Nordteil mit dazu, also zur EU gehört.

Im Falle Tibets ist man kleinlauter:

Beijedem Besuch eines westlichen Staatsgastes in Peking kann man das peinliche Geeiere zwischen lukrativen Geschäftsinteressen und der lästigen Pflicht des Einklagens von Menschenrechten beobachten.

Eifrigem Handel stehen letztere nicht im Wege, inzwischen finden sich mehr und mehr Produkte in Regalen, Einkaufswagen und Haushalten hierzulande, die als Herkunftsbezeichnung „Made in China“ tragen.

Und„beim Türken“ nebenan besorgt man sich völlig selbstverständlich das leckere Obst, den Schafskäse und den guten „Chai“. „Made in Türkiye“ steht auf der Verpackung.

Niemandem kam es bisher in den Sinn, China oder die Türkei darauf zu verpflichten, exportierte Waren, die aus Tibet oder Nordzypern kommen und von dort angesiedelten Han-Chinesen oder Festland-Türken produziert worden sind, als solche für den Verbraucher erkenntlich gesondert zu kennzeichnen.

Auf diese Idee kam man bislang ausschliesslich im Falle Israels:

Am11.11. beschloss die EU-Kommission, dass eingeführte Produkte, die in Betrieben jüdischer Siedlungen im Westjordanland hergestellt wurden, nicht mehr als „Made in Israel“ gelabelt werden dürfen, sondern gesondert, mit ausdrücklichem Vermerk ihres Herkunftsortes, auszuweisen seien.

Völlig unabhängig von der jeweiligen persönlichen Einstellung zur israelischen Siedlungspolitik (die in keinem Land so umstritten ist und kontrovers diskutiert wird wie in Israel selbst) erfüllt dieses selektive Vorgehen der EU die Definition von Diskriminierung (lat: discriminare = absondern, unterscheiden).

Wer nun meint, trotzdem könne man bei der Bezeichnung von tatsächlichem oder vermeintlichem Unrecht ja mal irgendwo anfangen, der muss sich fragen lassen, wieso ausgerechnet bei Israel.

Während sich China mit Tibet und die Türkei mit Nordzypern de facto Gebiete einverleibt oder dort Protektorate geschaffen haben, die zuvor oder zumindest in ihrer Geschichte eigenständig waren, ist dies bei den umstrittenen Gebieten im Westjordanland nicht der Fall. Esgab nie einen Staat „Palästina“, und als ein solcher neben Israel entstehen sollte, wurde dies abgelehnt.

Was man wollte, war das Verschwinden Israels.

Mit der Folge der bekannten Kriege.

Nun hat Israel bewiesen, dass es durchaus Lage ist, im Verlauf dieser Kriege erobertes Land zurückzugeben, nach der Formel „land for peace“:

Dashat — auch wenn es nur für einen „kalten Frieden“ reicht — mit Ägypten funktioniert, das nach Ausscheiden aus der arabischen militärischen Phalanx den Sinai zurückerhielt.

UndIsrael hat bewiesen, dass es auch willens ist, die Rückgabe von Gebieten auch gegen den Widerstand dort mittlerweile angesiedelter Israelis durchzusetzen:

Eswar der Hardliner Sharon, der ebendies in Gaza durchsetzte:

8000Siedler wurden in 2005 von der israelischen Sicherheitsorganen gegen deren gewaltlosen Widerstand aus ihren Siedlungen geholt.

Dass es nach dieser vollständigen Räumung beständig Raketen hagelte aus Gaza, hat die Perspektive eines israelischen Rückzugs aus dem Westjordanland nicht wahrscheinlicher gemacht…

Istes tatsächlich allein Israels Schuld, dass es mit der palästinensischen Staatlichkeit bisher nichts geworden ist?

Und, Frage an das „gute“ Europa:

"Die" Siedlerim Westjordanland sind ja kein monolithischer „böser“ Block.Nurdie Minderzahl versteht sich als „messianisches Werkzeug“, um „Samaria und Judäa“, jüdisches Kernland in biblischen Zeiten, aua Landnahme „heimzuholen“.

Fürdie Mehrheit von ihnen ist es schlicht die Chance auf bezahlbaren Wohnraum in einem Israel, welches aufgrund des Zustroms von Zuwanderern aus allen Nähten platzt.

Und sind das eben nicht auch nicht wenige aus einem Europa, das „seinen“ Antisemitismus nicht in den Griff bekommt?

Kein „Billy“ für Casablanca

Nun gibt es tatsächlich ein Volk, dem gegen der erklärten Zusage eines selbstbestimmten und -verwalteten Staates jede Perspektive auf eine Zukunft vorenthalten wird:

EinGutteil der Sahauris (170.000) vegetiert in der Wüste in Flüchtlingslagern, ohne Rückkehrrecht in die 85% ihres Landes, die sich Marokko seit 1975 nach dem „Grünen Marsch“ einverleibt hat:

Denwirtschaftlich interessanten Küstenstreifen von West-Sahara.

Dafür, dass auch alles so bleibt, wie es Marokko mit militärischer Gewalt durchgesetzt hat, sorgt der „berm“:

Ein 2700 Kilometer langer bewachter Wall, der längste Minengürtel dieser Welt, mit Sperranlagen und Forts gesichert, längs durch West-Sahara.

Wer ihn zu überwinden versucht, riskiert Leib und Leben.

Selbstredend ist die Bevölkerungsmehrheit des von Marokko einverleibten Gebiets längst marokkanisch, die dort verbliebenen Sahauris sind in der eindeutigen Minderzahl gegenüber den inzwischen dort angesiedelten Marokkanern(120.000 / 300.000).

Die nach dem UN-Friedensplan vorgesehene, längst fällige Abstimmung der Bevölkerung, mit der diese ihre politische Zukunft selber bestimmen könnte, wurde von Marokko bisher hintertrieben.

Angesichts der mittlerweile geschaffenen demographischen Fakten könnte es sich eine solche Abstimmung inzwischen allerdings durchaus „leisten“…

Es gibt in der EU gerade mal ein Land, das nicht bereit ist, beim weltweiten Beschweigen dieses Unrechts mitzumachen: Schweden.

Wegen seiner Planungen, das marokkanisch besetzte Gebiet als eigenen Staat Westsahara anzuerkennen, wurde letztens IKEA als schwedisches Unternehmen abgestraft:

Kurz vor der geplanten Eröffnung seines ersten Möbelhauses im marokkanischen Casablanca Anfang Oktober wurde von den marokkanischen Behörden unter fadenscheinigen Begründungen die Genehmigung zurückgezogen:

Ein Sprecher der marokkanischen Regierung bestätigte, dass dies eine Reaktion darauf sei, dass Schweden die marokkanischen Interessen „systematisch“ verletze.

Ehre den einsamen Wikingern…wen aber sonst interessiert Westsahara?

Schlimm genug, aber:Wenn es wenigstens bei dieser Ignoranz bliebe.

Viel schlimmer:

Die EU selber bereichert sich aktiv an geraubtem Gut.

2013 wurde das ausgelaufene Fischereiabkommen mit Marokko nach anfänglichem Zieren dann doch verlängert.

Damit dürfen europäische Trawler wieder und weiter auch die Küste Westsaharas  —  um deren fischreichen Gründe geht es  —  ausbeuten.

Marokko erhält dafür 30 Millionen Euro.

Und, noch wichtiger, die de facto Anerkennung durch die EU für die Einverleibung von Westsahara.

Nach der Logik des heute von der EU-Kommission zu Israel ergangenen Verdikts müsste auf der Fischdose also nicht nur stehen „Von Marokko geklaut und weiterverhökert“, sondern auch der Zusatz:

„Von der EU selber den Sahauris gestohlen“.

Natürlich wird man auf eine solche Deklaration der Herkunft lange warten können…

Israel als der Jude unter den Staaten?

Unbestritten ist es eine gute Sache, wenn der Verbraucher über die Herkunft eines angebotenen Produkts informiert wird.

Aber es ist diese heuchlerische Scheinheiligkeit einer EU, die sich einerseits moralisch gibt, andererseits aber ohne Probleme als Hehler bzw. aktiver Profiteur betätigt, die in Israel das Gefühl weckt, als jüdischer Staat wieder mal der „Sonderbehandlung“ zu unterliegen.

Ein Gefühl, das von vornherein falsch ist?

Sie sollte schon zu denken geben, die Diskrepanz an Aufmerksamkeit, die Sahauris einerseits und Palästinensern andererseits zuteil wird:

Bemüht man die weltgrösste Suchmaschine mit den Schlagworten „Westsahara“ und „Solidarität“, werden 17.700 Ergebnisse angezeigt („Sahauris“ und „Solidarität“ ergibt magere 323….), bei „Palästina“ und „Solidarität“ erhält man mit satten 165.000 Resultaten fast das zehnfache…..

Es ist gerade diese peinliche Fixierung auf Israel und die Frage nach den Beweggründen dafür, die (nicht nur in Israel) manche Frage zum Vorgehen der EU aufwirft:

Dieses aktuelle „Kauft nicht beim Juden!“, hat es tatsächlich so gar nichts mit seiner Blaupause zu tun?

Das timing ist immerhin perfekt:In Israel werden seit mehreren Wochen jeden Tag Juden deswegen mit Messern und Hackebeilen angefallen, weil sie Juden sind:

„Itbah al yahud“, „Schlachte die Juden“, so der passende Kampfruf.

Man sollte in Deutschland verstehen, was damit gemeint ist.Kann eigentlich nicht so schwer sein:

In der Pogromnacht vor 77 Jahren zog man nach getaner Tat, sprich Abfackeln der Synagogen, mit einem munteren „Wenn`s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht`s nochmal so gut“ durch die Gassen.

Gerade eben gedachte Deutschland tränenreich und selbstverliebt dieser Ereignisse.

Ein überzeugendes Zeichen der Solidarität, wenn man exakt 2 Tage später ein aktualisiertes „Kauft nicht beim Juden“ mit auf den Weg bringt.

Quelle des blogfotos:  times of israel

Weiterführend:

http://www.taz.de/!5235120/

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/34973489_kw26_westsahara/205850

http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-02/leserartikel-maghreb-menschenrechte

https://www.greenpeace-magazin.de/das-vergessene-volk

http://www.taz.de/Marokko-vertreibt-Fischer/!5105288/

http://www.taz.de/Westsahara-Gemuese-bei-Rewe--Co/!5062779/

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23865

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Spinnchen

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