Blog-Bild: "Candy"

Paralysiert schlendere ich durch die engen Gassen der Innenstadt. Lasse meine Beine gehen. Ich lasse mich auf die beiden ein. Egal, wohin sie mich heute führen. Der erneute Schock sitzt zu tief, um mir noch viele Gedanken darüber zu machen, wohin ich jetzt gehen soll. Vorbei beim Hotel Orient, das mir ein leichtes Lächeln entlockt. Vorbei beim Kunstforum, wo meine Minis im Shop stehen. Richtung Stepahnsplatz, wo es voll von Menschen wie immer ist.

Mein Koffein-Spiegel sinkt. Kurzentschlossen nehme ich auf einen der wenigen freien Sitzplätze im Gastgarten Platz. Cafe Chattanooga am Graben, draußen unter einem riesigen Schirm und einem glühenden Heizstrahler. Millionen von Touristen hasten vorüber. Ausgerüstet mit Fotoapparat und Rucksack. Spaziert da irgendwer noch mit Stadtplan aus Papier durch die österreichische Metropole? Im Augenblick entdecke ich viele aufgespannte Rechenschirme. Der bedeckte Himmel lässt ein paar Tropfen auf das Treiben fallen. Versuche hier in dieser anonymen Ecke ein wenig zur Ruhe zu kommen.

Zwei massive Ereignisse katapultierten mich erneut in ein tiefes Loch. Bin ich denn eine Billardkugel? Ein schmerzhaftes unbeschreibliches finsteres Nichts. Das eine Geschehnis hat mich ohnehin bereits seit gut einer Woche in Schockstarre versetzt. Verzweifelt suchend nach entsprechenden Emotionen. Vergeblich. Es kommt keine Wut, kein Zorn, lediglich sprachlose Stille. Leere gedankenlose ohrenbetäubende Ruhe. Ruhe, welche mich ängstig, mich erneut klein macht, mich einengt.

Weshalb tragen fast alle Leute, egal ob Mann oder Frau, ihren Schal  gleich gebunden um den Hals?

Das Schreiben ist mühsam. Nicht wie sonst, leicht fließend. Die Gedanken plumpsen nur sporadisch hervor. Gequälte eingesperrte Schmerzen. Die Regenschirme sind wieder abgespannt. Die Menschen hasten weiterhin vorbei. Die Rot gekleideten KellnerInnen schleppen volle Tablette vom Lokal, quer durch die bewegliche Masse an Leuten, die unaufhörlich vorüber zieht. Aufgetürmte Pommes Frites unter denen sich riesige Wiener Schnitzel verstecken. Knapp neben mir geht ein Glas auf dem Steinboden zu Bruch. Unbeeindruckt von dem Geschehen, starrt der beinahe getroffene Gast auf die gegenüberliegende Auslage. Ich bin ebenso kaum abgelenkt, durch das gefallene Glas. Meine anhaltende Passivität, hervorgerufen durch die Erschütterungen der letzten Tage lässt mich gleichfalls unberührt starren.

Starren auf die noch nicht beschriebenen Zeilen. Werden sie sich noch füllen? Die Scherben werden aufgekehrt. Feinsäuberlich landen sie auf einer Schaufel. Meine zerbrochenen Splitter quälen mich im Herzen. Sie schlitzen mir die gesamten inneren Organe auf. Zerbrechen, verletzen, leiden, aufkehren, wegräumen. Wunden versorgen. Die dünne, vernarbte Haut schonen. Schmerzen verwinden, ertragen. Warten, geduldig sein. Die noch heilen Stellen kräftigen. Kraft, die mit zwei massiven Schlägen, bis auf ein Minimum geschrumpft ist. Bestürzung macht sich mehr und mehr breit. Klaut mir die Energiereserven.

Ein wenig gestärkt von den mitgenommenen Worten meiner Allerliebsten. Sanft umarmend streicheln sie ein wenig meine Regungslosigkeit. Meine Fassungslosigkeit. Wieder und wieder auf dem dreckigen Boden zu landen. Zerbrochen, zerbröselt, zerstört. Verstört. Glück in der Liebe, Pech im Spiel. Und umgekehrt.Beides versagt auf voller Länge.

Eine unendliche Liebe ist mit einem Hieb ins Nirgendwo geflohen. Ein unendliches finanzielles Dilemma folgt den strickten Regieanweisungen eines unaufhörlichen Albtraumhorrorfilmszenarios. Ein Film der mit Sicherheit wieder die goldene Himbeere als einzige Auszeichnung erhält. Klappe die Zigste, Take das Zigfache. Das Déjà-vu der Dramen nimmt kein Ende. Trotz der angestrengten Versuche, die eingetretenen Pfade definitiv zu meiden. Wege, die ins Nichts führen. Wege, die immer wieder vor einer riesigen Mauer enden. An der ich mir meinen Schädel zu Tode schlagen möchte. Damit endlich Schluss ist. Schluss mit „Zurück an den Start.“ Wo ist eigentlich mein Startpunkt? Verfange ich mich beim Absturz an einer Zwischenstation? Oder lande ich, so wie im Augenblick fühlend, abermals im grauenhaften Loch des Nichts. Ist es endlich das letzte Loch, wie meine Allerliebste meinte? Zumindest, welches das mein Loch in meiner Geldbörse betrifft.

Das andere, welches mich weit mehr im Herzen schmerzt, mich erstarren lässt, mit diesem bin ich ohnehin völlig alleine. Verdutzt stehe ich da. Lecke die letzten süßen Tropfen aus der noch so nahen Vergangenheit von meinen Fingern.

Das Schicksal spricht zu mir: "Da hast Du Dein Eis, Deine Tüte mit all Deinen Lieblingssorten.“ Nimm es nur, es gehört Dir.“ Verführerisch steckt es mir die bunten Kugeln unter die Nase. Zaghaft, mit glücklichen Augen, Augen die ich ewig nicht hatte, greife ich nach dem Stanitzl. Gleich, ob es eine Sorte ist, oder unterschiedliche Geschmacksrichtungen. Meine Lippen fühlen bereits beim Anblick, den unbeschreiblichen Genuss. Nach all den Jahren der Gefühlskälte, wieder ein himmlischer Augenblick. Sehnsüchtig, fast ungläubig starre ich auf die Eistüte. Das Schicksal fordert mich weiter lüstern auf, endlich zu zugreifen. Meine Hand berührt zitternd bereits die Waffel. Ein geschmolzener Tropfen rinnt über meinen Daumen, lässt mein Herz vor Freude höher schlagen.

Plötzlich, im Moment des Zupackens, greife ich ins Leere. Da ist nichts mehr. Kein Stanitzl, kein Eis. Erneut suche ich verzweifelt danach zu fassen. Weg, es ist einfach verschwunden. Unfassbar. Aus der Ferne höre ich höhnisches Gelächter. „Es ist noch nicht soweit, hähä, Du bist noch nicht bereit, hähä!“ Das Schicksal schmeißt mir die Tüte mit dem fast komplett geschmolzenen Eis, verächtlich vor meine Füße. Ich stehe da. Sehe zu. Sprachlos, wortlos, mir schnürt es die Kehle zu. Bewegungslos mit leblosen Augen sehe ich auf den zerrinnenden feuchten Fleck. Die bunten Kugeln zerlaufen ineinander. Die Tüte saugt sich voll, versinkt glitschig in der Sauce. Für einen kurzen Moment möchte ich auf die Knie gehen. Den Rest mit den Fingern retten. Wenige Reste in der Tüte auffangen.

Mein Körper reagiert nicht auf meine Gedanken. Ich stehe da. Akinetisch, unbeweglich und gelähmt. Das schallende, spöttische Gelächter ist längst verklungen. Auf dem Boden, wo die Eistüte mit all seiner verlockenden fruchtigen Frische gelegen ist, klafft ein dunkler Fleck. Ein weiteres dunkles Mal auf meiner Seele.

Die Eissaison hat wohl für mich noch nicht begonnen. Vielleicht waren es auch lediglich die falschen Sorten. Verbotene Früchte. Es fehlen mir dazu die passenden höflichen Worte.

Du hinterhältiges Schicksal. Halte mir niemals wieder so nah etwas Süßes unter meine Nase. Lieber verzichte ich für immer darauf. Bevor ich mich nochmals von Dir, derart demütigen lasse. Und dann, und dann, mein liebes Schicksal, wirst Du mir es auf einem silbernen Tablett servieren. Alle meine Lieblingssorten. Bunte Kugeln platziert auf einer eleganten Eis-Schale. Garniert mit frisch geernteten Früchten, samt karamellisierter Waffel. Einen langstieligen, auf Hochglanz polierten Löffel. Auf meinem Schoß wirst Du eine weiße, edle Stoffserviette legen. Kein Tropfen soll vergossen sein. Und wehe, du wagst es mir Schlagobers zu kredenzen. Ich brauche dieses fette Zeug nicht.

Es ist ebenso entbehrlich, wie Du selbst, Du eiskaltes Schicksal. Du welches mir erneut gefärbte Eiswürfel serviert hast. In einer geschmacklosen, viel zu dünnen Tüte, die bei mir ohnehin Stanitzl heißt. Meine Beine brichst Du nicht erneut, auf Deinem Glatteis.

Der nächste warme Sonnenstrahl lässt Dich ohnedies verdampfen. Du, Eisiges Déjà-vu, Du!

Déjà-vu - Spliff (1982)

©Bluesanne sagt: "Vielen Dank fürs Lesen"

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