Der gutaussehende Chefredakteur – eine Klarstellung

Der gutaussehende Chefredakteur, dessen Bild mir, prominent platziert, als erstes ins Auge sticht, wenn ich den Newsletter der entsprechenden Zeitung öffne, hat mit meiner Entscheidung eben jener Zeitung meine Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, nichts zu tun. Nicht einmal, wenn ich seinen wohlklingenden Namen, der so sanft über die Zunge rollt und den Gaumen kitzelt, leise für mich ausspreche. Einmal. Allerhöchstens zwei Mal. Und auch nur, wenn ich alleine bin und es keiner merkt. Und selbst das würde ich vehement bestreiten. Denn schließlich bin ich eine Aufklärungs-Nachgeborene und lasse mich von solch Äußerlichkeiten nicht beeinflussen. Auf den Inhalt kommt es an, wenn man sich für eine Zeitung entscheidet, und dass man sich zu entscheiden hat, das liegt doch wohl auf der Hand. Schließlich muss man informiert sein.

Nicht nur um mitreden zu können, sondern um sich eine Meinung bilden zu können, denn schließlich darf man als Souverän alle vier bis fünf Jahre einmal mitreden. Immerhin. Und um dieses Amt auch entsprechend ausfüllen zu können, muss man sich gut vorbereiten. Dann kann auch keiner sagen, man hätte es nicht gewusst. Man hätte es gewusst, hätte man sich jeden Tag eine Tageszeitung, zumindest eine, einverleibt und zur Zusammenfassung eine Wochenzeitung. Und das hat, wie gesagt nichts mit dem gutaussehenden Chefredakteur mit dem klingenden Namen zu tun, der über die Zunge rollt und den Gaumen kitzelt.

Dieser Entscheidung, die gar nicht leicht zu treffen ist, welcher Zeitung man den Vorzug gibt, innerhalb dem überbordenden Angebot. Objektive Kriterien sind die differenzierte Berichterstattung, eine breitgefächerte Meinungsvielfalt, die Sachlichkeit der Darstellung und die Verlässlichkeit der zugrundeliegenden Quellen. Sie darf sich keineswegs in der Blattlinie einer extremen Gruppierung zuwenden, sondern sollte unabhängig von jedweden parteipolitischen Einfluss sein. Bereits hier beginnen die Schwierigkeiten, sieht man sich die finanziellen Verflechtungen zwischen Parteien und ihren nahestehenden Organisationen bzw. Unternehmen an. Aber es gibt sie noch. Allen voran natürlich der Augustin oder das Eibischzuckerl. Diese beiden Zeitungen, die man beinahe vor jedem Supermarkt käuflich erstehen kann, haben im Bezug darauf  wohl die größte Unabhängigkeit, denn wirklich unabhängig kann nur sein, wer nichts mehr zu verlieren hat. Dafür haben sie auch keine Lobby und werden sonst nicht ernst genommen.

Ab und zu erstehe ich eine und lese sie auch. Aber sie haben keinen gutaussehenden Chefredakteur, was ich nur anmerken möchte, damit niemand enttäuscht ist, und nicht, weil das meine Meinung in irgendeiner Weise beeinflussen würde. Obwohl ich ja langsam eben jene Wochenzeitung im Verdacht habe damit wirklich marketingwirksam punkten zu wollen. Ausgehend davon, dass Frauen angeblich mehr lesen als Männer (ob das nur für Bücher oder auch für Zeitungen gilt, kann ich natürlich nicht sagen), könnte ich mir durchaus vorstellen, dass das Bild des Chefredakteurs gerade die weibliche Leserschaft davon überzeugen soll sich für eben jene Zeitung zu entscheiden. Ich bin auch überzeugt davon, dass  dieses Vorgehen bei manchen meiner Geschlechtsgenossinnen keineswegs vergeudete Liebesmühe ist, dass sie sich eben davon beeinflussen lassen. Wie viele verbleiben nicht an der Oberfläche und entscheiden nach Kriterien, die eigentlich gar keine sein dürften. Doch mir könnte das niemals passieren, denn mich leiten Objektivität und Rationalität. Nichts sonst, und nichts anderes darf es sein. Aber ich kann jetzt nicht mehr weiterschreiben, denn ich sehe, dass gerade der Newsletter besagter Wochenzeitung eintraf. Da muss ich sofort schauen was sie diese Woche schreiben, wobei ich das Bild des gutaussehenden Chefredakteurs selbstverständlich ignoriere und auch seinen wohlklingenden Namen, der so angenehm über die Zunge rollt und dem Gaumen schmeichelt.

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Paradeisa

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fischundfleisch

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