„Das ist doch keine Arbeit!“, war der stehende Satz in ihrer Familie. Als sie ganz klein war, wurde sie auf ihren Stuhl gesetzt, während die Eltern das machten, was Arbeit war. Manchmal kam sie auch zu den Großeltern. „Die haben ja schließlich nichts zu tun“, hieß es da, „Die können ganzen Samstag, Sonntag auf Gaude fahren, während wir schuften. Da können sie sich auch genauso gut ums Kind kümmern. Das ist doch keine Arbeit!“ Und deshalb kam sie fast immer zu den Großeltern, wenn es ging. Auch auf Urlaub fuhren sie mit ihr, manchmal. Auf Kur, und da saß sie dann, mitten unter den alten Leuten. Die anderen Kindern fuhren mit ihren Eltern auf Urlaub. Deshalb konnte sie sehr bald schnapsen und tarockieren und Patiencen legen. Dann kam sie in die Schule, und das war gut. Da war sie den ganzen Tag aus dem Weg, mit Hausaufgabenbetreuung. „Das ist doch keine Arbeit!“, hieß es, wenn die Noten nicht entsprachen, „Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten zu lernen, dann müssten wir jetzt nicht so viel arbeiten. Aber wir hatten sie nun mal nicht. Wir mussten immer arbeiten, aber Du, Du sitzt nur rum und müsstest Deine Nase in die Bücher stecken. Stattdessen träumst Du vor Dich hin.“

Also strengte sie sich an, warum auch immer. Wenn das was sie machte, doch keine Arbeit war, dann hatte es auch keinen Wert. Wozu machte sie es dann? Vielleicht, weil sie doch hoffte, immer wieder aufs Neue, dass ihr irgendeine Anerkennung zu Teil würde. So machte sie Matura. „Gott sei Dank, das haben wir geschafft“, hieß es nur. Es war zur Kenntnis genommen worden. Zumindest das. Dass sie sich in dieser Nacht so betrunken war, dass sie nicht mehr nach Hause kam, das fiel nicht einmal auf. Die Eltern waren müde. Und als sie das erste Studium abschloss, da war niemand da. Das wurde nicht zur Kenntnis genommen. Nicht einmal das. Beim zweiten war es ein wenig anders. Da waren die Eltern da. Allerdings kamen sie zu spät, wie immer, denn die Arbeit wird erst im letzten Moment unterbrochen. „Jetzt könntest Du endlich was arbeiten!“, hieß es dann. Und sie strengte sich an. Vielleicht kam doch noch was, aber was sollte da noch kommen. Aber es war dann doch nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte, denn sie wurde Mutter. Zwei Mal.

Sie beschloss sich, der vorherrschenden gesellschaftlichen Strömung trotzend, den Kindern zu widmen. Zumindest die ersten drei Jahre. „Aber wann gedenkst Du wieder was zu arbeiten?“, wurde sie dezent jedes Mal gefragt, wenn das Kind schon sechs Monate alt war, „Es wäre doch schon Zeit. Ich kenne andere, stell Dir vor, die gehen schon nach acht Wochen wieder arbeiten.“ „Und was machen sie mit den Kindern?“, fragte sie zurück. „Du gibst sie zu einer Tagesmutter“, war die Antwort. „Ich gebe also meine Kinder zu einer Tagesmutter, damit die etwas macht, was dann Arbeit ist, aber wenn ich es mache, keine?“, fragte sie. „Na ja, so kannst Du das nicht. Wozu hast Du schließlich studiert, wenn Du dann doch nichts anderes tust als bei den Kindern zu Hause zu verblöden?“, wurde sie gefragt. Und sie machte weiters lauter Dinge, die keine Arbeit waren. Sie kümmerte sich um die Kinder und um den Haushalt. Aber am Abend, wenn andere von der Arbeit müde in den Sessel sanken, da wagte sie es nicht, denn sie hatte ja schließlich nichts gearbeitet. Aber wenn sie nichts arbeitete, dann durfte sie auch nicht müde sein. Wovon auch? Sollte sie sich eingestehen müssen, dass sie müde war, vom Nichtarbeiten?

Und so verlernte sie zu schlafen, als hätte sie keine Berechtigung zu ruhigem Schlaf. Dann begann sie wieder zu arbeiten, richtig zu arbeiten. Halbtags. Wieder nur ein halber Tag Arbeit. Später wurde es mehr. Aber egal was sie machte, sobald es begann ihr Spaß zu machen, hörte sie auf, denn wenn etwas Spaß macht, dann kann es keine Arbeit sein. Und wenn es keine Arbeit ist, dann ist es nichts wert. Nichts war was wert, von dem was sie getan hatte. Ihr ganzes Leben war eine einzige Aneinanderreihung von Dingen, die nichts wert waren, weil es keine Arbeit war. Und wenn ihr Leben nichts wert war, dann war auch sie nichts wert. Letztens saß sie da, und wollte einen Lebenslauf verfassen. Nach langem Überlegen stand da ein Satz: „Das war alles keine Arbeit!“ Das war aber nicht brauchbar. Deshalb zerknüllte sie den Zettel.

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Bernhard Juranek

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