„What's right?“ fragt Wolfram Weimer in seiner Kolumne im Handelsblatt regelmäßig und ich frage mich anhand dieses Artikels: „Was ist richtig an solch einer Berichterstattung?“. Artikel: „http://app.handelsblatt.com/…/whats-right-ita…/12071374.html

Ich muss gestehen, dass ich bis zu dieser wahrhaft griechischen Tragödie, welche sich geradezu klassisch mit Schuld und Sühne beschäftigt, mich nicht mit dem Hr. Wolfram Weimer auseinandergesetzt habe. Meine nachfolgenden Worte sind also bitte auch weniger als direkte Kritik an seinem journalistischen Schaffen, sondern viel mehr generell an den mitunter dubiosen „Fakten“ und der daraus resultierenden zwiespältigen Berichterstattung im Falle Griechenland zu verstehen, welche in unseren Breiten in den letzten Monaten um sich gegriffen hat und dieser Artikel stellt nur ein exemplarisches Beispiel für mich dar.

1. Absolute vs. relative Werte

Zitat: “Es sind 8866 Euro, so viele Neuschulden macht Italien derzeit – und zwar jede Sekunde! Die Zahlen sind nicht bloß schlecht, sie sind dramatisch. Nach Angaben der italienischen Notenbank hat Italien alleine im Mai 23,4 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Seit Jahresbeginn sind damit die Staatsschulden um sagenhafte 83,3 Milliarden Euro empor geschnellt, bis Ende Mai. Analysten erwarten, dass inzwischen die Marke von 100 Milliarden Euro Neuschulden fürs laufende Jahr klar überschritten ist. Damit hat Italien in einem Halbjahr mal eben das gesamte, neue Rettungspaket für Griechenland auf seinen eigenen Schuldenberg drauf gepackt. Und der ist inzwischen so gewaltig, dass dadurch die Stabilität der Euro-Zone langfristig mehr gefährdet werden könnte als durch Griechenlands Überschuldung.“

Natürlich steht es einem frei eine absolute Größe, wie in diesem Fall 8866 Euro zu wählen. Nur haben solch absolute Zahlen relativ wenig Aussagekraft, deshalb setzt man sie für gewöhnlich in Beziehung zu einer anderen Größe, beispielsweise des BIPs. Die daraus resultierenden allgemeinen Staatsquoten haben zwar im Gegensatz zu speziellen Staatsquoten auch nur eine gewisse Aussagekraft, jedoch wesentlich mehr als nur eine absolute Zahl ohne tiefere Bedeutung.

Warum tut man das überhaupt, kann man sich jetzt fragen? Nun um zu verhindern, dass im Prinzip Äpfel mit Birnen verglichen werden. So lag in diesem Beispiel das prognostizierte BIP der Griechen im Jahr 2014 bei 179.819, hingegen das der Italiener bei 1.634.716 Millionen Euro (1). Setzt man als so einen Vergleich an um die Griechen welche also knapp 1/10 des italienischen BIPs erwirtschaften mit den Italiener zu vergleichen, dann müsste man sagen: „Im Vergleich zu der griechischen Wirtschaft verschulden sich die Italiener mit ungefähr 880 Euro pro Minute“. Also nur knapp 1/10 bzw. es wäre einfacher es einfach in ein Verhältnis zu setzen. Also wie hoch die Verschuldung pro Minute in Prozent, also gemessen an dem BIP ist. Oder auch der Vergleich mit dem griechischen Hilfspaket wird wesentlich weniger dramatischer.

2. Zeitlich statische vs. zeitlich dynamische Dimension

Bleiben wir bei dem Zitat des ersten Beispiels. Es wird festgestellt, dass Italien bereits seit Jahresbeginn 83,3 Milliarden Schulden aufgenommen hat. Natürlich steht es einem auch frei diesen Vergleich zu wählen auch wenn er die Dynamik in der zeiltichen Dimension der Schuldaufnahme damit kaum berücksichtigt. Es wird leider selten darüber gesprochen, dass viele Staaten sehr unterschiedliche Rhythmen wählen bei ihrer Schuldaufnahme, welche von den Märkten entweder angenommen oder abgelehnt werden. So gibt es Staaten welche Schuldscheine ausgeben, welche durchaus einmal 30 Jahre (deutsche Bundesanleihen beispielsweise) laufen können hingegen andere sehr kurzfristige Laufzeiten aufweisen. Es gibt auch Anleihen wo die Zinsen gesammelt werden bzw. wo diese erst am Ende bei der Rückzahlung ausbezahlt werden (deutsche Bundesschatzbriefe Typ A und B). Warum erzähle ich das alles? Nun es wird aus dieser Beschreibung nicht ersichtlich woher diese "hohe" Finanzierung stammt. Sie kann beispielsweise auch zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass gerade der Zeitpunkt eintritt wo gewisse Staatsanleihen fällig werden und deshalb jetzt Zinsen, welche in der Vorperiode nicht entrichtet wurden jetzt zu entrichten sind. Hat man dabei nicht genügend Mittel zur Verfügung muss man sich verschulden.

Ebenso sei nicht zu vergessen, dass die Schuldaufnahme auch für ein ganzes Jahr bereits am Anfang erfolgen kann. Es können Gründe dafür vorliegen, welche anfänglich hierbei noch nicht für einen Externen ersichtlich sind. Womöglich nimmt ein Staat bereits am Anfang einer Periode Schulden auf, weil er sich beispielsweise bessere Konditionen bei Zinsen bzw. Laufzeiten erwartet als beispielsweise in einigen Monaten.

Aus diesen Gründen wird auch normalerweise die Schuldenentwicklung eines Staates über einen längeren Zeitraum und nicht derartig kurzfristig beobachtet wie es in diesem Artikel, meines Erachtens sehr bewusst getan wird.

3. Inlands vs. Auslandsverschuldung und kurzfristige vs. langfristige Schulden

Zitat: „Italiens Schuldenberg ist auf 2.218,2 Milliarden Euro angestiegen. Das sind 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – mehr als doppelt so hoch als das Maastricht-Kriterium der Euro-Zone eigentlich erlaubt. Italien ist zusammen mit Griechenland das prozentual am höchsten verschuldete Land Europas. Nur, dass die absoluten Summen in Italien dramatisch viel größer sind.“

Wie hoch sind die wirklich zu bedienenden Schulden? Das Problem, dass gerade bei der reinen Betrachtung von Schulden im Vergleich zu der Wirtschaftsleistung ein Grundgedanke gerne außer Acht gelassen wird, nämlich dass Schulden nicht gleich Schulden sind.

Zuerst einmal sollte man sich vor Augen halten, dass bei den Inlandsschulden der Souverän, also die Bürger eines Landes, sowohl die Gläubiger als auch die Schuldner darstellen. Denn diese haften für ihren Staat und verleihen Geld an diesen. Es ist also weniger eine Schuldfrage als eine Verteilungsfrage innerhalb des Souveräns. Nämlich wer darf seine Schulden behalten und wer muss dafür bezahlen. Nebenbei ist Italien nach wie vor eines der Länder mit einer hohen Inlandsverschuldung im Gegensatz zu beispielsweise Österreich. Als relativ bekanntes Beispiel für eine hohe Inlandsverschuldung kann man hierbei Japan anführen, welches bei über 240 % Verschuldung am BIP nach wie vor relative niedrige Zinsen bezahlt.

Der zweite Punkt ist wenn man sich nun auf die Auslandsverschuldung konzentriert es eben relevant welche Fristigkeit bei den Schulden vorliegen. Handelt es sich um eher kurzfristig zu refinanzierende Schulden, dann hat der Staat häufiger Probleme seine Refinanzierung zu sichern, ebenso wird seine Planung über längere Zeiträume erschwert.

Weiters kann man sich auch noch die Frage stellen ob die Währung in welche diese Schulden zu bezahlen sind von Relevanz sind. Denn wenn ein Staat in der Lage ist die Währung zu beeinflussen in welcher er seine Schulden zurückzahlen muss, dann stellen Schulden an sich auch ein geringes Problem dar. Denn im Extremfall druckt der Staat einfach seine Schulden weg bzw. reduziert aktiv den Zinssatz, wie es gerade die Amerikaner aber auch die Europäer jetzt mit quantitative easing zeigen.

Deshalb sollten auch Journalisten eher sorgfältig mit solchen Messgrößen umgehen und verstehen, dass dahinter noch viel mehr an Information liegen welche für eine saubere Interpretation von Nöten sind. Ich möchte hierbei schon anmerken, dass ich Verständnis habe, dass die Artikel auch eine gewisse Leserlichkeit aufweisen müssen. Jedoch wenn man solch absolute Aussagen tätigt, dann wäre etwas Sorgfalt meines Erachtens nicht verkehrt.

4. Nicht quantifiziertes Wirtschaftswachstums vs. quantifiziertes Wirtschaftswachstum

Zitat: „Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone hat eine lange Durststrecke ohne Wachstum in 14 aufeinanderfolgenden Quartalen ertragen, jetzt geht es minimal nach oben.“

Es ist „absolut“ richtig wenn man festhält, dass die italienische Volkswirtschaft bereits 14 Quartale hintereinander nicht gewachsen ist. Jedoch schrumpft die italienische Volkswirtschaft immer weniger. So lag 2012 noch bei -2,8 % so erholte sich die italienische Wirtschaft 2014 insofern, dass nur noch -0,4 % vorlagen (2). Natürlich würde diese Information die Behauptung nicht stützen, dass Italien kurz davorsteht wieder ein Wachstum aufzuweisen, da dieses Jahr ein Wachstum von 0,6 % prognostiziert wird. Hierbei ist schon die Frage einmal gestattet ob es daran liegt, dass der Autor einfach ungenau gearbeitet hat oder es bewusst übersehen hat. Ich persönlich kann mich nicht erwehren das Erstere anzunehmen. Denn er wusste, dass es 14 Quartale waren wo die italienische Wirtschaft nicht wuchs aber er übersah die signifikante Verbesserung. Das jemanden bei der Recherche so etwas passiert ist für mich persönlich eher unwahrscheinlich.

5. Gute Länder vs. böse Länder

Zitat: „Das entscheidende Problem Italiens ist die zu geringe Produktivität. Diese liegt heute sogar unter dem Niveau bei der Euro-Einführung 1999. In keinem vergleichbaren europäischen Land ist eine derart negative Entwicklung zu beobachten. Die Analysten der Helaba warnen: „Die Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre haben damit zu einem Lohnstückkostenschub und zu einer erheblichen Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt.““

Es ist natürlich einmal die Frage ob die Lohnstückkosten überhaupt ein guter Indikator für die Produktivität darstellt, aber lassen wir diese durchaus akademische Diskussion einmal außen vor. Nun liegt Italien bei der Entwicklung der Lohnstückkosten im europäischen Vergleich der Jahre 2000-2015 noch eher im Mittelfeld. Länder wie Dänemark, Litauen, Malta, Slowenien, Luxemburg, Ungarn, Lettland, Bulgarien, Estland und Rumänien weisen eine höhere nominelle Steigerung auf (3).

6. Steuermittel vs. Haftung

Zitat: „Die Euro-Partner gewährten in einem ersten Hilfspaket 2010 bilateral Kredite von 52,9 Milliarden Euro, Deutschland übernahm davon 15,2 Milliarden Euro.“

Was in diesem Text nicht erwähnt wird ist die Konstruktion welche dahinter stand. Es wird ein bisschen der Eindruck bei mir erweckt, dass Steuermittel aufgewendet wurden um den Griechen diese Darlehen zu überweisen. Dies war nicht der Fall. Die KFW (Kreditanstalt für den Wiederaufbau) vergab ein verzinsliches und rückzahlbares Darlehen an die Griechen. Für dieses Übernahm die deutsche Bundesregierung lediglich die Haftung (5). Sollten die Griechen also eines Tages ihre Schulden doch nicht bezahlen, würde der deutsche Staat zur Kasse gebeten werden. Noch eine Randnotiz, die Griechen haben bis heute ihre Schulden bisher immer pünktlich bezahlt, ausgenommen die Zahlung des IWF vor knapp einem Monat.

7. Ausgaben vs. Ausgabenquote

Zitat: „Die Renzi-Regierung versucht also, die lahmende Wirtschaft durch staatliche Aufgabenmilliarden anzuschieben, doch das verfängt kaum, erhöht aber die Schieflage der öffentlichen Finanzen immer weiter. Zugleich sind auch die Bankbilanzen angeschlagen.“

Es wird immer wieder erwähnt, dass Staaten wie Italien dazu neigen zu viel auszugeben und mit solchen Sätzen in Artikeln wird diese Annahme sogar noch unterstützt. Jedoch ist hierbei wieder die absolute Zahl (der Begriff „Aufgabenmilliarden“) mit wenig Aussagekraft ausgestattet sondern man sollte eher den Vergleich mit dem BIP wagen. Die Staatsausgabenquote in Italien zeichnet nämlich kein so dramatisches Bild im Vergleich zu anderen Staaten. Italien hat heute eine 6 % höhere am BIP gemessene Staatsausgabenquote als 2005. Finnland hat eine fast 10 % höhere, Dänemark hat 6 %, Frankreich hat 5 %, Irland hat 6 %, Belgien hat 4 % (4).... . Diese ungefähren Zahlen könnte man jetzt noch länger fortsetzen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Staaten in Zeiten von Wirtschaftskrisen ihre Aktivitäten erhöhen und es gibt nach wie vor in der Wirtschaftswissenschaft mehrere Lager welche unterschiedliche Auffassungen zu diesem Thema haben. Nur es ist unverständlich warum man Italien derartig hervorhebt. Es rangiert nicht mal im obersten Bereich bei den Staatsausgaben am BIP, es liegt relativ nahe an dem Schnitt der Eurozone, noch ist die Steigerung in solchem Maße ungewöhnlich als, dass sie derartig erwähnenswert wäre.

Abschließend möchte ich noch die Conslusio des Artikels beleuchten.

Zitat: „Matteo Renzi fiel Deutschland damit in der entscheidenden Verhandlungsnacht sogar offen in den Rücken. Er entlarvte damit vor allem seine eigene Angst - davor dass Italien ein ähnliches Schicksal droht wie Griechenland. Die Angst ist leider berechtigt.“

Diese Schlussfolgerung ist äußerst fragwürdig und sie taucht exakt in dem Moment auf wenn ein europäischer Partner auf die Idee kommt, eine andere Meinung zu vertreten als Deutschland. Noch einmal, der Hr. Weimer ist gar nicht mal mein direkter Adressat mit meiner Analyse sondern viel mehr bitte ich Journalisten einmal sich folgendes zu überlegen. Wie wirken solche Artikel beispielsweise auf Studenten der Ökonomie? Was glauben sie was jemand mit einem VWL oder Sozioökonomiestudium sich wohl denkt, wenn er solche Artikel liest? Denken sie nicht nur wegen ihrer Reputation daran, sondern überlegen sie sich, dass man wenn man das hier liest vielleicht auf die Idee kommt ihnen ihre Job abzunehmen. Schließlich hat "dietagespresse" in der Zwischenzeit mehr Likes auf Facebook als "derstandard.at".

(1) http://wko.at/statistik/eu/europa-wirtschaftsleistung.pdf(2) http://wko.at/statistik/eu/europa-wirtschaftswachstum.pdf(3) http://wko.at/statistik/eu/europa-lohnstueckkosten.pdf - Seite 2(4) http://wko.at/statistik/eu/europa-staatsausgaben.pdf(5) http://www.bundesfinanzministerium.de/…/2010-05-06-griechen…

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Silvia Jelincic

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